Alleinverantwortlichkeit des PKW-Fahrers bei Unfall in Baustellenbereich

OLG Hamm, Beschluss vom 23.06.2023 – 11 U 37/22

Sachverhalt

Der Kläger befuhr mit seinem PKW eine Autobahn und wollte diese an einer Abfahrt verlassen. In dem Abfahrtsbereich gab es eine größere Baustelle. Diese war mit gelben Leitlinien, Absperrbaken und auch Schildern. versehen. Dass diese ausreichend gewesen seien wurde von dem Kläger ebenso angegriffen wie der Umstand, dass sie irrtumserregend gewesen seien und bestimmte Abstände nicht eingehalten gewesen wären. Jedenfalls bog der Kläger – behauptet auch wegen Nebels – zu früh ab und setzte mit dem Karosserieboden auf dem Asphalt auf, weil die rechten Räder des Fahrzeuges in dem Baugraben rechts der Fahrbahn keinen Untergrund vorfanden. Die öffentliche Hand wurde im Rahmen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG in Anspruch genommen. Das Landgericht wies die Klage ab, da keine Pflichtverletzung vorgelegen habe.

Der Kläger stellte die Entscheidung zur Überprüfung.

Entscheidung

Die Berufung hatte keinen Erfolg. Zuvor hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 23.06.2023 auf folgende Umstände hingewiesen:

  1. Trotz Einschaltung eines Bauunternehmers bleibe eine öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht bei der öffentlichen Hand.
  2. Ob es einen Beschilderungsplan durch dir öffentliche Hand gegeben hat, ist jedenfalls dann unerheblich, wenn die konkreten Maßnahmen genügten. Entscheidend ist die tatsächliche Absicherung:

    Der vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit einer vermeintlich unzureichenden Absicherung einer Baustelle ist danach zu beurteilen, wie die Unfallstelle tatsächlich abgesichert war. Maßgeblich waren die konkreten Verhältnisse vor Ort und nicht etwaige abstrakte Planungsvorstellungen des beklagten Landes, das sich nicht darauf beruft, dass die angeordneten Absicherungen nicht oder nicht richtig vor Ort umgesetzt wurden (vgl. dazu auch: OLG München, Urteil vom 16.02.2012 – 1 U 3409/11 – BeckRS 2012, 4400).

  3. Wenn eine durchgezogene Linie grundsätzlich erkennbar ist, bleibt sie wirksam, auch wenn sie an einigen Stellen verschmutzt und ggfls. etwas beschädigt ist:

    Die Feststellung des Landgerichts, wonach die durchgezogene Linie in dem Bereich, in dem der Kläger nach seinem Vorbringen abgebogen sein will, als solche erkennbar gewesen sei, ist frei von Rechtsfehlern. Insbesondere konnte das Landgericht die insoweit getroffenen Feststellungen anhand der zur Gerichtsakte eingereichten Lichtbilder der Unfallstelle treffen. Auf den Lichtbildern I und II auf Bl. 207 und auf dem Lichtbild Ia auf Bl. 213 der landgerichtlichen Akte lässt sich erkennen, dass die durchgezogene Linie im Bereich des Hinweisschildes zwar etwas verdreckt oder geringfügig beschädigt sein mag, jedoch als solche weiterhin deutlich zu erkennen war. Dass eine Erkennbarkeit auch bei den klägerseits behaupteten Sichtverhältnissen gegeben war, durfte das Landgericht ebenfalls annehmen, ohne dass es sich dazu etwa eines Sachverständigen hätte bedienen müssen. Der Kläger hatte – wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch – seine Fahrweise den Sicht- und Witterungsverhältnissen anzupassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO).

  4. Weil ein Verkehrsteilnehmer nach § 3 Abs. 1 StVO seine Fahrweise an die Sichtverhältnisse anzupassen hat, benötigt man kein Sachverständigengutachten für die Frage, ob eine Erkennbarkeit dann gegeben ist:

    Dass eine Erkennbarkeit auch bei den klägerseits behaupteten Sichtverhältnissen gegeben war, durfte das Landgericht ebenfalls annehmen, ohne dass es sich dazu etwa eines Sachverständigen hätte bedienen müssen. Der Kläger hatte – wie jeder andere Verkehrsteilnehmer auch – seine Fahrweise den Sicht- und Witterungsverhältnissen anzupassen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO).

  5. Hinweisschilder beanspruchen für sich nicht die Geltung wie Richtzeichen. Hinweisschilder können auch in einiger Entfernung vor der „geltenden‟ Stelle aufgestellt sein:

    Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung folgt vorliegend auch nicht aus der Positionierung des Hinweisschildes. Hinsichtlich der Aufstellung von Richtzeichen ordnet § 42 Abs. 3 StVO lediglich an, dass diese dort aufzustellen seien, von wo an die Anordnung zu befolgen ist. Soweit die Zeichen aus Gründen der Leichtigkeit oder der Sicherheit des Verkehrs in einer bestimmten Entfernung zum Beginn der Befolgungspflicht stehen, ist die Entfernung zu dem maßgeblichen Ort auf einem Zusatzzeichen anzugeben. Die Regelung betrifft demnach nur Richtzeichen, welche ein Ge- oder Verbot enthalten, was bei dem Richtzeichen 430 gerade nicht der Fall ist. Es soll lediglich einen besonderen Hinweis zur Erleichterung des Verkehrs geben. Dabei ist es sogar üblich, dass solche Hinweise in einiger Entfernung zum Kreuzungsbereich erfolgen, um dem Fahrer die Möglichkeit zu geben, seine Fahrweise vorausschauend zu gestalten. Es handelt sich insbesondere nicht um ein dem Zeichen 333 (Ausfahrt) vergleichbares Richtzeichen, aufgrund dessen der Kraftfahrer den Schluss ziehen könnte, dass sich eben an dem Aufstellungsort der Beginn der Ausfahrt befindet.

  6. Wenn die allgemeinen sicherungsmaßnahmen genügen, muss auch ein plötzlicher, seitlicher Abfall der Straße (Fräskante) nicht gesondert gesichert werden:

    Letztlich begründet auch der Umstand, dass die Fräskante nicht gesondert gesichert war – entgegen der Annahme des Klägers – keine Verkehrssicherungspflichtverletzung des beklagten Landes. Durch die Kennzeichnung des Fahrbahnverlaufs mittels Leitbaken und durchgezogener Linie wurde hinreichend Sorge dafür getragen, dass Verkehrsteilnehmer nicht in den Baustellenbereich gelangen. Einer zusätzlichen Absicherung in dem für den allgemeinen Verkehr nicht freigegebenen Baustellenbereich bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.

 

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