Hinterbliebenengeld (XXI): Bemessung des Hinterbliebenengeldes im Mordfall

LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 09.12.2021 – 5 Ks 103 Js 2698/20

 

zur tabellarischen Übersicht Stand 07/23zur textlichen Darstellung Stand 07/23

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei vorsätzlichen Tötungen ist es angemessen, über die Höhe der bei fahrlässigen Tötungen zugesprochenen Hinterbliebenengeldbeträge hinauszugehen.

 

Sachverhalt

Infolge des vorsätzlichen Mordes an einem 63-Jährigen beantragen die Ehefrau und der erwachsene Sohn Hinterbliebenengeld.

 

Entscheidung

Der Ehefrau des Getöteten steht ein Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 1, 3 BGB i.H.v. 20.000€ und dem Sohn i.H.v. 15.000€ zu.

Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes erfolgt nach dem Normzweck des historischen Gesetzgebers: Die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zum Getöteten stehenden Personen sollen durch das Hinterbliebenengeld in die Lage versetzt werden, ihre durch den Verlust dieser besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer sowie ihr seelisches Leid zu lindern. Die Beurteilung der genauen Höhe steht im Ermessen des Gerichts erfolgt im Einzelfall, § 287 ZPO. 2017 nahm der Gesetzgeber im Rahmen eines Gesetzesentwurfes zur Schockschadenrechtsprechung des BGHs einen durchschnittlichen Festsetzungsbetrag i.H.v. 10.000€ an.

Im vorliegenden Fall hat das Landgericht bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes berücksichtigt, dass der Getötete für seine Ehefrau der zentrale Lebensmittelpunkt war. Der Sohn des Getöteten pflegte eine enge Beziehung zu seinem Vater, die sich mit der Geburt seiner Kinder und der Rolle Ermordeten als Großvater noch weiter intensivierte. Zudem tötete der Angeklagte absichtlich, ihn trifft daher im Vergleich zu fahrlässigen Tötungen z.B. bei Verkehrsunfällen, ein höherer Verschuldensgrad. In diesen Fällen lagen die den Angehörigen zugesprochenen Beträge bisher zwischen 3.000€ und 15.000€. Aufgrund des gesteigerten seelischen Leids und der gesteigerten Trauer über den Verlust bei nahestehenden Personen, die aufgrund einer vorsätzlichen Straftat einen Angehörigen verlieren, hält es das Landgericht jedoch im vorliegenden Fall für angemessen, über diese Beträge hinauszugehen.

 

Anmerkung:

Dem Urteil des LG Nürnberg steht der Unterzeichner kritisch gegenüber. Das Landgericht hat recht oberflächlich Stellung genommen und entgegen der ihm zukommenden Aufgabe nach § 287 ZPO nicht berücksichtigt, dass sich grundsätzlich Entscheidungen auch in den Rahmen anderer Entscheidungen einfügen müssen. Bei einem anderen vorsätzlichen Tötungsdelikt hat das Landgericht München II im Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18, 7.500 € für Kinder eines Verstorbenen ausgeurteilt, die noch im Alter von 14 bis 19 waren. Das Gericht hat bei dem 34-jährigen Sohn, der inzwischen seine eigene Familie aufgebaut hatte, auch nicht berücksichtigt, dass eine solche natürliche Lösung von den Eltern stets senkend berücksichtigt wird (LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19; LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18; OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20). Es hätte daher nahegelegen, dem Sohn ebenfalls maximal 10 TEUR zuzusprechen und der Witwe in Anlehnung an Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18, 12.000 €.

image_pdf