Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 07/2021)
zur aktuelleren Übersicht (08/2022)
Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes selbstverständlich auch keine Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes.
Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg).
Falls ein Geschädigter auch Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG Bonn, LG Regensburg und OLG Koblenz. Gesperrt ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, wenn der Schädiger nach den Vorschriften des SGB VII privilegiert ist, vgl. LG Koblenz und LG Mainz, aA OLG Koblenz (nicht rechtskräftig; anhängig BGH VI ZR 3/21).
Die Ansicht des OLG Koblenz, dass Ansprüche auf Hinterbliebenengeld nicht nach den Vorschriften der §§ 104 f. SGB VII ausgeschlossen seien, ist abzulehnen. Sowohl § 104 SGB VII als auch § 105 SGB VII schließen Ansprüche aus und benennen dabei ausdrücklich auch die Angehörigen und Hinterbliebenen, denen kein Ersatz geschuldet werde. Der BGH hat zwar für das originär beim Angehörigen entstandene Schmerzensgeld eine Ausnahme gemacht – aber nur für das bei ihm in Person entstandene Schmerzensgeld. § 844 Abs. 3 BGB knüpft hingegen unmittelbar daran an, dass jemand „ersatzpflichtig‟ sein muss. Und das ist er bei einer ausschließlichen Verletzung des Mitarbeiters bzw. Arbeitskollegen nicht. Abzuwarten bleibt, wie sich der Bundesgerichtshof dazu positioniert; das Verfahren ist dort anhängig unter dem Aktenzeichen VI ZR 3/21.
Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:
„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB
Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Für die Erbfähigkeit ordnet § 1923 Abs. 2 BGB an, dass der bereits gezeugte Mensch als vor dem Erbfall geboren gilt, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugt war. Das ist aber eine Ausnahmevorschrift. Dieser Mensch wird demnach bereits vor der Geburt Erbe. Für das Erbrecht gilt mithin eine Rechtsfähigkeit schon vor der tatsächlichen Geburt. Auch § 844 Abs. 2 S. 2 BGB sieht diesen Rechteerwerb für Gezeugte, aber noch nicht Geborene vor. § 844 Abs. 3 BGB sieht eine solche Erstreckung indes nicht vor. Der Gesetzgeber hat sich auch mit dem aktuellen Schutz des ungeborenen Lebens befasst (WD 7 – 3000 – 256/18), § 844 Abs. 3 BGB aber gerade nicht genannt. Nunmehr bleibt die Entscheidung des OLG München – Zweigstelle Augsburg – abzuwarten, welches voraussichtlich am 05.08.2021 zum Aktenzeichen 24 U 5354/20 entscheiden wird, ob es in § 844 Abs. 3 BGB eine versehentliche Regelungslücke sieht und man § 844 Abs. 2 S. 2 BGB mit hineinlesen muss oder – was aufgrund des offensichtlichen Unterschieds zwischen § 844 Abs. 2 und Abs. 3 BGB näher liegt – der Gesetzgeber bei dem Hinterbliebenengeld vom Grundsatz des § 1 BGB ausgegangen ist. Dass einem ungeborenen Kind kein Hinterbliebenengeld zusteht, liegt nach hier vertretener Ansicht auch deshalb näher, weil die Bindung zwischen Ungeborenem und dem verstorbenem Vater kaum messbar ist. Wie sollte dieses Verhältnis in Geld bemessen werden im Vergleich zu wahrnehmbaren Beziehungen zwischen Geborenen?
Nachstehend ein Überblick über einige veröffentlichten Entscheidungen:
Betrag | Näheverhältnis | Bemessungsgründe | Haftungsgrund | Gericht | |
0 | Sohn einer Getöteten | kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) | Versterben am 14.10.2015 im Rahmen einer Krebsbehandlung | OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18 [eingefügt 19.04.2021] |
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0 | Mutter einer Getöteten | kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht | Mord am 29.06.2019 | LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19 [eingefügt 21.10.2020] |
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0 | Schwiegermutter einer Getöteten | kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII | Arbeitsunfall am 14.03.2018 | LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19 [eingefügt 21.10.2020] |
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0 | Schwipschwägerin kein ausreichendes Näheverhältnis |
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Verkehrsunfall am 14.09.2016 | LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18 [eingefügt 10.08.2020] |
0 | Ehemann Näheverhältnis widerlegt |
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Verkehrsunfall am 14.04.2018 | LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19 | |
0 | Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB Näheverhältnis widerlegt |
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Mord | BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20 | |
2.000 | Vater eines 19-jährigen Verstorbenen |
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Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% | LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020] | |
3.000 | Schwiegertochter einer Verstorbenen | Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% | LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18 | ||
5.000 | Vater eines verstorbenen 20-Jährigen |
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Verkehrsunfall Haftung des Schädigers (maximal) 50% |
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20 [eingefügt 08.01.2021] |
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5.000 | Sohn einer Verstorbenen |
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Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% | LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18 | |
5.000 | Bruder eines 60-jährigen Verstorbenen |
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Verkehrsunfall Haftung des Schädigers 100% |
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18 |
6.500 | Tochter eines Unfallopfers |
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Verkehrsunfall in 2018 Haftung des Schädigers 100% |
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019 [eingefügt 14.08.2020] |
7.500 | Kinder eines 60-jährigen Verstorbenen |
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Verkehrsunfall Haftung des Schädigers 100% |
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18 | |
8.000 | erwachsene Tochter einer Verstorbenen |
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Mord in 08/2019 Haftung des Schädigers 100% |
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19 [eingefügt 08.01.2021] |
8.000 | Schwiegermutter einer Verstorbenen |
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Arbeitsunfall am 14.03.2018 Haftung des Schädigers 100% |
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20 [eingefügt 28.07.2021] |
10.000 | Ehemann einer Verstorbenen |
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Unfalltod Haftung des Schädigers 100% |
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18 | |
12.000 | Ehefrau eines 60-jährigen Verstorbenen |
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Verkehrsunfall Haftung des Schädigers 100% |
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18 |
15.000 | Mutter und Vater einer 16-jährigen Verstorbenen |
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Verkehrsunfall am 30.04.2018 Haftung des Schädigers 100% |
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020] | |
15.000 | Tochter einer 45-jährigen Verstorbenen |
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Totschlag im Jahr 2019 Haftung des Schädigers 100% |
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021] |