Gehwegrechtsprechung gilt auch vor Hauseingang

OLG Koblenz, Beschluss vom 26.02.2024, SR 00007-2024

Sachverhalt

Der Kläger ist Anwohner. Unmittelbar vor seinem Hauseingang befindet sich ein öffentlicher Gehweg. Im Rahmen von Erdarbeiten dieser Gehweg über längere Zeit bearbeitet (Pflasterung aufgenommen, geschottert, verfestigt), allerdings nur in einer Breite von ca. 1,5m und zwar recht zentral vor dem Gebäude. Es war noch keine Neupflasterung erfolgt. Der mit Schotter und Sand „befestigte‟ Teil wies eine Kante zu dem unbearbeiteten Gehwegbereich auf. Die Kante zwischen bearbeitetem Bereich und Gehweghöhe war zwischen 1 – 4 cm hoch.

Passanten,

  • die auf dem Gehweg liefen, mussten also „durch‟ die Vertiefung und
  • Personen, die das Haus mittig der Haustür verließen, traten unmittelbar „in‟ die Vertiefung und
  • Personen, die am Rande der Haustür aus dem Haus traten, konnten – so der Klägervortrag – ungünstig auf die Kante treten.

Der Kläger behauptete, beim Herausfahren der Mülltonne aus der Haustür zunächst die Mülltonne die Stufe vor der Haustür hinabgefahren zu haben. Als er selbst nachgehen wollte, sei er auf die Kante getreten und sei gestürzt. Er verfolgte mit der Klage vor dem LG Trier Schmerzensgeldansprüche.

Nachdem die Klage wegen des Fehlens einer Verkehrssicherungspflichtverletzung sowie haftungsvernichtendem Eigenverschulden abgewiesen wurde, verfolgte er sein Anliegen vor dem Oberlandesgericht weiter.

Entscheidungsgründe

Das OLG Koblenz wies den Kläger auf die Erfolglosigkeit der Berufung hin. Die Berufung wurde daraufhin auch zurückgenommen.

Zum materiell-rechtlichen Anspruch des Klägers wies das Gericht darauf hin, dass

  • nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Ausgestaltung von Verkehrssicherungspflichten ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Welche konkreten Maßnahmen zu treffen sind, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BGH NJW 2014, 2104 m.w.N.).
  • jeder Verkehrsteilnehmer einen Verkehrsweg grundsätzlich in dem Zustand hinnehmen hat, in dem er ihn vorfindet. Der durch eine Gefahr Bedrohte muss auf erkennbare Gefahrenquellen grundsätzlich vor allem durch eigene Sorgfaltsanstrengungen reagieren (vgl. BGH NZV 2014, 450; BGH NZV 2014, 167). Bei der Beurteilung der Frage, in welchem Umfang Fußgänger Unebenheiten und Niveauunterschiede auf Straßen, Plätzen und Gehwegen hinnehmen müssen, gelten keine starren Grenzen und es ist keine schematische Betrachtung anzustellen. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls geprüft werden, ob ein verkehrsunsicherer Zustand vorliegt oder ob die Schadstelle erkennbar und beherrschbar ist.
  • allein aus dem vor Ort gegebenen Höhenunterschied zwischen der Schadstelle und der anschließenden Gehwegfläche nicht auf eine Verkehrssicherungspflichtverletzung geschlossen werden konnte. Entscheidend war, dass der Kläger die Örtlichkeit nach seinem eigenen Vorbringen gut kannte. Die von ihm beanstandete Gefahrenquelle ist ihm aufgrund täglicher Begehung bekannt. Es lag also zum Zeitpunkt des Sturzes keine unvermutete Gefahr vor. Zugleich kann der monierten Schadstelle begegnet werden, da für den Kläger zumutbare Vorsichtsmaßnahmen bei der Nutzung des Teilstücks des Gehwegs bestanden, die den Unebenheiten und Höhenunterschieden Rechnung getragen hätten. Vor dem Hintergrund dieser besonderen Umstände ist eine Verkehrssicherungspflichtverletzung nicht gegeben.

Anmerkung

Auch wenn allgemeinen Ausführungen des Oberlandesgerichts stete Rechtsprechung wiedergeben, ist der Hinweis des Oberlandesgerichts deshalb von Relevanz, weil der Senat die  „Gehwegrechtsprechung‟ einstimmig auf den Bereich vor Hauseingängen – gar mit Stufe – anwendet. Mit der Stimmenanzahl „3-0‟ ist der Hinweisbeschluss mindestens so trag- und zitierfähig wie ein Berufungsurteil (, welches auch nur mit „2-1‟ votiert worden sein könnte).

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