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Darlegungs- und Beweislast eines Sozialversicherungsträgers

OLG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2023, Az.: 12 U 17/23

 

Leitsatz

Werden gegenüber der Haftpflichtversicherung eines Unfallverursachers stationäre Behandlungskosten allein durch einen Ausdruck aus dem Software-Programm DRG Grouper (sog. „Grouper-Ausdruck“) belegt, setzt dies die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung nicht in die Lage, die Berechtigung des erhobenen Schadensersatzanspruchs ausreichend überprüfen zu können. Der beklagten Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers stand gemäß § 119 Abs. 3 VVG ein Anspruch auf Auskunft und Vorlage weiterer Unterlagen zur Prüfung der geltend gemachten stationären Behandlungskosten zu.

 

Entscheidung

Gehen in einem Schadensfall Ansprüche des Geschädigten gem. §§ 116, 119 SGB X auf einen Sozialversicherungsträger (SVT) über, stellt sich spätestens im Prozess mit dem Schädiger und/oder dessen Haftpflichtversicherer die Frage, welche Anforderungen an die Darlegungs- und Beweispflicht des SVT zu stellen sind. Grundsätzlich gilt, dass ein SVT die Schadensersatzansprüche seines Versicherten so erhält, wie sie bei diesem entstanden sind, d.h., mit denselben Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast sowie allen Einwendungsoptionen der Gegenseite. In der Praxis und Literatur stellt sich immer wieder die Frage, ob und gegebenenfalls wie dieser Grundsatz unter Berücksichtigung der sozialversicherungsrechtlichen (Sonder-)Stellung des SVT zu modifizieren ist.

Im Fall des OLG Stuttgart legte der klagende SVT zur Darlegung der Berechtigung der regressierten Krankenhausbehandlungskosten lediglich die DRG Grouper-Auszüge vor und vertrat die Ansicht, damit seiner Darlegungspflicht genüge getan zu haben. Das OLG Stuttgart sieht dies anders:

Aus dem Ausdruck ergibt sich nicht, wie die in dem Ausdruck angegebene Hauptdiagnose ermittelt wurde und Eingang in das Computerprogramm gefunden hat. Im Unterschied zu einem Arztbericht, in dem der behandelnde Arzt die von ihm selbst gestellte Diagnose festhält und die Befundtatsachen dokumentiert, gibt ein „Grouper-Auszug“ lediglich wieder, was – ein in der Verwaltung arbeitender Dritter – in das Computersystem eingetragen hat. Eine im „Grouper-Auszug“ genannte Verletzung mag in der Zusammenschau mit der Art des Unfallereignisses plausibel erscheinen, jedoch ist dem Schädiger nicht zuzumuten, sich auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken. Vielmehr muss er die Möglichkeit haben, die behaupteten Verletzungen, die eine stationäre Behandlung und damit die geforderten Behandlungskosten erforderlich machten, konkret nachzuvollziehen. Dies ist etwa durch die Vorlage eines ärztlichen Berichts möglich, in dem der behandelnde Arzt die von ihm unmittelbar erhobenen Befundtatsachen sowie die konkrete Diagnose zusammengefasst hat. Solche detaillierten medizinischen Hintergrunddaten enthält der sog. „Grouper-Auszug“ gerade nicht.

Soweit die Klägerin argumentiert, dass der Klägerin keine weiteren Nachweismöglichkeiten zur Verfügung stünden und es an einer Rechtsgrundlage fehle, die die Klägerin berechtigen würde, selbst ärztliche Unterlagen, die ihre Versicherungsnehmerin betreffen, anzufordern und an die Beklagte zu übersenden, greift dieser Einwand ebenfalls nicht durch. Die Klägerin hat mit ihrer Versicherungsnehmerin ein Vertragsverhältnis begründet. Aus diesem folgt die Pflicht der Versicherungsnehmerin, die Behandlungsunterlagen, die sie nach § 119 Abs. 3 VVG bei einer eigenständigen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der gegnerischen Versicherung zugänglich machen muss, auch ihrer Krankenversicherung zu überlassen, wenn diese infolge eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 116 Abs. 1 SGB X die Schadensersatzansprüche der Versicherungsnehmerin geltend macht. Für die in Anspruch genommene Haftpflichtversicherung des Schädigers wiederum darf es keinen Unterschied geben, ob die Geschädigte selbst oder deren Krankenversicherung aus abgetretenem Recht den Schadensersatzanspruch geltend macht. Die Haftpflichtversicherung muss in jedem Fall die Möglichkeit haben, die Berechtigung des erhobenen Schadensersatzanspruchs konkret zu überprüfen. Hierfür steht ihr der Auskunftsanspruch nach § 119 Abs. 3 VVG zu.‟

Anmerkungen

Dem ist nicht zuzustimmen: Für den in Anspruch genommenen Schädigers darf es keinen Unterschied geben, ob die Geschädigte selbst oder deren Krankenversicherung aus abgetretenem Recht den Schadensersatzanspruch geltend macht. Er muss die Möglichkeit haben, die Berechtigung des erhobenen Schadensersatzanspruchs konkret zu überprüfen. Hierfür steht ihm der Auskunftsanspruch nach § 119 Abs. 3 VVG zu (OLG Stuttgart, 19.12.2023, Az.: 12 U 17/23; OLG Hamm, 16.05.2023, Az.: I-26 U 99/22). Es geht nicht darum, von Krankenkassen oder anderen SVT mit den Leistungserbringern ausgehandelte Vereinbarungen über Abrechnungsmodalitäten überprüfbar zu machen oder sie in Frage zu stellen. Insoweit sind Schädigern und dessen Haftpflichtversicherern Einwände verwehrt (BGH VersR 2004, 1189 ff.; OLG Hamm VersR 2010, 91 ff.). Allerdings müssen sie in der Lage sein, die von ihnen geforderten Aufwendungen der Höhe nach zu überprüfen, um im Einzelfall qualifiziert bestreiten zu können. Legt ein SVT seine Aufwendungen nicht ausreichend dar, muss ein – alternativloses – Bestreiten mit Nichtwissen zulässig sein und der SVT hat nachzulegen. Ansonsten ist es kaum möglich, selbst offensichtliche Unrichtigkeiten zu erkennen und einzuwenden. Damit werden lediglich schützenswerte allgemeine Grundsätze angewendet, die sich daraus ergeben, dass der SVT keine eigenen, sondern Ansprüche seines Versicherten aus übergegangenen Rechten geltend macht. Eine Bevorzugung der Schädigerseite ist damit nicht verbunden. Sie darf jedoch genauso wenig dem SVT zukommen (vertiefend Möhlenkamp VersR 2024, 209 ff.).

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