Haftungsbeschränkung des SGB VII gelten nicht für das Hinterbliebenengeld
OLG Koblenz, Urteil vom 21.12.2020, Az.: 12 U 711/20
Leitsätze
Die sich aus den Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung (Sperrwirkung) ist auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld i.S.v. § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar.
Entscheidung
Nach Überzeugung des Senats sind die der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 06.02.2007, VI ZR 55/06 zugrunde liegenden Erwägungen, nach denen das in §§ 104, 105 SGB VII normierte Haftungsausschluss auf Ansprüche wegen erlittener Schockschäden nicht anwendbar ist, auch auf das vorliegend zu beurteilende Hinterbliebenengeld anwendbar. So habe der Bundesgerichtshof bei seiner Entscheidung zu den Schockschäden insbesondere darauf abgestellt, dass für den Fall, das ein nicht zu dem Kreis der Versicherten im Sinne von § 2 SGB VII zählender Angehöriger oder Hinterbliebener selbst unmittelbar bei einem Arbeitsunfall des Versicherten zu Schaden kommen würde, ein eigener Anspruch des Angehörigen bzw. Hinterbliebenen nicht gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen sei. Für Gesundheitsbeeinträchtigungen, die Angehörige oder Hinterbliebene nicht unmittelbar bei einem Arbeitsunfall eines Versicherten erleiden würden, sondern die – wie Schockschäden – unmittelbar durch den Versicherungsfall hervorgerufen würden, könne nichts anderes gelten. Der Anspruch des Angehörigen bzw. Hinterbliebenen beruhe auch in einem solchen Fall auf der Verletzung eines eigenen Rechtsguts. Beruhe der Schockschaden hierbei auf einem tödlichen Arbeitsunfall eines Versicherten, sei auch dem, der Regelung der §§ 104, 105 SGB VII zugrunde liegenden „Friedensargument‟ der Boden entzogen. Schließlich spreche gegen die Erstreckung des Haftungsausschlusses auf Schmerzensgeldansprüche naher Angehöriger wegen eines Schockschadens auch der Umstand, dass die gesetzliche Unfallversicherung insoweit keine Leistungen vorsehe.
Eine Anwendung der §§ 104, 105 SGB VII auf das Hinterbliebenengeld sei insbesondere auch nicht aufgrund des diesen Vorschriften zugrunde liegenden „Friedensarguments‟ angezeigt. Durch die Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII sollen innerbetriebliche Konfliktsituationen vermieden werden. Beruht der Schockschaden indes auf einem tödlichen Arbeitsunfall eines Versicherten, ist dem Friedensargument der Boden entzogen. Selbst wenn es in der Folgezeit sodann zu Streitigkeiten zwischen den Angehörigen/Hinterbliebenen mit den Betriebsinhabern bzw. dort beschäftigten Personen kommen sollte, handelt es sich hierbei jedenfalls nicht um innerbetriebliche, sondern um außerbetriebliche Streitigkeiten. Der Betriebsfrieden ist insoweit nicht beeinflusst. Nach den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts gehörte die Klägerin auch zu keinem Zeitpunkt zu dem Unternehmen des Beklagten zu 1.
Schließlich sei zu beachten, dass der Ausschluss von Ersatzansprüchen durch §§ 104, 105 SGB VII auch nicht gerechtfertigt ist, weil er durch das Leistungssystem der gesetzlichen Unfallversicherung kompensiert werde, denn das System der gesetzlichen Unfallversicherung sieht ein Hinterbliebenengeld unstreitig nicht vor.
Anmerkung
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO zugelassen worden. Die entschiedene Frage, ob die §§ 104, 105 SGB VII gegenüber dem in § 844 Abs. 3 BGB normierten Hinterbliebenengeld eine Sperrwirkung entfalten, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und hat grundsätzliche Bedeutung.
Im Übrigen wurde der Klägerin ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 8.000,00 € zugesprochen. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Verstorbene als Schwiegertochter nicht zum engsten Kreis der Angehörigen, der den (Ehe-)Partner und leibliche Kinder umfasst, zählte, bei denen im Regelfall der Orientierungssatz von 10.000 € ausgeschöpft werden kann. Gemäß den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts bestand allerdings zwischen der Klägerin und der Verstorbenen ein besonders enges Verhältnis, das mit einem Mutter-Tochter-Verhältnis gleichzusetzen war.