Amtspflicht zur Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten nach Beendigung einer Baustelle
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az.: 7 U 61/20
Leitsätze
1. Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.
2. Das Verweisungsprivileg aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (subsidiäre Haftung) kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum grundsätzlich nicht zum Zuge.
3. Für die örtliche Zuständigkeit verschiedener Baulastträger untereinander wird grundsätzlich auf den Ort des Vorliegens der Straßenbeeinträchtigung abgestellt. Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gilt, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße trifft und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig ist.
4. Die Warnfunktion eines Baustellenschildes gilt solange fort, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben wurde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziert.
5. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf die Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten (hier die Beseitigung von Rollsplitt) nach Beendigung einer Baustelle. Es genügt nicht, im Zuge von Reinigungsarbeiten auf einer Landesstraße den vorhandenen Rollsplitt im Bereich von Einmündungen/Kreuzungen auf die benachbarte Gemeindestraße zu fegen. Ein Verweis des Landes auf die mangelnde örtliche Zuständigkeit für die in diesem Fall betroffene Gemeindestraße übersieht, dass es nicht um die Zustandshaftung für die Straße eines anderen Baulastträgers geht, sondern um die mangelhafte Kontrolle von Reinigungsarbeiten der eigenen Straße.
Sachverhalt
Die Klägerin (Krankenkasse) macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen das beklagte Land geltend. Streithelferin ist das von dem Beklagten mit der Straßensanierung einer Landstraße beauftragte Bauunternehmen. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorroller die Landesstraße. Für diese Straße wurde in der damaligen Zeit die Fahrbahndecke durch die Streithelferin erneuert. Von der Landesstraße bog der Geschädigte nach links in die Gemeindestraße ab. Bereits im Einmündungsbereich auf der Gemeindestraße befindlich kam der Geschädigte wegen dort befindlichen, aus der Baustelle der Landstraße stammenden Rollsplitt zu Sturz.
Das Land hat behauptet, soweit Rollsplitt vorhanden gewesen sei, sei jedenfalls durch entsprechende Hinweisschilder darauf hingewiesen worden. Die auf die Streithelferin übertragenen Verkehrssicherungspflichten seien regelmäßig durch die Straßenmeisterei überwacht worden, wobei Gefahren oder Unregelmäßigkeiten nicht festgestellt worden seien. Im Übrigen sei das Land für den Anspruch nicht passivlegitimiert, da der Unfall auf einer Gemeindestraße stattfand. Zudem träfe sie lediglich eine subsidiäre Haftung. Das Landgericht hat der Klage überwiegend, nämlich nach einer Haftungsquote von 70 % (30 % Mitverschulden des Geschädigten), stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Landes.
Entscheidung
Das OLG stellt zunächst klar, dass der Träger der Straßenbaulast für Verkehrssicherungspflichtverletzungen auf den von ihm vorgehaltenen Straßen hafte. Dem Land sei es auch nicht möglich, sich bei einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf den Grundsatz der nur subsidiären Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berufen. Denn das Verweisungsprivileg komme bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nicht zum Zuge. Der Haftung des Landes stehe ferner nicht grundsätzlich entgegen, dass es die Verkehrssicherungspflicht inkl. der baustellenbedingten Verkehrsregelungspflicht (Warnschilder) auf die Streitverkündete übertragen hat. Denn es verblieben Aufsichts- und Überwachungspflichten. Auch sei nicht von einem Verstoß der Verkehrsregelungspflicht auf der Landstraße auszugehen, da das bloße Vorhandensein von Rollsplitt auf der Fahrbahn noch keine Verkehrssicherungspflichtverletzung begründe und die Warnfunktion des hier 400 m vor der Kreuzung mit der Gemeindestraße auf des Landesstraße aufgestellte Baustellenschildes solange fortwirke, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben werde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziere, was hier nicht der Fall gewesen sei.
Im vorliegenden Fall habe das Land aber seine Kontroll- und Überwachungspflichten für die Reinigungsarbeiten auf der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Landesstarße verletzt. Zwar sei das Land nicht für die Kontrolle der Reinigung der Gemeindestraße zuständig gewesen und es sei nicht ohne Weiteres möglich, dem Träger der höheren Straßengruppe eine Verantwortung für die Verkehrssicherung auf der niederen Straßengruppe zuzuschreiben (s. auch BGH, 19.01.1989 – III ZR 258/87). Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gelte grundsätzlich, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße treffe und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig sei. Somit sei das Land für den Splitt auf der Gemeindestraße zwar nicht unmittelbar zuständig gewesen. Trotzdem sei das beklagte Land aber in diesem Fall zur Kontrolle verpflichtet gewesen. Denn, wenn eine Baufirma Reinigungsarbeiten im Zuge von Bauarbeiten übernehme, dann sei der Träger der Straßenbaulast, der die Bauarbeiten veranlasst hat, auch zur Kontrolle verpflichtet, ob im Zuge der Reinigungsarbeiten eine Beeinträchtigung anderer Straßenzüge eingetreten ist. Das gelte auch dann, wenn er für diese Bereiche (eigentlich) nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Es gehe dann nicht um eine Verkehrssicherung für die Straße eines anderen Baulastträgers, sondern um die hinreichende Kontrolle der Arbeiten einer Baufirma für die eigene Straße. Diese Kontrollpflicht habe die Beklagte nicht erfüllt, weil sie sich hierfür schon im Ansatz nicht zuständig wähnte.