Hinterbliebenengeld – Darstellung (Stand 03/2022)

Michael PeusMichael Peus

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Die Regelungen zum Hinterbliebenengeld wurden am 17.07.2017 in dem „Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld‟ vom Bundestag beschlossen. So heißt es in § 844 Abs. 3 BGB:

(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.

 

1. normative Grundlagen

In verschiedenen Gesetzen wurde diese Regelung eingeführt:

  • § 844 III BGB (Bürgerliches Gesetzbuch),
  • § 86 III AMG (Arzneimittelgesetz),
  • § 32 IV GenTG (Gentechnikgesetz),
  • § 7 III ProdHaftG (Produkthaftungsgesetz),
  • § 12 III UmweltHG (Umwelthaftungsgesetz),
  • § 28 III AtG und § 15 III AtG (Atomgesetz),
  • § 10 III StVG (Straßenverkehrsgesetz),
  • § 5 III HaftPflG (Haftpflichtgesetz),
  • § 35 III LuftVG und
  • § 72 VI LuftVG (Luftverkehrsgesetz).

 

2. zeitlicher Anwendungsbereich

Die Überleitungsvorschrift findet sich im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter Art. 229 § 43 EGBGB. Diese Regelungen gelten für zum Tod führende Verletzungen, die nach dem 22.07.2017 eingetreten sind. Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg). Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes auch keine mittelbare Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes.

 

3. Ausschluss nach SGB VII !

Die Frage war umstritten. Nunmehr hat der BGH (VI ZR 3/21) entschieden, dass eine Privilegierung des Schädigers nach §§ 104, 105 SGB VII auch zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld führt. Damit gelangte der Bundesgerichtshof zum selben Ergebnis, wie wir bereits vertreten haben. Dem OLG Koblenz erteilt der BGH mithin eine klare Absage und teilt die Rechtsansicht des LG Koblenz und LG Mainz.

 

4. Bemessungskriterien

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich der Höhe nach in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Entsprechend der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld muss ein Anspruchsteller nur einen Mindestbetrag fordern, ohne dass das Gericht durch diesen an einer höheren Bewertung gehindert wäre (vgl. LG München II). Darin liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 2 ZPO (ne ultra petita).

Falls ein Geschädigter (auch) Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG BonnLG Regensburg, OLG Koblenz und OLG München.

Ein Mitverschulden des Verstorbenen ist anspruchsmindernd (bis anspruchsausschließend, LG Limburg) zu berücksichtigen, vgl. OLG Koblenz.

 

5. Angehörige: auch der Nasciturus!?

Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB

Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Entsprechend den hiesigen Erwägungen in der Übersicht 07/2021 hat das OLG München entschieden, dass dem Nasciturus kein Hinterbliebenengeld zusteht.

 

6. Exkurs: Strafrecht

Falls ein Angehöriger einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat, ist er in einem Strafverfahren gegen den Schädiger Verletzter im Sinne des § 403 StPO (Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren), vgl. BGH im Beschluss vom 05.09.2019 – 4 StR 178/19. Er ist jedoch kein Verletzter im Sinne des § 46a StGB (Täter-Oper-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung), vgl. BGH im Beschluss vom 06.06.2018 – 4 StR 144/18.

 

7. Höhe
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Verwaltungshelfer

Michael PeusMichael Peus

Der Staat und öffentlich-rechtliche Körperschaften bedienen sich um ihre Funktionen wahrzunehmen an juristischen und natürlichen Personen, die entweder mit hoheitsrechtlichen Kompetenzen ausgestattet sind (Beliehene) oder nur im Einzelfall Tätigkeiten nach Vorgabe verrichten (Verwaltungshelfer). Diese gelten als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn.

 

Verwaltungshelfer sind private Hilfsorgane, Erfüllungsgehilfen oder Vollzugshelfer, die in die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben einbezogen werden. Eine Verwaltungshilfe liegt dann vor, wenn ein Privatsubjekt freiwillig eine Behörde bei deren Wahrnehmungen von hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unterstützt und dabei nicht über eine Hoheitsbefugnis verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 06.06.019 – III ZR 124/18).

Verwaltungshelfer können beispielsweise vorbereitend bei der Entscheidung der Behörden mitwirken oder auch als ausführende Verwaltungshilfe tätig werden, allerdings haben sie keine eigene Entscheidungsbefugnis. Dabei bleibt die Aufgabe als solches in staatlicher bzw. kommunaler Verantwortung; das Handeln des Verwaltungshelfers aber stets privatrechtlicher Natur.

Die Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zur hoheitlichen Aufgabe ist dabei entscheidend.

„Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe und je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers, desto näher liegt es, ihn [den Verwaltungshelfer] als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen.“

(AG Wuppertal, Urteil vom 25.02.2021 – 39 C33/20, vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.2019 – III ZR 124/18 )

 

Der Verwaltungshelfer handelt als „Werkzeug“ oder verlängerter Arm des Hoheitsträgers. Er ist ein unselbstständiger und weisungsabhängiger Helfer (anders als Beliehene), da er nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Hoheitsträgers tätig wird.

Der Hoheitsträger muss die Handlung des Verwaltungshelfers gegen sich gelten lassen, da das Handeln des Verwaltungshelfers der Behörde zugerechnet wird, für die er tätig ist (Ausschluss persönlicher Haftung nach Art. 34 GG). Auch bei Fehlverhalten des für die Behörde handelnden Verwaltungshelfers können Amtshaftungsansprüche nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB im Regelfall nur gegen die Behörde geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2004 – III 169/04).

 

Beispiele:

In der Praxis gibt es ein weites Anwendungsspektrum der Verwaltungshelfer. Ein privater Abschleppunternehmer ist beispielsweise als Verwaltungshelfer tätig, wenn er im Auftrag der Polizei einen im Halteverbot stehenden Pkw abschleppt. Kanalarbeiten gelten auch als Verwaltungshilfe (vgl. AG Wuppertal, Urteil vom 25.02.2021 – 39 C33/20), wie auch der Winterdienst für die Gemeinde (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 17.09.2015 – 4U 27/15, BGH, Urteil vom 21.01.1993 – III ZR 189/91). Auch Bauarbeiten im Auftrag der Stadtwerke (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.01.2015 – 16 U 99/14) oder bei Umbauarbeiten von Haltestellen des öffentlichen Personenverkehrs (vgl. AG Essen, Urteil vom 21.09.2021 – 20 C45/20) können eine Verwaltungshilfe darstellen.

 

Zu beachten:

  • Es besteht ein Haftungsausschluss bzgl. des Verwaltungshelfers nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S.1 GG, da in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts gehandelt wurde. Dabei verdrängt 839 BGB alle konkurrierenden Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.01.2015 – 16 U 99/14).
  • Die Einbeziehung des Verwaltungshelfers in eine Aufgabenwahrnehmung unterliegt keinem institutionellen Gesetzesvorbehalt (anders als bei der Beleihung), da der Verwaltungshelfer weder im eigenen Namen noch unter Einsatz von Hoheitsbefugnissen auftritt.
  • Es liegt kein Legitimationsproblem vor, wenn das Handeln des Verwaltungshelfers der Behörde zugerechnet wird.
  • Der Funktionsvorbehalt gem. Art. 33 Abs. 4 GG wird nicht berührt.
  • Das Haftungsprivileg beim „Innenregress“ (Art. 34 S. 2 GG) wendet der BGH nicht für Verwaltungshelfer an, die als selbstständige private Unternehmer von der Behörde eingesetzt worden sind.

 

 

Abgrenzung:

Abzugrenzen ist der Verwaltungshelfer von dem Beliehenen. Im Gegensatz zu dem Verwaltungshelfer, sind Beliehene selbständig tätig bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Beliehene sind natürliche oder juristische Personen, die durch das Gesetz oder Verwaltungsakte hoheitlich befugt werden. Sie erfüllen ebenfalls Hoheitsaufgaben, handeln jedoch im eigenen Namen und eigener Verantwortung und (falls erforderlich) unter Einsatz der ihnen übertragenen Hoheitsbefugnisse. Zum Beispiel sind Notare, der TÜV oder auch Schiffskapitäne Beliehene.

 

 

Weiterführend:

BeckOK VwGO / Reimer, VwGO § 40 Rn. 80, 59. Ed. 01.04.2021.

BeckOK VwVfG / M. Ronellenfitsch, VwVfG § 1 Rn. 74, 53. Ed. Stand: 01.10.2020.

Schoch/Schneider VwVfG/Schoch, VwVfG § 1 Rn. 170-174, Grundwerk Juli 2020.

NK-VwVfG / Klaus Schönenbroicher, VwVfG § 1 Rn. 76-78, 2. Aufl. 2019.

MüKo / Papier/Shirvani, BGB § 839 Rn. 187, 188, 8. Aufl. 2020.

NK-VwGO / Helge Sodan, VwGO § 40 Rn. 356-369, 5. Aufl. 2018.

 

 

 

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Hinterbliebenengeld XIV: kein Hinterbliebenengeld ohne Näheverhältnis

Michael PeusMichael Peus

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BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenengeld. Ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebte, tötete am 08.02.2020 einen Mann, mit dem sie eine Ende November 2019 begonnene intime Liebesbeziehung hatte. Diese Beziehung wollten sie als auch das Opfer noch geheim halten. Das Opfer stritt im Freundeskreis eine Beziehung deshalb auch ab. In der Woche vor der Tötung übernachtete das Opfer täglich bei der Klägerin.

 

Entscheidung
Nachdem die Klägerin nicht zu dem in § 844 Abs. 3 BGB genannten Personenkreis gehörte, hätte sie ein besonderes persönliches Näheverhältnis beweisen müssen. Anhand der feststehenden Tatsachen konnte ein solches jedoch nicht festgestellt werden.

„Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung maßgeblich (vgl. BT-Drucks. 18/11397, S. 12 f.; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 6 StR 48/20, Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 844 Rn. 101; BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.09.2021, § 844 BGB Rn. 221).‟

Die gelebte, etwa 2 Monate anbahnende Beziehung genügte nicht, um ein gelebtes Näheverhältnis zu begründen.

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Fristverlängerungs- vor Wiedereinsetzungsantrag

Michael PeusMichael Peus

BGH, Beschl. v. 27.05.2021 – III ZB 64/20

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Prozessbevollmächtigter, der erkennt, eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht einhalten zu können, muss durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die Fristverlängerung rechtlich zulässig und ein Vertrauen auf deren Bewilligung begründet ist.

 

Sachverhalt

Eine Prozessbevollmächtigte erster Instanz legte Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2020 ein. Die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung wurde auf Antrag hin durch das Berufungsgericht erstmals verlängert. Dann meldeten sich für die Beklagte neue Prozessbevollmächtigte, die mit der Einwilligung der Gegenseite einen weiteren Fristverlängerungsantrag stellten, weil der zuständige Anwalt urlaubsabwesend war. Dieser Antrag wurde von dem Berufungsgericht zurückgewiesen.

 

Deshalb wurden doch die ursprünglichen Prozessbevollmächtigen mit der Fertigung der Berufungsbegründungsschrift beauftragt.

 

Die Prozessbevollmächtigte stellte am letzten Tag der Frist um 23:00 Uhr den Schriftsatz fertig, konnte ihn jedoch aufgrund eines unvorhersehbaren Druckerfehlers nicht ausdrucken und an das Gericht faxen. Ein Ersatzdrucker war wegen der Fahrzeit eines Angehörigen erst am Folgetag um 2:45 Uhr bei der Bevollmächtigten, sodass die Berufungsbegründungsschrift erst nach 3:30 Uhr bei Gericht einging, mithin verspätet.

 

Es wurde Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist gestellt.

 

Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Da um 23 Uhr erkennbar war, dass ein Ersatzdrucker nicht bis Mitternacht eintreffen könnte, hätte ein neuer Fristverlängerungsantrag gestellt werden müssen. Zudem dargelegt werden müssen, dass die neuen Prozessbevollmächtigen kein Verschulden für die Versäumung der Frist treffe und diese nicht in der Lage waren, die Berufungsbegründung innerhalb der Frist einzureichen. Zumindest hätte eine Vertretung für den ortsabwesenden Rechtsanwalt organisiert sein müssen.

 

Hiergegen wendet sich die Beklagte nun mit der Rechtsbeschwerde.

 

Entscheidung

Mit Erfolg: Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gewährt.

 

  1. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung konnte nicht damit begründet werden, dass die neuen Prozessbevollmächtigen die fristgerechte Einreichung der Berufungsbegründung hätten sicherstellen müssten, denn diese waren nicht mit der Fertigung der Berufungsbegründungsschrift betraut.
  2. Weiterhin stellt das Verhalten der ursprünglichen Prozessbevollmächtigten kein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden dar, das sich die Beklagte gem. § 85 II ZPO zurechnen lassen müsse. Zwar sind Prozessbevollmächtigte, die erkennen, die Frist nicht mehr einhalten zu können, gehalten, einen rechtzeitigen Fristverlängerungsantrag zu stellen um einen Wiedereinsetzungsantrag zu verhindern, hierzu muss die Fristverlängerung jedoch rechtlich zulässig sein und der Antragsteller müsste auch auf die Bewilligung vertrauen dürfen.

 

Vorliegend war das nicht der Fall. Denn für einen erneuten, aussichtsreichen Fristverlängerungsantrag hätte zunächst die Einwilligung der Gegenseite eingeholt werden müssen (§ 520 Abs. 2 S. 2 ZPO). Dies war um 23:00 Uhr am letzten Tag der Frist nicht mehr möglich. Auch die zuvor den neuen Prozessbevollmächtigen erteilte Einwilligung kam hierfür nicht in Betracht, denn diese war vor einem anderen Hintergrund erteilt worden und der Fristverlängerungsantrag bereits beschieden. Es konnte somit kein rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag mehr gestellt werden.

 

Anmerkung

Seit 2022 sind die bestimmenden Eingaben bei Gericht per beA einzureichen. Für die Zeit zuvor kann man unter Berücksichtigung der Urteilsgründe deuten, dass es kein Verschulden darstellte, Schriftsätze nicht per beA zu versenden, wenn der „analoge“ Weg – auch per Telefax – scheiterte.

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Hinterbliebenengeld XIII: Hinterbliebenengeld nach Verkehrsunfall

Michael PeusMichael Peus

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Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 23.02.2021 – 7 U 149/20

 

Amtliche Leitsätze

  1. Es gibt keine Legaldefinition für „seelisches Leid“. Mit dem Hinterbliebenengeld soll der Trauerschaden, der die erlittenen seelischen Beeinträchtigungen umfasst, abgegolten werden.
  2. Der Betrag von 10.000,00 € stellt nach dem Sinn und Zweck der neu eingefügten Regelungen (§§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG) keine Obergrenze, sondern Anker, Richtschnur und Orientierungshilfe für die Bemessung im Einzelfall dar. Bei der konkreten Bemessung ist § 287 ZPO anwendbar.
  3. Schockschäden für psychisches Leid einerseits und Hinterbliebenengeld für seelisches Leid andererseits stehen nicht in einem Stufenverhältnis zueinander, sondern es handelt sich um zwei unterschiedliche Ansprüche. Andauernde seelische Schmerzen können zumindest gleichwertige oder sogar – je nach Dauer und Intensität – höhere Betroffenheiten auslösen.
  4. Wie beim Schmerzensgeld handelt es sich auch beim Hinterbliebenengeld um einen Anspruch wegen einer immateriellen Einbuße. In beiden Fällen sind sowohl die Ausgleichs- als auch die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen.
  5. Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes muss sich in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens- / Hinterbliebenengeld einfügen.

 

Zum Fall
Im Dezember 2018 ist der Vater der Klägerin bei einem schweren Verkehrsunfall verunglückt. Der Vater der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrers. Die Klägerin verlangt ein Hinterbliebenengeld in Höhe von mindestens 10.000 €.

 

Entscheidung
Das Oberlandesgericht sah ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 10.000 € als berechtigt an.

 

1. Besonderes Näheverhältnis
Nach § 10 III StVG (entsprechend § 844 III BGB) schuldet der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der mit dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld. Ein besonders Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene ein Kind des Getöteten ist. Mit dem Hinterbliebenengeld soll der Trauerschaden abgegolten werden, sofern kein Nachweis für eine physische oder psychische Erkrankung geführt werden kann bzw. die Schwelle zum nachweisbarer Schockschaden nicht überschritten wurde.

2. Bemessung des Hinterbliebenengeldes
Das Hinterbliebenengeld soll eine angemessene Entschädigung in Geld für das seelische Leid sein. Es kann nie das Leid des Betroffenen aufwiegen, dient aber zur Anerkennung und Linderung des seelischen Leids. Im Gesetz oder in der Gesetzesbegründung gibt es jedoch keine konkreten Vorgaben, wie die Bemessung erfolgen soll. Allgemeingültige Bemessungskriterien könnten nicht bestimmt werden, da die Beurteilung und Bewertung bei körperlichen und psychischen Schäden stets im Zusammenhang mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist.  Das Hinterbliebenengeld erfolgt aus einem Anspruch wegen immaterieller Einbuße (Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion). Als Anhaltspunkt für die Vorstellungen des Gesetzgebers gelte der Betrag von 10.000 €. Dieser stelle aber lediglich einen Anker bzw. Orientierungshilfe für die Bemessung dar. Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes muss sich in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens-/ Hinterbliebenengeld einfügen (europäisches Entschädigungsniveau deutlich höher)

Das OLG hielt in diesem Fall eine Zahlung von insgesamt 10.000 € für angemessen, weil der Vater der Klägerin verstarb, zu dem sie ein enges Verhältnis pflegte, sie z.B. seine Notfallkontaktperson war.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 03/2022)

Michael PeusMichael Peus

zur allgemeinen textlichen Darstellung 03/2022

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Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Nasciturus (Vater verstarb vor der Geburt)
kein Näheverhältnis
Nasciturus ist nach § 1 BGB noch nicht rechtsfähig; eine Ausnahme – wie in § 844 Abs. 2 BGB – hat der Gesetzgeber nicht gemacht; von einer ungewollten Regelungslücke ist nicht auszugehen. Verkehrsunfall in 2017 OLG München im Endurteil vom 05.08.2021, Az. 24 U 5354/20
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Krebsbehandlung in 2015 OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 17.09.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 anbändelnde Partnerschaft
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • erste Anbahnung des Verhältnisses ca. 25.11.2019, also knapp 2 Monate vor Tötung
  • Beziehung wurde beiderseits noch geheim gehalten
  • in der Woche vor der Tötung täglicher Besuch nebst Übernachtung
Tötungsdelikt am 08.02.2020 BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
5.000 Schwester
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • enge Verbindung im Kindesalter
  • Unternahmen noch als Erwachsene gemeinsame Reisen
  • gemeinsamen Urlaub für 2019 geplant
  • Näheverhältnis (Geschwister) ist auf niedriger Stufe anzusiedeln
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • noch keine Schul- und Berufsabschlüsse
  • Alter der Kinder zwischen 14 und 19 Jahren
  • regelmäßiger Kontakt via Messenger
  • wechselseitige Besuche und Telefonate
  • lebten bei der Kindsmutter
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Tochter
eines Verstorbenen
  • Tochter war Ansprech- und Notfallkontaktperson des Verstorbenen
  • enge Bindung
  • besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen Vater und Tochter
  • nach dem Tod des Vaters: Schlafstörungen, Ängste beim Autofahren, Arbeitsplatzwechsel
  • Schockschaden
Verkehrsunfall in 12/2018
Haftung des Schädigers 100%
Oberlandgericht Schleswig, Urteil vom 23.02.2021, Az. 7 U 149/20
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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Hinterbliebenengeld XI

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht 03/2022 | zur allgemeinen textlichen Darstellung

LG München II, Urteil vom 18.12.2020 – 1 Ks 31 Js 47130/18

Sachverhalt

Eine Ehefrau ermordete ihren Ehemann im August 2018. Dessen drei bei der Kindsmutter lebenden Kinder (* 1999, *2001, *2004) sowie seine Schwester verfolgten im Adhäsionsverfahren Ansprüche auf Hinterbliebenengeld.

Entscheidung

  1. Für die drei Kinder wurde das Näheverhältnis bereits nach § 844 Abs. 3 S. 2 BGB vermutet. Eine Widerlegung der Vermutung ist der Beklagten nicht gelungen. Dagegen spreche weder, dass die Kinder nicht im Testament bedacht seien noch, dass sie bei der Kindsmutter lebten. Vielmehr habe regelmäßiger Kontakt über einen Messenger bestanden und Kinder und Vater hätten sich regelmäßig wechselseitig besucht und telefonisch Kontakt gehabt.
    Für die Kinder sei jeweils ein Betrag in Höhe von 7.500 EUR angemessen. Zwar lebten sie nicht bei dem Verstorbenen, waren aber noch relativ jung (19 Jahre, 17 Jahre, 14 Jahre). Die Kinder hatten Schul- und Berufsausbildung noch nicht abgeschlossen und waren daher verstärkt auf die Eltern angewiesen.
  2. Für die Schwester des Verstorbenen gibt es keine gesetzliche Vermutung eines Näheverhältnisses (vgl. § 844 Abs. 3 S. 2 BGB). Das festgestellte Näheverhältnis lag aber in regelmäßigem Kontakt in den letzten 2 Jahren vor dem Tod sowie einer sehr eng verbundenen gemeinsamen Kindheit. Dass es zwischen 2013 und 2016 einen Erbschaftsstreit zwischen dem Verstorbenen und der Schwester gegeben hatte, stand dem nicht entgegen, weil es eine Aussprache gegeben hatte und eben seit 2016 wieder Kontakt vorhanden war, der sich nicht auf oberflächliche Dinge beschränkte, sondern z.B. auch persönliche (psychische) Erkrankungen zum Inhalt hatte.
    Der Schwester wurden 5.000 EUR Hinterbliebenengeld zugesprochen, weil es eine langjährige Beziehung gewesen ist, die Beziehung zwar auf einer niedrigen Stufe anzusiedeln sei, aber der Verstorbene immerhin der letzte nahe Angehörige der Schwester (sonst: Cousinen) gewesen sei.

Weiteres

Das LG München II stellt klar, dass

  1. Schmerzensgeldansprüche das Hinterbliebenengeld konsumieren würden,
  2. das Hinterbliebenengeld nach § 287 ZPO vom Gericht zu bemessen ist.

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Keine Haftung bei Sturz auf einer Treppe zum Watt

Michael PeusMichael Peus

OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 02.06.2021 – 11 U 31/21

 

Leitsätze

  1. Auf die typischen Gefahren des Meeresstrandes müssen sich Badegäste einstellen. An die Rutschfestigkeit außendeichs am Meer gelegener Badetreppen sind deshalb nicht die gleichen Anforderungen zu stellen, die für Treppen in Sport- und Arbeitsstätten gelten.
  2. Der Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfaltspflicht ist erschüttert, wenn die Planung einer solchen Treppenanlage einer Fachplanerin übertragen ist und auch der gerichtlich beauftragte Sachverständige keine Mängel der Ausführung erkennen konnte.

 

Sachverhalt

Die Klägerin stürzte bei der Benutzung einer von der Badestelle in das Watt der Nordsee führenden Treppe. Dabei rutschte sie auf dem nassen Untergrund aus und verletzte sich.

Sie fordert Schadensersatz und behauptet, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie für die Treppenstufen zu glattes bzw. rutschiges Material genutzt und die mit erheblichen Moos und Materialablagerungen bedeckten Stufen nicht ordnungsgemäß gesäubert hätte.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

 

Rechtliches

Der Senat des OLG Schleswig wies darauf hin, dass das Gericht die Berufung zurückweisen werde.

Bereits das Landgericht konnte keinen objektiven Pflichtverstoß feststellen, der eine Haftung der Beklagten nach § 823 I BGB begründen würde. Als Verkehrssicherungspflichtiger muss man nicht allen denkbaren Gefahren vorbeugen. Es kann nur Schutz vor Gefahren verlangt werden, die über das übliche Nutzungsrisiko hinausgehen und die für den Benutzer unvorhersehbar bzw. nicht ohne weiteres erkennbar sind.

Bei einer Treppe am Wattenmeer ist es unvermeidbar, dass diese durch Ablagerungen von Schwebstoffen bereits innerhalb einer Tide rutschig wird. Es gibt keine öffentlich-rechtlichen Normen oder Regelwerke, die bestimmte rutschhemmende Werte für solche Treppenanlagen vorschreiben. Um ein Ausrutschen zu vermeiden, wurden Handläufe an die Treppe befestigt. Laut Sachverständigengutachten sei auch das für die Treppe verwendete Betonmaterial geeignet und biete einen ausreichend rutschfesten Bodenbelag.

Selbst bei Vorliegen eines ungeeigneten Materials fehle für eine deliktische Haftung der Beklagten ein Verschulden, da die Planung der Anlage von einer Fachplanerin übernommen wurde. Fahrlässigkeit könne hier nur bejaht werden, wenn die Beklagte eine fehlerhafte Planung erkannt hätte. Dies sei hier nicht ersichtlich.

 

Das Gericht ist außerdem der Ansicht, dass ein Nutzer einer Badestelle stets damit rechnen muss, dass aufgrund der natürlichen Begebenheiten des Meeres  Treppen rutschig sein können und trage selbst die Verantwortung, diese mit Vorsicht zu benutzen. Es sei für jeden Nutzer offenkundig, dass mit den typischen Gefahren des Strandes – wie eine Sturzgefahr durch Schlick, Strömungen, Treibgut, Meerestieren oder auch Wellen – zu rechnen ist.

Bei einer Treppenanlage am Watt, die dauerhaft durch die Gezeiten und das Wetter beeinflusst ist, könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese ständig gesäubert wird und “rutschfest“ ist.

Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.

 

Zusatz:

Die einschlägigen Unfallverhütungsregelungen fänden lediglich Anwendung auf Arbeitsräume, Arbeitsbereiche, betriebliche Verkehrswege und nicht auf Treppenanlagen, die dauerhaft von wetterbedingten Ereignissen beeinflusst werden. Eine Treppe am Watt könne auch nicht mit Nass- und Barfußbereiche in Bädern, Krankenhäusern oder Umkleide-, Wasch und Duschwanen von Sport- und Arbeitsstätten gleichgesetzt werden.

 

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Verlass auf zuständigen Ansprechpartner?

Michael PeusMichael Peus

Landgericht Würzburg, Urteil vom 03.11.2021, Az. 64 O 126/21 Bau

 

Zum Fall

Die Klägerin, Betreiberin der Straßenbeleuchtungseinrichtungen des Stromversorgungsnetzes und Eigentümerin der Beleuchtungseinrichtung am streitgegenständlichen Straßenabschnitt, macht aufgrund einer durch die Beklagte verursachten Beschädigung eines Stromkabels im Rahmen von Tiefbauarbeiten Schadensersatzansprüche geltend.

Auf den Planunterlagen, die der Beklagten vorlagen, wurden die Beleuchtungsmasten mit dem Vermerk eingezeichnet, dass die Lage der Kabel mit Suchgeräten ermittelt worden sei. Zusätzlich wurden vor Beginn der Tiefbauarbeiten noch Besprechungen vor Ort gehalten über die im Boden verlegten Versorgungsleitungen. Die zuständige Arbeitskraft für die Leitungen – aus dem Haus der Klägerin – hatte die Beklagte eingewiesen und ihr gezeigt, wo genau die streitgegenständlichen Kabel verlaufen würden und zwar nicht in der Nähe der zu montierenden Leitplanken, sondern mit ausreichend Abstand zu ihnen.

Der Beklagten wurde von dem zuständigen Einweiser vor Ort eindeutig mitgeteilt, dass in diesem Bereich keine Suchschlitze – um den Kabelverlauf zu ermitteln und so Beschädigungen zu vermeiden – erforderlich wären. Aufgrund dieser klaren Aussage wurde auf die Installation von Suchschlitzen verzichtet, ansonsten hätte man diese angelegt.

Auch dem staatlichen Bauamt als Auftraggeber wurde mitgeteilt, dass im streitgegenständlichen Bereich keine Suchschlitze angelegt werden müssten, da eine konkrete Einweisung durch den Zuständigen erfolgt sei.

Dennoch wurde bei der Montierung der neuen Leitplanken die Versorgungsleitung der Beleuchtungsmasten beschädigt. Die Klägerin fordert Schadensersatz.

 

Entscheidung

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 823 BGB in Betracht. Nach der Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern.

Tiefbauunternehmen haben besonders hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Verkehrssicherungspflicht. Darunter fällt unter anderem, sich vor den Arbeiten an öffentlichen Straßen nach den unterirdischen Versorgungsleitungen zu erkundigen zum Schutz erdverlegter Kabel und Leitungen. Sie müssen sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden verschaffen und mit äußerster Vorsicht vorgehen. In der Regel geschieht dies durch die Anforderung zuverlässiger Unterlagen.

 

„Dort, wo zuverlässige und aussagekräftige Unterlagen vorliegen, darf sich der Unternehmer auf diese verlassen.“

 

Bei Unklarheiten hinsichtlich der Unterlagen besteht zusätzlich die Pflicht sich durch geeignete Maßnahmen – wie Probebohrungen – Gewissheit zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall habe die Beklagte diesen Anforderungen entsprechend gehandelt.

Es lagen keine aussagekräftigen Bestandsunterlagen vor, sodass für die Erfüllung der Erkundungspflicht der Beklagten allein ein Einholen der Pläne nicht ausreichend war. Deshalb wurde bei einem weiteren Einweisungstermin auf der Baustelle mit einem – für die Klägerin tätigen – Ansprechpartner über den Leitungsverlauf gesprochen. Der Zuständige habe klar vermittelt, dass die Versorgungskabel der Beleuchtungsmasten den Arbeiten der Beklagten keine Probleme bereiten würden, da ein ausreichender Abstand zu den Verankerungseinrichtungen gegeben sei und deshalb auf Suchschlitze verzichtet werden könne.

Nach Ansicht des Gerichts durfte die Beklagte auf diese eindeutige Aussage des zuständigen Ansprechpartners bezüglich des Leitungsverlaufs im Rahmen der Baubesprechung vertrauen. Die Beklagte habe daher keine weiteren Nachforschungen über den Leitungsverlauf anstellen müssen und auch keine Suchschlitze anlegen müssen.

Das Tiefbauunternehmen hat demnach keine Pflichten verletzt und haftet nicht für den entstandenen Schaden.

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An Nassbereiche angrenzende Bereiche können/dürfen nass sein

Michael PeusMichael Peus

OLG München, Endurteil vom 18.08.2021 – 20 U 7180/20

 

Leitsätze (des Verfassers)

  1. Nassbereiche können Nässe aufweisen.
  2. Bereiche, die an Nassbereiche angrenzen, wie z.B. Ruhebereiche, können nass sein.
  3. Allgemeine Kontrollen genügen der Verkehrssicherungspflicht.

 

Sachverhalt

Ein Hotelgast stürzte in einem Ruhebereich. Dort befand sich eine Wasserlache der Größe von etwa zwei Din-A4-Blättern. Das Hotelpersonal hatte Kontrollen in einem Abstand von etwa 30 Minuten durchgeführt. Der Hotelgast verlangte Schadensersatz, wobei das Landgericht die Klage abgewiesen hat.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Auch in einem Ruhebereich müsse ein Gast mit Nässe rechnen, insbesondere hervorgerufen durch tropfende Badebekleidung oder Haare. Eine halbstündige Kontrolle des Hotelpersonals genüge. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege nicht vor.

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