Verkehrssicherung im Baustellenbereich
OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 11.10.2023, SR 000693-2022
Sachverhalt
Der Kläger fuhr mit seinem PKW auf einer Landstraße. Er fuhr auf die Gemeindeeinfahrt zu, in der sich – ihm bekannt – eine Straßenbaustelle befand. Hier wurde eine Verschwenkung errichtet, die den Fahrzeugverkehr in die Gemeinde entschleunigen sollte. In diesem Rahmen wurde der Asphalt erneuert, was das Ausbringen von Splitt erforderlich machte. Außerdem gab es dadurch eine ca. 4 cm hohe Fräskante. Der Bereich war beschildert mit 30 km/h. Ferner wies ein Hinweisschild auf Rollsplitt hin.
Der Kläger kam von der Fahrbahn ab. Sein PKW war beschädigt. Er stellte Schadensersatzansprüche gegenüber dem ausführenden Bauunternehmen aufgrund vorgeworfener Verletzungen der Verkehrssicherungspflicht.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht wies den Kläger auf die Unbegründetheit der Berufung hin, woraufhin die Berufung zurückgenommen wurde.
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- Zunächst stellt das Oberlandesgericht klar, dass die Verkehrssicherungspflicht einer Straßenbaustelle neben der öffentlichen Hand in der Regel auch das ausführende Bauunternehmen trifft.
- Im Rahmen der Beschilderung sei das Bauunternehmen allerdings Erfüllungsgehilfe der öffentlichen Hand und damit nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegenüber Dritten haftungsprivilegiert.
Soweit die Beklagte Aufgaben der Beschilderung für die Straßenverkehrsbehörde im Rahmen der Baustellenabsicherung übernommen hat, handelte diese – wie bereits das erstinstanzliche Urteil zutreffend ausgeführt hat – als Verwaltungshelferin, so dass eine Haftung für etwaige Verkehrssicherungspflichtverletzungen im Rahmen der von der Streithelferin vorgegebenen Beschilderung gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 Satz 1 GG auf den Staat übergegangen ist. Insoweit handelten die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes.
- Bei bekannter Fahrbahnverschwenkung, Geschwindigkeitsreduktion auf 30 km/h und dem Hinweis auf Rollsplitt war dem Beklagten kein Vorwurf einer Pflichtverletzung zu machen. Denn die mit den Baustellen verbundenen Gefahren musste der Kläger (auch wegen des Sichtfahrgebotes aus § 3 StVO) mit eigenen Fähigkeiten meistern. Ob eine fräskante von gerade 4cm überhaupt eine besondere Gefährlichkeit darstellen würde oder nicht als bloße Unebenheit der Fahrbahn ohnehin hinzunehmen wäre, ließ das OLG Hamm in dem Hinweisbeschluss offen.
Auf den Rollsplitt wurde vor der Fahrbahnverschwenkung durch das Verkehrszeichen 101 mit dem Zusatzschild „Rollsplitt“ hingewiesen. Zudem war die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch das Verkehrszeichen 274 auf 30 km/h begrenzt. Die Beklagte hatte den Baustellenbereich durch die von ihr – teilweise als Verwaltungshelferin, teilweise als in eigener Verantwortung Verkehrssicherungspflichtige – ergriffenen Maßnahmen damit ausreichend abgesichert. Der Unfall ereignete sich in einem klar erkennbaren Baustellenbereich. Der Kläger hat im Rahmen seiner persönlichen Anhörung selbst angegeben, dass ihm dies und auch die Tatsache, dass es sich um eine Wanderbaustelle handelte, bewusst war (Protokoll vom 17.03.2022 Seite 1 unten, eGA I-238). Ein aufmerksamer und sorgfältiger Verkehrsteilnehmer anstelle des Klägers hätte diesen Bereich schon deshalb mit erhöhter Vorsicht durchfahren und sich auf baustellentypische Fahrerschwernisse eingestellt bzw. mit ihnen gerechnet. Insoweit ist bereits fraglich, ob eine maximal 4 cm tiefe Fräskante in einem Baustellenbereich nicht schon eine bloße Unebenheit in einer Fahrbahn darstellt, mit der ein sorgfältiger und verständiger Fahrzeugführer im Rahmen einer Straßenbaustelle rechnen muss. Jedenfalls aber hat die Beklagte durch das (ihr als Verwaltungshelferin bereits obliegende) Aufstellen des Verkehrszeichens 274 mit der Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h sowie das von ihr (im Rahmen ihrer eigenen Verkehrssicherungspflicht aufgrund des Ausbringens des Rollsplitts) aufgestellte weitere Verkehrszeichen 101 (Gefahrenstelle) mit dem Zusatzschild „Rollsplitt“ ausreichend auf die Gefahrenstelle aufmerksam gemacht. Ein vernünftiger und sorgfältiger Fahrzeugführer hätte diese Verkehrszeichen – noch dazu bei Dunkelheit und im Bereich einer durch eine Mittelinsel verursachten Fahrbahnverschwenkung, die ersichtlich als solche zur Geschwindigkeitsreduzierung (auch) außerhalb der Baustellenphase dienen sollte – zum Anlass genommen, die Geschwindigkeit auf mindestens 30 km/h zu reduzieren (ggfs. noch weiter) und die vor sich liegende Fahrbahnoberfläche – insbesondere aufgrund der zuvor deutlich erkennbaren und auch vom Kläger erkannten neuen Teerdecke – mit besonderer Aufmerksamkeit
beobachtet. Die von der Beklagten vorgenommenen Warnmaßnahmen waren vor diesem Hintergrund in jedem Fall im Hinblick auf die von ihr eröffnete Gefahrenstelle ausreichend.
prozessual
Das Oberlandesgericht erteilte einigen Spekulationen des Klägers eine Absage. Dieser hatte pauschal behauptet, die Schilder seien zu nah am Baustellenbereich aufgestellt gewesen bzw. bei Dunkelheit nicht erkennbar. Da es hierfür überhaupt keine Anhaltspunkte gab, hat das Oberlandesgericht diese Einwände als „Behauptung ins Blaue‟ zurückgewiesen.zum Themenkreis:
Kontrollpflichten der öffentlichen Hand
Verkehrssicherung des provisorischen Gehwegs im Baustellenbereich
Verkehrssicherung des Baustellenbereichs vor Hauseingang