(keine) schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung bei DIN-widrigem Inventar

Landgericht Passau
SR 000438-23

 

Sachverhalt

Die Beklagte betreibt seit 20 Jahren einen Bereich mit Liegeflächen. In dem Bereich waren hunderte Liegen, vor 20 Jahren aus den USA importiert, für die Besucher zur Nutzung zur Verfügung gestellt. Die Kopflehne war in bekannter Art und Weise aufgebaut, nämlich, dass an der Kopflehne ein „einseitig geöffnetes, abgerundetes Rechteck‟ angebracht war, welches an den beiden Enden mit der Kopflehne verbunden war. Bei der der Öffnung gegenüberliegenden Rechteckseite handelte es sich nur um ein Verbindungsstück. Die andern beiden Rechteckseiten, die einerseits an der Verbindung zur Kopflehen endeten und andererseits in das Verbindungsstück übergingen, hatten jeweils „Zähne‟, die in eine feste Liegenstange unter dem Kopfteil eingreifen konnten und so durch Arretierung den Neigungsgrad des Kopfstücks bestimmten.

Die Klägerin besuchte die Einrichtung und benutzte eine der Liegen. Die Funktionsweise war ihr durch mehrere Nutzungen zuvor bekannt. Ferner ist die Mechanik selbsterklärend. Als sie – auf der Liege seiend (in welcher Ruhe- und Bewegungsart war streitig) – hinter das Kopfteil griff, um das über das Kopfteil befindliche Badetuch zu richten, klappte das Kopfteil zurück und führte zu einer Handverletzung (medizinisch: Teilamputation eines Fingers), deren Umfang auch streitig war.

Ursprünglich führte die Klägerin die Verletzung darauf zurück, dass die Liegenkonstruktion (unstreitig) aus Metall war und wegen des Alters Verschleiß gehabt hätte. Sodann wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige führte aus, dass
a)  das Material „Metall‟ zumindest nicht kausal war,
b) Verschleiß nicht vorhanden war, sondern die Liege uneingeschränkt funktionstüchtig war,
c) im Klappmechanismus eine DIN-widrige Quetschmöglichkeit vorläge. 

Sodann stützte die Klägerin ihre Klage auf die DIN-widrige Quetschmöglichkeit. Die DIN existierte (unstreitig) bereits zum Zeitpunkt des Imports der Liege. Dass die Kausalität der DIN-Problematik streitig war, hielt das Amtsgericht nicht davon ab, die Rechtsansicht zu vertreten, eine Haftung der Beklagten wegen einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung sei gegeben. Das Amtsgericht gab der Klage auf Schmerzensgeld statt.

Gegen das Urteil des Amtsgerichts wurde Berufung eingelegt und das Landgericht entschied in Kammerbesetzung.

Entscheidung

Die Berufung hatte Erfolg. Die Klage wurde abgewiesen.

Selbst dann, wenn man eine Kausalität einer DIN-Widrigkeit unterstellen würde, habe die Klägerin keinen Anspruch. Es fehle an einem Verschulden.

Das Landgericht Passau folgt dabei der Rechtsprechung des BGH, wonach man im Rahmen der Verkehrssicherungspflichten gehalten sei, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere nicht zu schädigen (…). Dabei könnten DIN-Normen die Sorgfaltspflichten konkretisieren. DIN-Normen seien nicht abschließend, würden aber grundsätzlich den Stand von Wissenschaft und Technik abbilden. Bereits durch den Import der DIN-widrigen Liegen seine objektiv eine Pflichtverletzung erfüllt.

Allerdings fehle es an einem Verschulden der Beklagten. Das Landgericht folgte dabei der hiesigen Hilfsargumentation. Diesseits wurde darauf verwiesen, dass niemand zig tausende DIN-Normen kennen könne und auch nicht die Einhaltung derer durch wiederholte Begehungen des Betriebs sicherstellen könne. Das wäre unverhältnismäßig und würde im Übrigen nicht einmal von öffentlich zugänglichen Gebäuden (Rathäusern, Gerichten etc.) gehandhabt.
Das Landgericht folgte der hiesigen Argumentation (jedenfalls) insoweit, dass es ausführte:

Die Beklagte war aus besonderen persönlichen Gründen nicht zu einer Abwendung der
von der Liege ausgehenden Gefahr verpflichtet, weil sie nicht erkennen konnte, dass die Liege
den maßgeblichen DIN-Normen nicht entsprach. Bei einer solchen Sachlage ist ausnahmsweise
der Schluss von der Nichteinhaltung der “äußeren” Sorgfalt auf eine Verletzung der “inneren”
Sorgfalt nicht gerechtfertigt (vgl. dazu v. Bar, JuS 1988, 169 (173); Deutsch, HaftungsR I, 1976,
S. 276 ff., (279); Steffen, in: RGRK, § 823 Rdnr. 144; s. auch BGHZ 80, 186 (199) = NJW 1981,
1603 = LM § 823 (Dc) BGB Nr. 130; Senat, NJW 1986, 2757 = LM § 823 (Dc) BGB Nr. 152 =
VersR 1986, 765 (766)).

Denn beim Import der Liegen entsprachen diese der Art und dem Erscheinungsbild her den herkömmlichen Liegen. Eine Pflicht, importierte Waren anlasslos durch einen Sachverständigen auf DIN-Konformität zu überprüfen lassen, bestehe nicht. Und bei der Nutzung der hunderten Liegen über 20 Jahre hinweg ohne jeden (bekannten) Zwischenfall sei auch in der Folgezeit keine Kontrollpflicht ausgelöst worden.

Schließlich führt das Gericht auch aus, dass es keine anlasslose Überprüfungspflicht des gesamten Betriebes gab:

dd. Eine schuldhafte Verkehrspflichtverletzung der Beklagten kann – anders als das Amtsgericht Passau annimmt – auch nicht darin gesehen werden, dass die Beklagte es unterlassen hat, in regelmäßigen Abständen anlasslos ihren Betrieb mitsamt den streitgegenständlichen Liegen auf die Einhaltung aktueller Sicherheitsbestimmungen überprüfen zu lassen. Eine solche allgemeine Überprüfungs-, Nachrüstungs- und Anpassungspflicht besteht für den Betreiber einer Anlage gerade nicht. Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen und danach zu fragen, ob sich im konkreten Einzelfall die naheliegende Gefahr ergibt, dass durch die bestehende technische Anlage – ohne Nachrüstung – Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Denn welche Sicherheit und welcher Gefahrenschutz im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht zu gewährleisten sind, richtet sich nicht ausschließlich nach den modernsten Erkenntnissen und nach dem neuesten Stand der Technik. Es kommt vielmehr maßgeblich auch auf die Art der Gefahrenquelle an. Je größer die Gefahr und je schwerwiegender die im Falle ihrer Verwirklichung drohenden Folgen sind, umso eher wird eine Anpassung an neueste Sicherheitsstandards geboten sein (vgl. hierzu BGH, NJW 2010, 1967). Ein konkreter Handlungsbedarf bestand für die Beklagte in Hinblick auf eine Überprüfung der vorhandenen Liegen und den Erwerb neuer DIN-Norm-konformer Liegen nicht. Der seit dem Import der Liegen bestehende Konstruktionsfehler und die damit verbundene Gefahr für Verletzungen der Gäste war für einen durchschnittlichen Klinikbetreiber wie die Beklagte nicht erkennbar. Ein konkreter Anlass, die Liegen auf Funktionstüchtigkeit und Verkehrssicherheit durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen, ergab sich bis zum streitgegenständlichen Vorfall am 31.05.2018 gerade nicht. Mit einer über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehenden Gefährlichkeit der Liegen musste niemand rechnen. Eine regelmäßige anlasslose Überprüfung der Liegen, welche nur zusammen mit einer regelmäßigen anlasslosen Überprüfung des
gesamten Geschäftsbetriebs der Beklagten sinnvoll erscheinen würde, durch fachkundige Personen wie Sachverständige ist in rechtlicher Hinsicht weder geboten noch kann ein solches Vorgehen mit den entsprechenden Konsequenzen einer nach dem Rat der Sachverständigen durchzuführenden Anpassung und Erneuerung der Beklagten finanziell und mit Blick auf die Funktionsfähigkeit ihres Betriebes zugemutet werden.

 

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