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Verkehrssicherungspflicht I: Anforderungen an einen Feld- und Waldweg

OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2022 – 11 U 9/22

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht für eine Gemeindestraße, deren Verkehrsbedeutung auf einen den Fußgänger- und Radverkehr zulassenden örtlichen Feld- und Waldweg beschränkt wurde.

 

Sachverhalt

Die Klägerin verlangt infolge eines Fahrradunfalls von der Beklagten (Trägerin der Straßenbaulast für die Gemeindestraßen) Schmerzensgeld und Schadensersatz. Sie fuhr mit dem Fahrrad hinter ihrem Ehemann her, über einen Wald- und Feldweg der Beklagten, der für den Fußgänger- und Radverkehr bestimmt war. In dem mit losem Geröll bedeckte und mit Gras bewachsene Weg hatte sich im Laufe der Zeit eine Spurrille gebildet. Am oberen Abschnitt des Weges befand sich ein zur verkehrsrechtlicher Beschränkung aufgeschütteter Erdhügel. Die Klägerin gelangte in die Spurrille, blieb mit ihrer Pedale an dem Erdhügel hängen und stürzte.

 

Entscheidung

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Schadensersatz gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 9, 9a, 47 StrWG NRW. Die Beklagte hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

  1. Maßstab sind die allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherungspflichten. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist die Beklagte gem. §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW grds. verpflichtet, Gefahrenquellen auf den Verkehrsflächen, die von ihr unterhalten werden, zu beseitigen und im Rahmen des Zumutbaren darauf hinzuwirken, dass kein Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommt. Jedoch muss nicht für jede denkbare Möglichkeit eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich danach, für welche Art des Verkehrs die Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und danach, was ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer an Sicherheit erwarten darf. Die Verkehrsteilnehmer müssen die Verhältnisse grds. hinnehmen und haben sich auf diese und die typischen Gefahren einzustellen. Eine Verkehrssicherungspflicht besteht erst dann, wenn nach sachkundigem Urteil die Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung naheliegt, d.h., wenn ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer unter Beachtung der zu erwartenden Sorgfalt die Gefahrenquelle nicht (rechtzeitig) erkennen kann und sich nicht (rechtzeitig) auf diese einstellen kann. Bei dieser Beurteilung, kommt es auch auf das äußere Erscheinungsbild der Fläche und ihrer Bedeutung für den Verkehr an.

 

  1. Der Weg ist erkennbar von untergeordneter Bedeutung. Der in Rede stehende Wald- und Feldweg ist seit den 90er-Jahren nur noch für den Fußgänger- und Fahrradverkehr bestimmt und wird eher selten von diesen genutzt. Daher kommt dem Weg nur noch eine untergeordnete Verkehrsbedeutung als Abkürzungsstrecke zu. Der Untergrund besteht nur noch aus Gras und losem Geröll.

 

  1. Das führt zu eingeschränkten Sicherheitserwartungen: Verkehrsteilnehmer, die diesen Weg benutzen, können daher nur eingeschränkte Sicherheitserwartungen haben. Auf solchen unbefestigten Wegen muss mit Unebenheiten und Hindernissen, wie hier den Spurrillen gerechnet werden. Insb. darf nicht davon ausgegangen werden, diesen ohne Absteigen befahren zu können.

 

  1. Wegen der Reduktion der Sicherheitserwartungen sind auch an die Verkehrssicherungspflichten nur geringe Anforderungen zu stellen, die vorliegend erfüllt sind. Auch aufgrund des aufgeschütteten Erdhügels trifft die Beklagte keine erhöhte Verkehrssicherungspflicht. Die Aufschüttung des Erdhügels ist keine unzulässige Verkehrsanordnung und stellt auch keine Schaffung einer Gefahrenquelle dar. Diese ergab sich erst in Kombination mit der Spurrille. Ebenso war die Beklagte nicht zur Beseitigung der Spurrille verpflichtet, denn diese war bei gebotener Eigensorgfalt rechtzeitig zu erkennen und zu bewältigen. Daran ändert es auch nichts, dass der Ehemann der Klägerin vorausgefahren ist und sie deshalb die Spurrille möglicherweise nicht mehr rechtzeitig erkennen konnte. Die Klägerin ist gem. §§ 3, 4 StVO zur Einhaltung eines Abstandes zu dem vorausfahrenden Ehemann verpflichtet. Dieser Abstand muss so groß sein, dass jederzeit innerhalb der überschaubaren Strecke problemlos angehalten werden kann. Hätte die Klägerin diesen Abstand eingehalten, hätte sie die Gefahrenstelle problemlos meistern können.
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