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Verkehrssicherungspflicht II: Gullydeckel sind grds. keine Gefahrenquelle

OLG Hamm, Beschl. v. 08.04.2022 – 11 U 147/21

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Straßenablaufdeckel am Fahrbahnrand in der Nähe eines Fußgängerüberwegs, dessen Schlitzbreite den gültigen DIN entspricht, stellt keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar, wenn er für Fußgänger durch einen beiläufigen Blick unschwer erkennbar ist, so dass er vorsichtig betreten oder ihm ausgewichen werden kann.

 

Sachverhalt

Die Klägerin verfolgt Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung bei einem Sturz auf einer Gemeindestraße. Sie trägt vor, beim Überqueren der Straße über eine Kanalabdeckung gefallen zu sein. Die Kanalabdeckung befindet sich im Bereich eines hohen Bordsteins und besteht aus mehreren, breiten Metallstreben, die etwa 3-4cm Abstand zueinander haben und senkrecht zur Fahrtrichtung verlaufen.

Nach DIN EN 124, DIN 1229 und DIN 19583 dürfen Gullydeckel im Straßenbereich mit vorwiegender Beanspruchung durch Straßenfahrzeuge eine Schlitzbreite von 16-42mm (bei Schlitzen, die quer zur Fahrtrichtung verlaufen) haben.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Kanalabdeckung verstoße gegen die GUV-I 588 Richtlinie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Beklagte treffe schon keine Verkehrssicherungspflichtverletzung.

 

Entscheidung

Die Klägerin hat keine Schmerzensgeld- oder Schadensersatzansprüche gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 Abs. 1 StrWG NRW gegen die beklagte Stadt.

  1. Die beklagte Stadt ist als Straßenbaulastträgerin passivlegitimiert.
  2. Auch wenn die Klägerin zunächst behauptete, die Abstände zwischen den Gittern entsprächen nicht den DIN-Normen, ist das falsch. Die Gitterabstände sind DIN-konform.
  3. Die Richtlinie der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung GUV-I 588 ist nicht anwendbar. Diese enthält Empfehlungen für die Gestaltung hochgelegter gewerblicher und industrieller Arbeitsplätze und Verkehrswege mit Metallgittern- und Blechrostprofilen. Diese Anforderungen sind jedoch nicht auf Kanaldeckel im öffentlichen Straßenverkehr übertragbar.
  4. Eine haftungsbegründende Amtspflichtverletzung der Beklagten lässt sich auch nicht aufgrund der allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherung Hiernach haben sie für die Sicherheit für die in ihren Verantwortungsbereich fallenden Gebietskörperschaften zu sorgen. Es muss darauf hingewirkt werden, dass die Verkehrsteilnehmer möglichst nicht zu Schaden kommen. Diese Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass der Verkehrssicherungspflichtige für alle Möglichkeiten Vorsorge zu treffen hat, denn dies ist schlicht unmöglich. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht beurteilt sich nach der Art des Verkehrs einer Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, der die allgemeine Verkehrsfläche gewidmet ist und danach, was ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer an Sicherheit erwarten kann. Grds. haben die Verkehrsteilnehmer die Verhältnisse, die sie vorfinden hinzunehmen, sich anzupassen und mit typischen Gefahrenquellen, z.B. Unebenheiten zu rechnen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss erst handeln, wenn nach sachkundigem Urteil die Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung naheliegt.

Eine solche Handlungspflicht besteht, wenn auch ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer unter Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und sich hierauf nicht rechtzeitig einrichten kann. Bei der Beurteilung kommt es dabei auch auf das äußere Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihre Bedeutung für den Verkehr an.

Daher ist der Beklagten keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Die Kanalabdeckung ist bei zu erwartender Sorgfalt der Verkehrsteilnehmer keine unvorhersehbare und unbeherrschbare Gefahrenquelle. Dass seitlich an der Straße Kanalabdeckungen verbaut sind, kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Die Klägerin hätte daher mit diesem zumindest – wie vorliegend – im Bereich der hohen Bordsteine des Fußgängerüberwegs, rechnen müssen. Die Fußgänger müssen sich immer wieder kurz, aber regelmäßig auf den Weg vor ihnen blicken, um die Beschaffenheit und mögliche Hindernisse und Gefahrenquellen frühzeitig zu sehen. Der Gullydeckel war auch trotz des hohen Bordsteins auch aus der Ferne nahezu vollständig erkennbar. Im Bereich eines erhöhten Bordsteins muss zudem mit erhöhter Vorsicht gegangen werden. Der Klägerin war es ohne weiteres möglich, bei gebotener Sorgfalt die Kanalabdeckung so zu betreten, dass sie nicht umknickt oder die Straße an einer anderen Stelle des Fußgängerüberwegs zu überqueren.

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