Mietrecht: Keine Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung ohne Wohnungsbesichtigung

LG Lübeck, Urt. v. 07.07.2022 – 14 S 23/21

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Unterlässt es ein Mieter, die Wohnung vorher zu besichtigen, obwohl hierzu die Gelegenheit bestanden hat, fällt dies grds. in seinen Risikobereich. Eine arglistige Täuschung des Vermieters über den Zustand der Wohnung kommt dann mangels Interesses des Mieters hieran nicht in Betracht.
  2. Der Mieter kann sich dann auch nicht auf Mängelrechte berufen, da ihm die Mängel aufgrund grob fahrlässiger Unkenntnis unbekannt geblieben sind, § 536b BGB.

 

Sachverhalt

Die Beklagte mietete eine möblierte Wohnung der Klägerin ohne vorherige Besichtigung an, obwohl sich die Vertragsparteien zweimal in der Wohnung selbst getroffen hatten. Die Klägerin hatte nur  Bilder aus dem Inserat vor Augen und dann keine Besichtigung durchgeführt.

Vertragsunterzeichnung war am 24.07.2019, die Schlüsselübergabe fand am 26.08.2019 statt und vereinbarter Mietbeginn war der 01.09.2019. Vereinbart war ein Kündigungsausschluss der Mieterin für ein Jahr ab Vertragsbeginn.

Die Beklagte zahlte daraufhin die Miete für den Monat September i.H.v. 900€ sowie die Kaution i.H.v. 1.500€.

Am 10.09.2019 erklärte die Beklagte

  • den Rücktritt vom Vertrag und
  • hilfsweise die außerordentliche und
  • hilfsweise die ordentliche Kündigung sowie
  • die Anfechtung aufgrund arglistiger Täuschung, da die Wohnung und das Mobiliar in der Wohnung in einem schlechten Zustand seien. Die zur Mietwohnung gehörende Couch habe abgenutzte Stellen, die in der Broschüre mit Decken und Kissen bedeckt gewesen seien. Die Wohnung sei auch nicht in dem guten Zustand gewesen, der sich aus der Broschüre ergeben habe.

Weitere Zahlungen leistete die Beklagte auf den Mietvertrag nicht mehr.

Die Klägerin (Vermieterin) verlangt klageweise Erfüllung des Vertrages, die Beklagte (Mieterin) widerklagend Rückzahlung der Miete und der Kaution.

Das Amtsgericht wies die Klage ab, da die Beklagte den Vertrag aufgrund arglistiger Täuschung der Klägerin über den Zustand der Couch wirksam angefochten habe. Der Widerklage gab es statt.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

 

Entscheidung

Die Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet. Die Klägerin hat gem. § 535 Abs. 2 BGB einen Anspruch auf die ausstehende Miete für Oktober 2019 – August 2020 i.H.v. 9.000€, die Beklagte indes auf Rückzahlung der Kaution.

 

  1. Der Ausschluss der Kündigung für ein Jahr kann wirksam vereinbart werden (vgl. für 2 Jahre AG Mönchengladbach-Rheydt, Urteil vom 21.06.2007 – 20 C 104/07 mit Verweis auf BGH, Urteil vom 22.12.2003, Az. VIII ZR 81/03; für 4 Jahre: BGH, Urteil vom 6.4.2005, ZMR 2005, 443,). Wegen der im Schreiben vom 10.09.2019 erklärten ordentlichen Kündigung endete das Mietverhältnis zum 31.08.2020. Bis dahin hat die Klägerin den Anspruch auf die Mietzahlungen, die Beklagte aufgrund des inzwischen beendeten Mietverhältnisses Anspruch auf die Auszahlung der Kaution.
  2. Da für die mieterseits geltend gemachten Mängel das Mangelgewährleistungsrecht vorrangig war, konnten sie eine fristlose Kündigung nicht rechtfertigen. Die Erklärung der fristlosen Kündigung war damit wirkungslos.
  3. Ein Rücktritt war nicht möglich, weil dieser nicht im Vertrag vorbehalten wurde und ansonsten nach Überlassung der Mietsache – so wie vorliegend – das Rücktrittsrecht durch das Kündigungsrecht ersetzt wird. Die Rücktrittserklärung war mithin wirkungslos.
  4. Das Mietverhältnis ist auch nicht durch die erklärte Anfechtung beendet worden. Die Beklagte konnte den Mietvertrag nicht wirksam anfechten, da keine arglistige Täuschung der Klägerin nach § 123 BGB vorlag.

Eine Täuschung durch Unterlassen, da die Klägerin die Beklagte nicht über den Zustand der Wohnung aufgeklärt hatte, scheidet mangels Aufklärungspflicht aus. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn gem. § 242 BGB nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte mit einer Aufklärung gerechnet werden durfte. Jede Partei nimmt grds. ihre eigenen Interessen wahr, weshalb keine Pflicht besteht, ungünstige Eigenschaften, die für die Entscheidung der anderen Partei von Bedeutung sein könnten, ohne Nachfrage offenzulegen. Mangels Aufklärungspflicht der Klägerin über den Zustand der Couch liegt keine arglistige Täuschung der Klägerin vor. Die übrigen Mängel sind offensichtlich und wären bei einer Wohnungsbesichtigung leicht erkennbar gewesen. Zudem konnte die Beklagte die Wohnung vor Abschluss des Mietvertrages besichtigen. Bevor der Mietvertrag unterschrieben wurde, fanden zwei Treffen in der Wohnung statt. Besichtigt der Mieter die Wohnung trotz Gelegenheit nicht, fällt dies in seinen Risikobereich.

Die Klägerin hat auch nicht durch aktives Tun über den Zustand der Wohnung getäuscht. Eine Täuschung durch aktives Tun liegt vor, wenn ein Irrtum erregt oder aufrechterhalten wird durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen. Nach dem Wortlaut des § 123 BGB muss der Getäuschte zudem dadurch zu einer Willenserklärung veranlasst worden sein. Auch das vorherige Inserat mit den Fotos kann keine aktive Täuschung begründen, denn diese zeigen schon allein aufgrund der Art der Bilder zwangsläufig einen gepflegteren Zustand. Zudem dienen diese nur dazu, sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Weiterhin werden keine einzelnen Einrichtungsgegenstände gezeigt, wobei gepflegte besonders und abgenutzte gar nicht erst gezeigt werden.
Ebenso stellt die Tatsache, dass die Klägerin die abgenutzte Couch mit Kessen und Decken dekoriert hatte keine aktive Täuschung gem. § 123 BGB dar. Gem. § 123 BGB muss die Täuschung zu einer Abgabe einer Willenserklärung geführt haben. Da die Beklagte die Wohnung trotz zweimaliger Gelegenheit nicht genauer besichtigte, deutete darauf hin, dass sie der konkrete Zustand der Wohnung zu diesem Zeitpunkt nicht interessierte. In dem Fall, dass jemandem etwas egal ist, kann er hierüber auch nicht getäuscht werden. Gleiches gilt für die offensichtlichen Mängel, die bei einer Wohnungsbesichtigung leicht zu erkennen gewesen wären.

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