Verkehrssicherung des provisorischen Gehwegs im Baustellenbereich

LG Lübeck, Urteil vom 27. Februar 2024 – 15 O 149/22

Sachverhalt

Neben einem mit Baken abgesperrtem Baustellenbereich war ein provisorisch eingerichteter Fußweg vorhanden. Die Klägerin behauptete einen Sturz, der derauf beruhe, dass der provisorische Fußweg nicht eben gewesen sei. Die rechte Weghälfte sei – für sie nicht erkennbar – 15 cm tiefer gewesen. Sie habe sich vertreten und sei gestürzt.

Sie machte Schmerzensgeldansprüche aus den Sturzfolgen geltend.

Entscheidungsgründe

Das LG Lübeck wies die (gegen die öffentliche Hand gerichtete) Klage ab.

Das Gericht bestätigte zunächst, dass in Schleswig-Holstein die Verkehrssicherungspflicht öffentlicher Straßen und Wege als Amtspflicht ausgestaltet sei; demnach war die öffentliche Hand (Kommune) richtige Anspruchsgegnerin. Ob daneben auch das Bauunternehmen, welches die Verkehrssicherungspflicht übernommen habe, in Anspruch hätte genommen werden können, musste das Gericht nicht entscheiden.

Das Gericht ließ offen, ob die der Kommune obliegenden Kontrollpflichten (Pflicht zur Erstüberprüfung und stichprobenartige Kontrollen) eingehalten wurden. Denn weil das Bauunternehmen keine Verkehrssicherungspflicht verletzt hatte, wären unzureichende Kontrollen nicht schadenkausal geworden.

Das Gericht stellte fest, dass eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht vorlag.

  1. Das Landgericht bestätigt zunächst, dass ein Gehweg während einer Baumaßnahme durch ein Provisorium ersetzt werden darf. Und für dieses Provisorium gelten nicht dieselben strengen Anforderungen an Beschaffenheit und Sicherheit, wie für einen fertigen Weg, solange er hinreichend sicher benutzbar ist:

    (a) Zunächst ist eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht darin zu sehen, dass überhaupt ein provisorischer Weg angelegt wurde. Die Beklagte durfte im Ausgangspunkt die im Zuge der Baumaßnahmen beseitigte Strandpromenade entlang der Baustelle durch einen provisorischen Weg ersetzen. Zwar kann für ein – zumal als solcher erkennbares – Provisorium nicht derselbe strenge Maßstab an die ordnungsgemäße Beschaffenheit der späteren Anlage gelten, wie bei deren endgültiger Ausgestaltung. Auch der provisorische Gehweg musste aber in seiner Ausgestaltung eine am dargestellten Maßstab gefahrlose Nutzung jedenfalls hinreichend gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1986 – VI ZR 221/84 –, Rn. 8, 12, juris).

  2. Der Maßstab der Sicherheit hängt auch im Baustellenbereich grundsätzlich von den allgemeinen Faktoren ab, also insbesondere Art und Anzahl der zu erwartenden Verkehrsteilnehmer einerseits und Erkennbarkeit der Gefahren andererseits:

    (b) Vorliegend muss hinsichtlich der an die Verkehrssicherung zu stellenden Anforderungen zwar zum einen Berücksichtigung finden, dass der provisorische Weg durch Fußgänger genutzt werden sollte und mit einer hohen Nutzungsintensität zu rechnen war, da der provisorische Weg die Strandpromenade ersetzte. Zum anderen muss aber auch beachtet werden, dass es sich hier um einen provisorischen Weg in einem – unstreitig – deutlich als solchen erkennbaren Baustellenbereich handelt. Sowohl angesichts der baulichen Gestaltung als aufgeschüttetes Provisorium als auch angesichts der den Weg unstreitig säumenden Baustellenbarken, vermittelt der Weg den Nutzern gerade nicht den Eindruck – wie etwa die zuvor bestehende breite Strandpromenade -, hier ungestört entlanggehen zu können, ohne auf mögliche Stolperfallen achten zu müssen. Vielmehr müssen Fußgänger im Bereich von Baustellen mit größeren Unebenheiten als auf dem Gehweg rechnen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16. November 1995 – 18 U 99/95 –, Rn. 6; J. Hager in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2021, § 823 E, Rn. E 163). Nach Maßgabe des nach allgemeiner Verkehrsauffassung Zumutbaren bedarf es einer Verkehrssicherung bei dieser Sachlage nicht hinsichtlich offen erkennbarer, für eine provisorische Wegstrecke im Baustellenbereich typischer Wegerschwerungen geringfügiger Art (z. B. für Unebenheiten des Bodens, Erdaufschüttungen) (vgl. OLG Nürnberg, VersR 1975, 545).

  3. Nach diesen Maßstäben sah das Landgericht keine Verkehrssicheurngspflichtverletzung darin, dass der Weg teilweise seitlich abfiel, weil das Abfallen – entgegen der klägerischen Behauptung – sehr gut sichtbar war:

    (c) Schon nach dem Vortrag der Klägerin war der Weg nicht etwa mit einem Loch versehen. Nach der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der provisorische Weg an den Seiten abfällt. Den Zeugenaussagen sowie dem gefertigten Lichtbild lässt sich insoweit aber nur entnehmen, dass es am Rand des aufgeschütteten Weges einen Niveauunterschied ergibt. (….) Dieser Rand des Weges ist allerdings bereits ausweislich des eingereichten Lichtbildes schon angesichts des Bewuchses unschwer als solcher zu erkennen.

Anmerkungen

Das Landgericht hat ergänzend noch einmal bestätigt, dass der Klägerin oblag, die Nichtdurchführung von Kontrollen zu beweisen, sofern zunächst die Pflichtige die Durchführung der Kontrollen schlüssig dargelegt (bzw. behauptet) hat:

dd) Darüber hinaus hat die Klägerin keinen Beweis in Hinblick auf die von der Beklagten vorgetragenen Kontrollen angeboten. Der beweisbelasteten Klägerseite hätte es jedoch oblegen, der seitens der Beklagten im Rahmen der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast vorgetragenen Kontrollen, zu widerlegen. Sie hat jedoch auch nach Hinweis des Gerichts (Bl. 282 d. A.) keine Beweise angeboten und ist insoweit beweisbelastet geblieben.

Das OLG Koblenz hat in einem vergleichbaren Fall (Baustelle vor Haustür) die Rechtslage identisch bewertet.

 

Praxisanregung

Auch ohne diesbezügliche Verpflichtung sollten Bauunternehmen im Eigeninteresse eine fotografische Protokollierung der Verkehrswege, mit denen andere Verkehrsteilnehmer (Kraftfahrzeuge, Radfahrer, Fußgänger u.s.w.) in Berührung kommen, andenken und umsetzen. Solche Fotografien, die faktisch keine Kosten mehr auslösen, belegen in der Regel schon aufgrund ihrer Existenz, dass eine Sichtkontrolle durchgeführt wurde. Schließlich erleichtern sie auch eine Anspruchsabwehr unbegründeter Ansprüche. Denn kein Zeuge kann eine Situation derart gut schildern, dass das Gericht sich vor dem inneren Auge ein exaktes Bild machen kann. Lichtbilder erleichtern daher die Anspruchsabwehr und können dadurch auch die eigenen Finanzen schonen, sei es durch nicht aufzuwendenden Selbstbehalt oder im Rahmen von Verhanldungen über die Prämie für den Haftpflichtversicherungsvertrag.

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