Hinterbliebenengeld – Darstellung (Stand 07/2023)

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Die Regelungen zum Hinterbliebenengeld wurden am 17.07.2017 in dem „Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld‟ vom Bundestag beschlossen. So heißt es in § 844 Abs. 3 BGB:

(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.

 

  1. normative Grundlagen

In verschiedenen Gesetzen wurde diese Regelung eingeführt:

  • § 844 III BGB (Bürgerliches Gesetzbuch),
  • § 86 III AMG (Arzneimittelgesetz),
  • § 32 IV GenTG (Gentechnikgesetz),
  • § 7 III ProdHaftG (Produkthaftungsgesetz),
  • § 12 III UmweltHG (Umwelthaftungsgesetz),
  • § 28 III AtG und § 15 III AtG (Atomgesetz),
  • § 10 III StVG (Straßenverkehrsgesetz),
  • § 5 III HaftPflG (Haftpflichtgesetz),
  • § 35 III LuftVG und
  • § 72 VI LuftVG (Luftverkehrsgesetz).

 

  1. zeitlicher Anwendungsbereich

Die Überleitungsvorschrift findet sich im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter Art. 229 § 43 EGBGB. Diese Regelungen gelten für zum Tod führende Verletzungen, die nach dem 22.07.2017 eingetreten sind. Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg). Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes auch keine mittelbare Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes. Auch der BGH bestätigt, dass über den Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes hinaus keine neuen gesetzgeberischen Intentionen unterstellt werden können; damit verbleibe es dabei, dass Geldentschädigungsansprüche wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Grundsatz nicht vererblich seien (BGH im Teil-Urteil vom 29.11.2021, VI ZR 258/18).

 

  1. Ausschluss nach SGB VII !

Die Frage war umstritten. Nunmehr hat der BGH (Urt. v. 08.02.2022 – VI ZR 3/21) entschieden, dass eine Privilegierung des Schädigers nach §§ 104, 105 SGB VII auch zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld führt. Damit gelangte der Bundesgerichtshof zum selben Ergebnis, wie wir bereits vertreten haben. Dem OLG Koblenz erteilt der BGH mithin eine klare Absage und teilt die Rechtsansicht des LG Koblenz und LG Mainz, weiter dazu hier.

 

  1. Bemessungskriterien

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich der Höhe nach in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Entsprechend der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld muss ein Anspruchsteller nur einen Mindestbetrag fordern, ohne dass das Gericht durch diesen an einer höheren Bewertung gehindert wäre (vgl. LG München II). Darin liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 2 ZPO (ne ultra petita).

Eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu dem verstorbenen Elternteil bleibt bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes unberücksichtigt. Zudem kann das Hinterbliebenengeld nicht mit Härteleistungen für Opfer terroristischer und extremistischer Taten verglichen werden, welchen bei Verlust eines Elternteils die Möglichkeit der Zahlung von Härteleistungen in Höhe von pauschal 30.000 € zusteht. Bei diesen Entschädigungen handelt es sich um eine freiwillige und besondere Solidaritätsleistung des Staates und entspricht daher schon nicht dem Regelungszweck des Hinterbliebenengeldes (vgl. OLG Köln, Urteil vom 05.05.2022 – 18 U 168/21).

Falls ein Geschädigter (auch) Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG BonnLG Regensburg, OLG Koblenz und OLG München.

Ein Mitverschulden des Verstorbenen ist anspruchsmindernd (bis anspruchsausschließend, LG Limburg; arg. ex. OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2022 – 9 U 157/21) zu berücksichtigen, vgl. OLG Koblenz; LG Münster, Urt. v. 27.09.2021, 11 O 304/20

 

  1. Angehörige: auch der Nasciturus!?

Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB

Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Entsprechend den hiesigen Erwägungen in der Übersicht 07/2021 hat das OLG München entschieden, dass dem Nasciturus kein Hinterbliebenengeld zusteht.

 

  1. Schmerzensgeldansprüche neben Hinterbliebenengeld

Stehen einem Geschädigten neben einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld auch Schmerzensgeldansprüche für Schockschäden zu, erhöht dies nicht den Gesamtanspruch. Zweck des Hinterbliebenengeldes ist es, das seelische Leid des Angehörigen auszugleichen und diesen in die Lage zu versetzen, seine Trauer und sein seelisches Leid zu lindern. Dieser Zweck ist bereits durch den Schmerzensgeldanspruch mitumfasst (vgl. LG Hannover, Urt. v. 10.01.2022 – 1 O 68/19).

 

  1. Exkurs: Strafrecht

Falls ein Angehöriger einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat, ist er in einem Strafverfahren gegen den Schädiger Verletzter im Sinne des § 403 StPO (Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren), vgl. BGH im Beschluss vom 05.09.2019 – 4 StR 178/19. Er ist jedoch kein Verletzter im Sinne des § 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung), vgl. BGH im Beschluss vom 06.06.2018 – 4 StR 144/18.

 

  1. Höhe
    Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes erfolgt im Ermessen des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Der Tatrichter hat dabei unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und des Ausgleichs- und Genugtuungsgedankens des Hinterbliebenengeldes die seelische Beeinträchtigung des Hinterbliebenen zu bewerten (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

Maßgeblich für die Höhe sind insb. die Intensität und Dauer des erlittenen seelischen Leids und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Aus dem Näheverhältnis, der Bedeutung des Verstorbenen für den Hinterbliebenen und der Qualität der gelebten Beziehung können sich Indizien für das Maß des seelischen Leids ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

Der im Gesetzesentwurf zum Hinterbliebenengeldanspruch (BT-Drs. 18/11397) genannte Betrag i.H.v. 10.000€ stellt dabei eine Orientierungshilfe, aber keine Obergrenze dar. Die Höhe des Schmerzensgeldes muss sich auch nicht in die europäische Rechtsprechung einfügen, sondern hat sich nur an den deutschen Lebensverhältnissen und der deutschen Rechtsordnung zu orientieren (vgl. BGH, Urt. v. 06.12.2022 – VI ZR 73/21).

 

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