Kein Schadensersatz für Radfahrer bei Sturz über Mülltonnen

Michael PeusMichael Peus

LG Frankenthal, Urt. v. 26.10.2021 – 4 O 25/21

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Mülltonnen, die auf dem Radweg abgestellt sind, stellen eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar.
  2. Hindernisse, die bereits von weitem erkennbar sind, sind mit ausreichendem Abstand zu umfahren. Wird dieser Abstand nicht eingehalten, beruht ein Sturz auf grob fahrlässiger Fahrweise.

 

Sachverhalt

Ein Fahrradfahrer verlangt infolge eines Sturzes Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem zuständigen Abfallentsorgungsunternehmen.
Er trägt vor, der Sturz habe sich dadurch ereignet, da auf dem Radweg zwei Mülltonnen abgestellt gewesen seien, denen er nicht mehr habe ausweichen können. Er sei gegen eine Mülltonne gefahren, gestürzt und habe sich dabei schwer verletzt. Die Mitarbeiter des Abfallentsorgungsunternehmens hätten die Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie die Mülltonnen so abgestellt hätten, dass eine gefahrlose Vorbeifahrt unmöglich gewesen sei.

 

Entscheidung

Das Landgericht wies die Klage ab. Zwar können Mülltonnen auf dem Radweg eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht darstellen, denn sie sind „ruhende Hindernisse“, die den Verkehrsfluss erheblich beeinträchtigen. Jedoch waren diese Hindernisse bereits von weitem erkennbar, sodass ihnen mit ausreichendem Sicherheitsabstand ausgewichen werden muss. Wird dieser Abstand nicht eingehalten, ist der Sturz nicht auf die Gefahr des Hindernisses, sondern auf eine grob fahrlässige Fahrweise zurückzuführen. Der Radfahrer habe sich trotz der Möglichkeit, weit auszuweichen, dafür entschieden, so nah an den Mülltonnen vorbeizufahren, das es zu einem Sturz kommen konnte. Daher ist ihm ein Mitverschulden anzurechnen, dass alle etwaigen Ansprüche ausschließt.

 

Anmerkung

Da dieses Urteil noch nicht rechtskräftig ist, bleibt eine endgültige Entscheidung abzuwarten.

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Hinterbliebenengeld XII: Hinterbliebenengeld für ein ungeborenes Kind?

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht 03/2022 | zur allgemeinen textlichen Darstellung

OLG München, Urteil vom 05.08.2021 – 24 U 5354/20

 

Zum Fall
Der Versicherungsnehmer der Beklagten verursachte durch eine Geisterfahrt auf der Autobahn einen tödlichen Unfall bei dem sowohl er, als auch der Vater der – zu diesem Zeitpunkt ungeborenen – Klägerin getötet wurden.
Die beklagte Versicherung, die sich für die Folgen des Unfalls zu 100 % haftet, widerspricht der Forderung der zum Zeitpunkt des Todesfalls ungeborenen Klägerin Hinterbliebenengeld zu zahlen.
Das Landgericht verneinte bereits einen Anspruch auf Zahlung von Hinterbliebenengeld, da u.a. der Nasciturus vom Schutzbereich des § 844 III BGB nicht umfasst sei.

 

Entscheidungsgründe
Das OLG entscheidet, dass ein ungeborenes Kind keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat.
Der Klägerin stünde kein Hinterbliebenengeld nach § 844 III BGB, §§ 7 I, 10 III StVG i.V.m. § 115 I Nr.1 VVG, § 1 PflVG zu.

1. Einem Anspruch aus § 844 III BGB stehe entgegen, dass die Klägerin weder zur Zeit des schädigenden Ereignisses, noch beim Schadenseintritt geboren war. Die Rechtsfähigkeit eines Menschen beginnt jedoch erst mit der Vollendung der Geburt gem. § 1 BGB. Daher fehle ihr die nötige Rechtsfähigkeit.

2. Auch die Ausnahmevorschriften nach § 844 II 2 BGB – der nur für den Unterhaltsanspruch gelte – und § 1923 II BGB über die Erbfähigkeit eines bereits gezeugten Kindes, greifen in diesem Fall nicht ein.

3. Das OLG argumentiert gegen eine analoge Anwendung des § 844 II 2 BGB. Es sei eine nicht analogiefähige Sondervorschrift. Einer Anwendung stünde bereits entgegen, dass § 844 II 2 BGB bereits eine Sonderregelung für unterhaltsrechtliche Ansprüche enthalte. Es läge daher kein Anhaltspunkt vor, dass der Gesetzgeber bei der Einführung des Hinterbliebenengeldes das ungeborene Kind planwidrig übersehen hätte.

4. Außerdem wird herausgestellt, dass kein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen dem ungeborenen Kind und dem getöteten Vater bestanden hätte. Dies sei für einen Anspruch aus § 844 III 1 BGB jedoch erforderlich. Die allmähliche Entwicklung der Sinnesorgane des Embryos reiche für eine Begründung eines persönlichen Näheverhältnisses nicht aus. Das ein solches Verhältnis eventuell nach der Geburt erwartet werden kann, könne nicht berücksichtigt werden. Ein Kindschaftsverhältnis zum Vater läge ebenfalls nicht vor. Dieses beginne ebenfalls erst mit der Geburt des Kindes.

5. Auch könne ein persönliches Näheverhältnis nach § 844 III 2 BGB nicht vermutet werden. Nach dem Wortlaut ergibt sich, dass lediglich bei dem „Kind“ des Getöteten ein solches Verhältnis vermutet werden könne. Der Nasciturus wird laut Senat nicht von diesem Begriff umfasst.

6. Aus der Rechtsprechung, nach der derjenige, der für den Schaden bei einem Kind mit Gesundheitsschaden im Mutterleib ursächlich war, haftet (BGH, Urteil vom 05.02.2985 – VI ZR 198/83), könne kein Anspruch des Nasciturus auf Hinterbliebenengeld hergeleitet werden. In diesem Fall sei bei der Klägerin kein körperlicher Schaden durch den Unfall entstanden. Es komme nur ein immaterieller Schadensersatzanspruch in Betracht.

7. Anders als die Klägerin behauptet, vertritt das Oberlandesgericht die Ansicht, dass es nicht die Menschenwürde nach Art. 1 I GG verletze, wenn nur einem geborenen Kind bei dem Tod eines Elternteils Hinterbliebenengeld zustehen würde. Ein Ausschluss des – im Zeitpunkt der (immateriellen) Verletzung – ungeborenen Kindes vom Hinterbliebenengeld widerspreche nicht dem Art. 1 I GG und erscheine auch nicht willkürlich, da in solchen Fällen (wie auch hier) an kein bereits bestehendes persönliches Näheverhältnis im Sinne einer gelebten sozialen Beziehung angeknüpft werden könne.

 

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Hinterbliebenengeld: ab 22.07.2017

Michael PeusMichael Peus

OLG München, Endurteil vom 25.03.2021 – 1 U 1831/18

 

Zum Fall
Die Mutter des Klägers, die 2015 an einem Tumor erkrankt war, lehnte eine von Ärzten empfohlene Strahlen- und Chemotherapie ab und begab sich stattdessen in die Hände einer Heilpraktikerin. Aufgrund – unter anderem diverser Behandlungsfehler – verstarb die Patientin.

Der Sohn erhebt immaterielle Ansprüche.

 

Entscheidungsgründe

Dem Sohn der Verstorbenen wurden lediglich ererbte Schmerzensgeldansprüche zuerkannt. Voraussetzungen für eigene Schmerzensgeldansprüche lagen unstreitig nicht vor.

Zu einem Anspruch auf Hinterbliebenengeld führte das Gericht aus:

„Eigene immaterielle Ansprüche des Klägers wegen des vorzeitigen Versterbens seiner Mutter stehen nicht im Raum, insbesondere kommt ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB von vornherein nicht in Betracht. Diese Vorschrift ist in zeitlicher Hinsicht nur anwendbar, wenn die zum Tode führende Verletzung nach dem 22.07.2017 eingetreten ist“ Art. 229 § 43 EGBGB.

Erst ab dem 22.07.2017 gelten die Regelungen zum Hinterbliebenengeld.

Die Erkrankte verstarb im Oktober 2015, sodass der Zeitpunkt der zum Tode führenden Verletzung vor dem 22.07.2017 liegt. Dementsprechend sind die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht gegeben.

 

Zur Übersicht Stand 09/2021

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 09/2021)

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Darstellung 08/22

 

Die Regelungen zum Hinterbliebenengeld wurden am 17.07.2017 in dem „Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld‟ vom Bundestag beschlossen.

 

1. normative Grundlagen

In verschiedenen Gesetzen wurde diese Regelung eingeführt:

  • § 844 III BGB (Bürgerliches Gesetzbuch),
  • § 86 III AMG (Arzneimittelgesetz),
  • § 32 IV GenTG (Gentechnikgesetz),
  • § 7 III ProdHaftG (Produkthaftungsgesetz),
  • § 12 III UmweltHG (Umwelthaftungsgesetz),
  • § 28 III AtG und § 15 III AtG (Atomgesetz),
  • § 10 III StVG (Straßenverkehrsgesetz),
  • § 5 III HaftPflG (Haftpflichtgesetz),
  • § 35 III LuftVG und
  • § 72 VI LuftVG (Luftverkehrsgesetz).

 

2. zeitlicher Anwendungsbereich

Die Überleitungsvorschrift findet sich im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter Art. 229 § 43 EGBGB. Diese Regelungen gelten für zum Tod führende Verletzungen, die nach dem 22.07.2017 eingetreten sind. Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg). Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes auch keine mittelbare Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes.

 

3. Ausschluss nach SGB VII!?

Die Frage ist noch umstritten.

Nach diesseits vertretener Ansicht sind Ansprüche der Angehörigen auf Hinterbliebenengeld dann ausgeschlossen, wenn der Schädiger die Haftungsprivilegien der §§ 104 f. SGB VII genießt. Sowohl § 104 SGB VII als auch § 105 SGB VII schließen Ansprüche aus und benennen dabei ausdrücklich auch die Angehörigen und Hinterbliebenen, denen kein Ersatz geschuldet werde. Der BGH hat zwar für das originär beim Angehörigen entstandene Schmerzensgeld eine Ausnahme gemacht – aber nur für das bei ihm in Person entstandene Schmerzensgeld. § 844 Abs. 3 BGB knüpft hingegen unmittelbar daran an, dass jemand „ersatzpflichtig‟ sein muss. Und das ist er bei einer ausschließlichen Verletzung des Mitarbeiters bzw. Arbeitskollegen nicht. Diese Rechtsansicht fand auch Eingang in die zunächst ergangenen Urteile, vgl. LG Koblenz und LG Mainz.

Das OLG Koblenz hat indes den Ausschluss nicht angewendet, sondern dem Hinterbliebenen den Anspruch auf Hinterbliebenengeld zugestanden, obwohl es sich um einen privilegierten Arbeitsunfall handelte. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig, sondern wegen der grundsätzlichen Bedeutung richtigerweise anhängig beim Bundesgerichtshof zum Aktenzeichen BGH VI ZR 3/21.

 

4. Höhe

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich der Höhe nach in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Entsprechend der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld muss ein Anspruchsteller nur einen Mindestbetrag fordern, ohne dass das Gericht durch diesen an einer höheren Bewertung gehindert wäre (vgl. LG München II, Endurteil v. 17.05.2019 – 12 O 4540/18). Darin liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 2 ZPO (ne ultra petita).

Falls ein Geschädigter (auch) Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG BonnLG Regensburg und OLG Koblenz.

 

5. Angehörige: auch der Nasciturus!?

Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB

Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Entsprechend den hiesigen Erwägungen in der Übersicht 07/2021 hat das OLG München – Zweigstelle Augsburg – am 05.08.2021 zum Aktenzeichen 24 U 5354/20 entschieden, dass dem Nasciturus kein Hinterbliebenengeld zusteht.

 

6. Exkurs: Strafrecht

Falls ein Angehöriger einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat, ist er in einem Strafverfahren gegen den Schädiger Verletzter im Sinne des § 403 StPO (Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren), vgl. BGH im Beschluss vom 05.09.2019 – 4 StR 178/19. Er ist jedoch kein Verletzter im Sinne des § 46a StGB (Täter-Oper-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung), vgl. BGH im Beschluss vom 06.06.2018 – 4 StR 144/18.

 

7. Übersicht

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Nasciturus (Vater verstarb vor der Geburt)
kein Näheverhältnis
Nasciturus ist nach § 1 BGB noch nicht rechtsfähig; eine Ausnahme – wie in § 844 Abs. 2 BGB – hat der Gesetzgeber nicht gemacht; von einer ungewollten Regelungslücke ist nicht auszugehen. Verkehrsunfall in 2017 OLG München im Endurteil vom 05.08.2021, Az. 24 U 5354/20
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Krebsbehandlung in 2015 OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 17.09.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Tochter
eines Verstorbenen
  • Tochter war Ansprech- und Notfallkontaktperson des Verstorbenen
  • enge Bindung
  • besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen Vater und Tochter
  • nach dem Tod des Vaters: Schlafstörungen, Ängste beim Autofahren, Arbeitsplatzwechsel
  • Schockschaden
Verkehrsunfall in 12/2018
Haftung des Schädigers 100%
Oberlandgericht Schleswig, Urteil vom 23.02.2021, Az. 7 U 149/20
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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Schadensersatzanspruch bei Sturz von Rettungstrage?

Michael PeusMichael Peus

BGH, Beschluss vom 27.05.2021 – III ZR 329/20

 

Sachverhalt

Der Kläger hat sich bei einem Sturz von einer rollbaren Rettungstrage verletzt und beansprucht nun Schadensersatz.
Die Sanitäter hatten den Patienten ordnungsgemäß auf die Trage gelegt, jedoch brach eines der Räder, wodurch die Trage sich neigte und der Patient umkippte.

 

Entscheidung

Der BGH weist die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision zurück und schließt sich der Begründung des OLG Braunschweig an, welches bereits eine Schadensersatzpflicht des Beklagten verneint hatte.

Ein Schadensersatzanspruch bei einem Sturz von einer Rettungstrage könne nur begründet werden, wenn die Trage falsch gehandhabt oder unzureichend gewartet wurde. Beides ist in diesem Fall nicht ersichtlich. Die Trage sei am Unfalltag bei Dienstbeginn auf Sicht überprüft worden und habe ein aktuelles TÜV-Siegel. Ein vollständiger und tiefgreifender Funktionstest könne nicht vor jedem Einsatz verlangt werden und übersteige bei nicht erkennbaren Materialfehlern die Möglichkeiten des Rettungsdienstes.

Der Patient habe weder Fehler bei der Handhabung mit der Trage durch einen der Sanitäter noch Wartungsfehler beweisen können. Dem Beklagten – bzw. seinen Bediensteten – könne keine Pflichtverletzung nachgewiesen werden.

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Zuständigkeit des Wohnungseigentumsgerichts für Klagen ehemaliger Wohnungseigentümer

Michael PeusMichael Peus

BGH, Urt. v. 13.12.2019 – V ZR 313/16

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Wohnungseigentumssachen gem. § 43 Nr. 1 WEG sind Streitigkeiten über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander. Dies ist weit auszulegen.
  2. Für die Zuständigkeit des Gerichts kommt es nur darauf an, ob das in Anspruch genommene Recht oder die ihn treffende Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die sich aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer ergibt.
  3. Das Ausscheiden eines Eigentümers aus der Wohnungseigentümergemeinschaft vor Rechtshängigkeit ändert nichts an der Zuständigkeit des Wohnungseigentumsgerichts.

 

Sachverhalt

Kläger und Beklagte waren Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger verlangen von den Beklagten Schadensersatz für einen Wasserschaden. Dieser sei in Wohn- und Badezimmer infolge einer Leckage im Abflussrohr des darüber liegenden Badezimmers der Beklagten entstanden. Die Haftpflichtversicherung der Wohnungseigentümergemeinschaft hatte bereits die Kosten für den Schaden an der Wohnzimmerdecke übernommen. Die Kläger verlangen nun die Kosten für den Schaden im Badezimmer. Sie veräußerten ihre Wohnung noch vor Rechtshängigkeit der Klage.

 

Das Amtsgericht Bottrop (allgemeine Zivilabteilung) hatte die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation abgewiesen. Die Rechtsmittelbelehrung wies das Landgericht Essen als zuständiges Berufungsgericht aus. Die Kläger erhoben bei dem Landgericht Dortmund Berufung. Das Landgericht Dortmund hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen, da es sich für unzuständig hielt. Es vertrat die Ansicht, dass es sich nicht um eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG mit der Sonderzuständigkeit nach § 72 Abs. 2 GVG handele. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Revision.

 

§ 43 WEG

Zuständigkeit

(1) 1Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer hat ihren allgemeinen Gerichtsstand bei dem Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt. 2Bei diesem Gericht kann auch die Klage gegen Wohnungseigentümer im Fall des § 9a Absatz 4 Satz 1 erhoben werden.

(2) Das Gericht, in dessen Bezirk das Grundstück liegt, ist ausschließlich zuständig für

  1. Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander,
  2. Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten zwischen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und Wohnungseigentümern,
  3. Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten des Verwalters einschließlich solcher über Ansprüche eines Wohnungseigentümers gegen den Verwalter sowie
  4. Beschlussklagen gemäß § 44.

 

§ 72 Abs. 2 GVG

(2) In Streitigkeiten nach § 43 Absatz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes ist das für den Sitz des Oberlandesgerichts zuständige Landgericht gemeinsames Berufungs- und Beschwerdegericht für den Bezirk des Oberlandesgerichts, in dem das Amtsgericht seinen Sitz hat. Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung anstelle dieses Gerichts ein anderes Landgericht im Bezirk des Oberlandesgerichts zu bestimmen. Sie können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

 

 

Entscheidung

Mit Erfolg! Die Kläger haben trotz der falschen Rechtsmittelbelehrung bei dem zuständigen Gericht Berufung eingelegt.

 

Das Landgericht Dortmund war gem. § 72 Abs. 2 GVG für die Entscheidung der Berufung zuständig, da es sich um eine Wohnungseigentumssache i.S.v. § 43 Nr. 1 WEG handelt. Hierunter fallen auch Streitigkeiten aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Dies ist wiederum weit auszulegen. Maßgeblich für die Beurteilung ist, ob das in Anspruch genommene Recht oder die Pflicht in einem inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwachsen ist. Die Rechtsgrundlage, aus der sich die Ansprüche ergeben, ist für die Beurteilung hingegen irrelevant.

 

Dass der Kläger nicht mehr Teil der Wohnungseigentümergemeinschaft ist, spielt für die Zuständigkeit des Gerichts keine Rolle, denn § 43 WEG ist nicht personen-, sondern gegenstandsbezogen. Der innere Zusammenhang der Streitigkeit mit dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer entfällt nicht dadurch, dass eine der Parteien vor Rechtshängigkeit aus der Wohnungseigentümergemeinschaft ausscheidet.

 

Bei Streitigkeiten nach § 43 Nr. 1 WEG, gilt § 72 Abs. 2 GVG unabhängig davon, ob in der ersten Instanz nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständige Amtsrichter entschieden hat.

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Haftung und Beweislast des Fahrzeugführers bei einem Unfall mit Fußgänger

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Urteil vom 06.09.2019 – 7 U 18/17

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Zum verkehrsrichtigen Verhalten im Vorfeld einer erkennbaren bzw. bekannten Geschwindigkeitsbegrenzung.
  2. Zur Führung des Entlastungsbeweises des § 18 Abs. 1 S. 2 StVG obliegt es dem von einem Fußgänger wegen eines Verkehrsunfalls mit einem Kfz in Anspruch genommenen Fahrer, darzulegen und zu beweisen, dass der Fußgänger auch bei einer geringeren Kollisionsgeschwindigkeit des Kfz infolge verkehrsrichtiger moderater Beschleunigung ebenso schwere Verletzungen erlitten hätte.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt u.a. Schmerzensgeld, Schadensersatz für Erwerbsschäden und vermehrte Bedürfnisse und eine Geldrente aus einem Verkehrsunfall. Bei diesem überquerte er zu Fuß eine Straße, als er von dem Auto der Beklagten zu 1), das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, erfasst wurde. Er erlitt schwerste Verletzungen und ist seitdem dauerhaft an einen Rollstuhl gebunden. Dadurch ist es ihm unmöglich geworden, seinen Beruf auszuüben. Er lebt nun in einer Eigentumswohnung, die behindertengerecht ausgebaut werden musste.

Das Landgericht wies die Klage ab. Ein Anspruch gem. §§ 7 StVG, 115 VVG, 1 PlfVG gegen die Beklagte zu 2) scheide aus, da der Kläger durch grob fahrlässiges Verhalten den Unfall verursacht habe, indem er trotz herannahendem Fahrzeugs des Beklagten zu 1) die Fahrbahn überquerte und so in besonders schwerer Weise gegen § 25 Abs. 2 StVO verstieß. Die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr trete deshalb hinter dem Mitverschulden des Klägers zurück. Gegen die Beklagte zu 1) komme auch kein Anspruch aus § 18 StVG in Betracht, da die Ersatzpflicht des Beklagten zu 1) gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG ausgeschlossen sei.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger weiterhin seine Begehren und ist der Ansicht, dass die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1) mit 20% berücksichtigt werden müsse und diese nicht hinter seinem Verschulden zurücktrete.

 

Entscheidung

Das OLG Hamm spricht dem Kläger Ersatz der unfallbedingten Schäden nach einer Haftungsquote von 20% zu Lasten der Beklagten zu. Bzgl. der Beklagten zu 1) ergibt sich dieser Anspruch aus § 18 Abs. 1 StVG, bzgl. der Beklagten zu 2) aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

Nach § 18 Abs. 1 StVG wird das Verschulden des Fahrzeugführers vermutet, bis dieser seine Entlastung gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG beweisen kann. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) jedoch nicht nachgewiesen, sich in der Verkehrssituation richtig verhalten zu haben.

Der Beklagte zu 1) fuhr maximal 75 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, sodass kein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO vorliegt.

Jedoch befand sich der Kläger nur 8,1m vor dem die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkenden Verkehrszeichen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit muss bereits ab dem Standort des die Höchstgeschwindigkeit vorschreibenden Schildes eingehalten werden. Auf diesem Stück, das zwischen einer Kreisverkehrausfahrt und dem die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkenden Schild liegt, beschleunigte der Beklagte zu 1) trotz seiner Ortskundigkeit, mehr als moderat. Eine Erreichung von 100 km/h ist auf dieser Strecke aufgrund der kurzen Distanz nicht möglich.

Ein Durchschnittsfahrer hätte aufgrund seiner Ortskenntnis nicht mehr als moderat beschleunigt, sodass seine Geschwindigkeit am Standort des Verkehrszeichens nicht mehr als 70 km/h betragen hätte. Die Geschwindigkeit im Bereich der Unfallstelle hätte somit auch nur 60 km/h betragen. Dadurch wäre der Kläger nicht mittig, sondern weiter außen vom Pkw erfasst worden, womit auch die Wahrscheinlichkeit geringerer Verletzungsfolgen größer ist. Hiergegen trat der Beklagte keinen Entlastungsbeweis an, sodass seine Haftung aus § 18 StVG nicht entfällt.
Der Unfall selbst war hingegen auch bei einer angepassten Geschwindigkeit räumlich und zeitlich nicht vermeidbar.

 

Im Rahmen der Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge ist auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 S. 1, 2 StVO anzulasten.
Auf Beklagtenseite ist eine einfache Betriebsgefahr des Pkw i.H.v. 20% zu berücksichtigen. Diese tritt auch – entgegen der Ansicht des Landgerichtes – nicht hinter dem (nicht bewiesenen) Verschulden des Klägers zurück. Zwar kann die Gefährdungshaftung für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges in den Fällen überwiegend zurücktreten oder gänzlich entfallen, in denen das nicht motorisierte Unfallopfer durch ein grob verkehrswidriges Verhalten eine Unfallursache gesetzt hat, jedoch kommt ein Haftungsausschluss nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies ist z.B. bei der Haftung wegen überwiegenden Mitverschuldens bei Fußgängerunfällen der Fall, wenn besondere Umstände das Verschulden als außergewöhnlich schwer erscheinen lassen.
Bei grober Fahrlässigkeit lässt sich ein Haftungsausschluss bei Fußgängerunfällen nur dann rechtfertigen, wenn die Betriebsgefahr des Pkw geringer zu werten ist. Dieser Haftungsausschluss z.B. ist in Betracht zu ziehen, wenn sich der Fahrzeugführer nachweislich wie ein Idealfahrer verhalten hat. Wenn auch ein Idealfahrer den Unfall hätte nicht vermeiden können, spricht dies dafür, die betriebsbedingte Haftung komplett zurücktreten zu lassen.
Dass der Beklagte zu 1) sich wie ein Idealfahrer verhalten hat, steht jedoch nicht fest. Hierzu hätte es eines weitergehenden Entlastungsbeweises bedurft.

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Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist ohne entsprechende Ersatzbeschaffung nicht zulässig

Michael PeusMichael Peus

BGH, Urteil vom 29.09.2020 – VI 271/19

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist nicht zulässig. Der Vortrag, die Anschaffung eines Neuwagens aus finanziellen Gründen unterlassen zu haben, ändert hieran nichts.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt Schadensersatz i.H.v. 37.923,32€ aus einem Verkehrsunfall, bei dem sein neu erworbenes Fahrzeug (Kilometerstand: 571km) beschädigt wurde. Hierbei rechnet er die Kosten für einen Neuwagen fiktiv ab (37.181€) und verlangt weiterhin Sachverständigenkosten i.H.v. 712,32€ und eine Kostenpauschale i.H.v. 30€. Die Beklagten sind dem Grunde nach voll einstandspflichtig. Das Landgericht gab der Klage i.H.v. 37.918,32€ statt und wies einen Teil der Kostenpauschale ab.

Auf die Berufung der Kläger hin sprach das OLG dem Kläger nur noch die Reparaturkosten, die Sachverständigenkosten, eine Wertminderung und eine Kostenpauschale von insgesamt 6.180,54€ zu.

Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin seinen Anspruch auf Neuwagenentschädigung i.H.v. 31.787,78€.

 

Entscheidung

Die Revision hat jedoch keinen Erfolg. Der Schadensersatzanspruch kann nicht geltend gemacht werden, da der Kläger sich keinen Neuwagen angeschafft hat. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist nur möglich, wenn ein fabrikneues Fahrzeug mit einer Laufleistung von weniger als 1.000km erheblich beschädigt und ein gleichwertiges Neufahrzeug als Ersatz angeschafft wurde. Auch der Vortrag des Klägers, die Anschaffung aus finanziellen Gründen unterlassen zu haben, genügt für eine fiktive Abrechnung nicht.

Der höhere Schadensausgleich durch die Abrechnung auf Neuwagenbasis dient dem besonderen Interesse des Geschädigten an seinem Eigentum und der Nutzung des Neuwagens. Dieses besondere Interesse besteht jedoch nur, wenn dieses im konkreten Einzelfall durch den Kauf eines Neuwagens nachgewiesen wird. Dann ist der höhere Schadensausgleich auch mit dem Wirtschaftlichkeitspostulat und dem Bereicherungsverbot vereinbar.

Der Revision kann auch durch ein nachträgliches Beschaffen eines Neuwagens nicht zum Erfolg verholfen werden, denn das OLG hatte diesen Sachverhalt gerade nicht zu entscheiden. Der Kläger hatte sich unstreitig keinen Neuwagen als Ersatz beschafft. Der Fall der Neubeschaffung ist somit nicht von der Rechtskraft umfasst.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 07/2021)

Michael PeusMichael Peus

zur aktuelleren Übersicht (08/2022)

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes selbstverständlich auch keine Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes.

Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg).

Falls ein Geschädigter auch Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG BonnLG Regensburg und OLG Koblenz. Gesperrt ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, wenn der Schädiger nach den Vorschriften des SGB VII privilegiert ist, vgl. LG Koblenz und LG Mainz, aA OLG Koblenz (nicht rechtskräftig; anhängig BGH VI ZR 3/21).

Die Ansicht des OLG Koblenz, dass Ansprüche auf Hinterbliebenengeld nicht nach den Vorschriften der §§ 104 f. SGB VII ausgeschlossen seien, ist abzulehnen. Sowohl § 104 SGB VII als auch § 105 SGB VII schließen Ansprüche aus und benennen dabei ausdrücklich auch die Angehörigen und Hinterbliebenen, denen kein Ersatz geschuldet werde. Der BGH hat zwar für das originär beim Angehörigen entstandene Schmerzensgeld eine Ausnahme gemacht – aber nur für das bei ihm in Person entstandene Schmerzensgeld. § 844 Abs. 3 BGB knüpft hingegen unmittelbar daran an, dass jemand „ersatzpflichtig‟ sein muss. Und das ist er bei einer ausschließlichen Verletzung des Mitarbeiters bzw. Arbeitskollegen nicht. Abzuwarten bleibt, wie sich der Bundesgerichtshof dazu positioniert; das Verfahren ist dort anhängig unter dem Aktenzeichen VI ZR 3/21.

Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB

Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Für die Erbfähigkeit ordnet § 1923 Abs. 2 BGB an, dass der bereits gezeugte Mensch als vor dem Erbfall geboren gilt, wenn er zum Zeitpunkt des Erbfalls bereits gezeugt war. Das ist aber eine Ausnahmevorschrift. Dieser Mensch wird demnach bereits vor der Geburt Erbe. Für das Erbrecht gilt mithin eine Rechtsfähigkeit schon vor der tatsächlichen Geburt. Auch § 844 Abs. 2 S. 2 BGB sieht diesen Rechteerwerb für Gezeugte, aber noch nicht Geborene vor. § 844 Abs. 3 BGB sieht eine solche Erstreckung indes nicht vor. Der Gesetzgeber hat sich auch mit dem aktuellen Schutz des ungeborenen Lebens befasst (WD 7 – 3000 – 256/18), § 844 Abs. 3 BGB aber gerade nicht genannt. Nunmehr bleibt die Entscheidung des OLG München – Zweigstelle Augsburg – abzuwarten, welches voraussichtlich am 05.08.2021 zum Aktenzeichen 24 U 5354/20 entscheiden wird, ob es in § 844 Abs. 3 BGB eine versehentliche Regelungslücke sieht und man § 844 Abs. 2 S. 2 BGB mit hineinlesen muss oder – was aufgrund des offensichtlichen Unterschieds zwischen § 844 Abs. 2 und Abs. 3 BGB näher liegt – der Gesetzgeber bei dem Hinterbliebenengeld vom Grundsatz des § 1 BGB ausgegangen ist. Dass einem ungeborenen Kind kein Hinterbliebenengeld zusteht, liegt nach hier vertretener Ansicht auch deshalb näher, weil die Bindung zwischen Ungeborenem und dem verstorbenem Vater kaum messbar ist. Wie sollte dieses Verhältnis in Geld bemessen werden im Vergleich zu wahrnehmbaren Beziehungen zwischen Geborenen?

Nachstehend ein Überblick über einige veröffentlichten Entscheidungen:

 

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Versterben am 14.10.2015 im Rahmen einer Krebsbehandlung OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 19.04.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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WEG: Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Wohnungseigentümers (für vor dem 01.12.2020 anhängige Verfahren)

Michael PeusMichael Peus

BGH, Urteil vom 07.05.2021 – V ZR 299/19

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Einzelne Wohnungseigentümer, die nach bisher geltendem Recht prozessbefugt waren und ein vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängiges Verfahren besteht, sind weiterhin prozessbefugt, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9a WEG vertretungsbefugten Organs (z.B. ein Hausverwalter) über den entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zur Kenntnis gebracht wird.
  2. Der Rechtsgedanke des § 48 Abs. 5 WEG gilt bis dahin fort.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist zusammen mit einer weiteren Person Eigentümer eines Grundstücks. Er verlangt die Beseitigung oder hilfsweise die Zurückschneidung von vier Zypressen, die auf dem Nachbarsgrundstück an der angrenzenden Grundstücksseite zum Kläger, in weniger als vier Metern Abstand zur Grundstücksgrenze gepflanzt wurden.

Nachdem das Amtsgericht der Klage stattgab, wies das Landgericht die Berufung der Beklagten zurück. Mit der Revision möchten die Beklagten nun eine Klageabweisung erreichen.

 

Problemdarstellung

Der BGH hatte hier zu entscheiden, ob der Kläger nach dem seit dem 01.12.2020 geltenden § 9a Abs. 2 WEG überhaupt noch prozessführungsbefugt ist. Nach dem bisherigen WEG war der Kläger allein prozessführungsbefugt, nach der neuen Fassung, ist zur Geltendmachung von Ansprüchen aus dem gemeinschaftlichen Eigentum jedoch nur die gesamte Wohnungseigentümergemeinschaft befugt. Daher wäre die Klage folglich als unzulässig abzuweisen.

Da die Klage jedoch bereits vor dem 01.12.2020 erhoben wurde und sie daher nach dem zu dieser Zeit geltenden, alten Fassung des WEG zulässig war, stellt sich die Frage, wie dies nun rechtlich zu beurteilen ist.

 

Entscheidung

Die Prozessführungsbefugnis besteht für vor dem 01.12.2020 anhängige Verfahren nach dem Rechtsgedanken des § 48 Abs. 5 WEG fort, solange dem Gericht kein entgegenstehender Wille der Eigentümergemeinschaft schriftlich zur Kenntnis gebracht wurde.

Denn die Regelung des § 48 Abs. 5 WEG enthält nach dem BGH eine planwidrige Regelungslücke. Wäre die Prozessführungsbefugnis des Klägers nach dem neuen WEG nachträglich entfallen, wäre das bereits jahrelang, über mehrere Instanzen geführte Verfahren nutzlos gewesen, hätte jedoch Aufwand und Kosten verursacht.

 

Gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber dies bewusst gewollt und hingenommen hätte, spräche, dass in der Gesetzesbegründung keine Erläuterungen hierzu enthalten sind.

Zudem läge sodann ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Hierzu wäre aufgrund des Ausmaßes des Eingriffs und der Vielzahl der Betroffenen eine Gesetzesbegründung anhand des gesetzgeberischen Ziels zu erwarten gewesen. Der Gesetzgeber hätte ausführen müssen, wieso dem Vertrauen des Wohnungseigentümers ein geringeres Gewicht zukommt.

Weiterhin führt der BGH aus, dass der Gesetzgeber, wenn er diese Regelungslücke erkannt hätte, diese wahrscheinlich ähnlich des § 48 Abs. 5 WEG und nach dem Rechtsgedanken des § 9a Abs. 2 WEG geschlossen hätte.
Auch § 48 Abs. 5 WEG deute daraufhin, dass der Gesetzgeber keine prozessualen Änderungen an bereits anhängigen Verfahren beabsichtigte.

Daher nimmt der BGH an, dass der Gesetzgeber auch im Hinblick auf den neuen § 9a WEG, die Prozessführungsbefugnis im anhängigen Verfahren nicht entfallen lassen wollte. Zugleich wollte er aber auch durch § 9a WEG den Rechten der WEG Rechnung tragen. Die WEG hätte das anhängige Verfahren selbst als Partei übernehmen oder die Fortführung des Prozesses untersagen können.

Demnach ist der Kläger mangels entgegenstehenden Willens des weiteren Wohnungseigentümers auch weiterhin prozessführungsbefugt. Der Anspruch auf Beseitigung der Zypressen ist begründet und die Revision der Beklagten daher nicht erfolgreich.

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