Verkehrssicherungspflicht an Baustellen

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 17.7.2017 — Aktenzeichen: 6 U 18/17

An Baustellen muss man mit damit rechnen, dass Werkzeug herumliegt. Stolpert jemand über eine abgelegte Schüppe, fehlt es schon an der Realisierung des Tatbestands einer Verkehrssicherungspflichtverletzung.
Leitsatz

Keine Verkehrssicherungspflicht eines Gartenbauunternehmers, der im Zuge von Arbeiten im Grenzbereich zweier Grundstücke Werkzeug in gut erkennbarer Weise und mit dem Einverständnis des Nachbarn auf dessen Grundstück ablegt.

Sachverhalt
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Verkehrssicherungspflichtverletzungen nach einem Sturz vom 04.03.2015 geltend. Der inzwischen verstorbene Ehemann der Beklagten zu 1), die dessen Alleinerbin ist, führte im Auftrag des Nachbarn der Klägerin im Bereich der Grundstücksgrenze mit seinen Mitarbeitern, den Beklagten zu 2) und 3), Gartenbauarbeiten durch. Die im Jahr 1933 geborene Klägerin, für die der Ehemann der Beklagten zu 1) in der Vergangenheit ebenfalls wiederholt gearbeitet hatte, kam hinzu, um mit diesem anstehende Arbeiten auf ihrem eigenen Grundstück zu besprechen. Im Laufe dieses Gespräches stürzte die Klägerin über eine am Boden liegende Schüppe des Ehemannes der Beklagten zu 1) und verletzte sich.

Die Klägerin verlangt u.a. Schmerzensgeld. Die darauf gerichtete Klage hat das Landgericht abgewiesen und ausgeführt: Es fehle bereits an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht. Die Baustelle sei für die Klägerin als Nachbarin ohne weiteres als Gefahrenstelle erkennbar gewesen. Wenn die Klägerin sich dann in diesen als gefahrträchtig erkennbaren Bereich begeben habe, hätten die Beklagten damit rechnen dürfen, dass sie im eigenen Interesse mit Vorsicht agiere. Erschwernisse, die bereits mit beiläufigem Blick erkennbar seien und durch eine besonders vorsichtige Gehweise ausgeglichen werden könnten, müssten hingenommen werden. Entgegen dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin sei auch nicht feststellbar gewesen, dass die Gerätschaften während des Gespräches der Klägerin mit dem Ehemann der Beklagten zu 1) unmittelbar hinter der Klägerin abgelegt worden seien.

Entscheidung
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat nach Ansicht des OLG Hamm eine ihre Klageforderung stützende Pflichtverletzung der Beklagten bereits nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Daher bestehen die geltend gemachte Ansprüche weder wegen einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten nicht. Allein aus dem unstreitigen Sachverhalt, dass die Klägerin über eine – ggf. teilweise auf dem Grundstück der Klägerin liegende – Schaufel gestürzt ist, ergibt sich noch nicht das Vorliegen eines objektiv verkehrswidrigen Zustandes. Das Landgericht hat insbesondere zutreffend angenommen, dass die den Ehemann der Beklagten zu 1) treffende Verkehrssicherungspflicht nicht so weit ging, dass er gehalten gewesen wäre, Schaufeln etc. von der Baustelle zu räumen.

Derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, ist grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind.

Anhand dieses Maßstabes hat das Landgericht zutreffend auf die Erkennbarkeit der Baustellensituation und der verwendeten Gerätschaften abgestellt. Die Frage der Erkennbarkeit der Gefahr ist entgegen der Argumentation der Berufung nicht nur hinsichtlich des Mitverschuldens – für das der Schädiger die Beweislast trägt – von Bedeutung, sondern bestimmt bereits den Umfang der erforderlichen Vorkehrungen und damit den objektiven Umfang der Verkehrssicherungspflicht. Der Senat teilt die Bewertung des Landgerichts, dass in der konkreten Situation keine weitergehenden Schutzmaßnahmen erforderlich waren. Es handelte sich um eine gut erkennbare Baustelle. Soweit in anderen Situation wie beispielsweise in den Geschäftsräumen von Einzelhandelsunternehmen oder bezogen auf Versorgungsleitung auf einer Kirmes besonders strenge Anforderungen an die Verkehrssicherung gestellt werden, beruht dies auf der gewollten besonderen Ablenkung der Kunden bzw. Besucher. Im Bereich einer Kirmes wird das Stolper- und Sturzrisiko des Fußgängers deutlich erhöht. Dem kann dieser nur dadurch entgegenwirken, dass er seinen Blick in kurzen Abständen nicht nur nach vorne, sondern nach unten unmittelbar vor ihm richtet. Das wird aber in der konkreten Situation dadurch erschwert, dass das Kirmesgeschehen in kurzfristigen Abständen wechselnde Attraktionen bietet, die das Augenmerk der Kirmesbesucher bewusst und beabsichtigt auf sich ziehen sollen, so dass dessen Aufmerksamkeit hinsichtlich des vor ihm liegenden Bodenbereiches stark eingeschränkt ist. Mit einer solchen Situation ist die konkrete Situation der vom Ehemann der Beklagten betriebenen Baustelle nicht zu vergleichen. Es bestand daher keine Verpflichtung, die im Baustellenbereich vorhandenen Werkzeuge beiseite zu räumen oder besonders zu sichern, weil sich die Klägerin – freiwillig – in diesen Bereich begeben hat, um mit dem Ehemann der Beklagten zu 1) zu sprechen.

Da eine Haftung der Beklagten bereits am Fehlen einer Pflichtverletzung scheitert, kommt es auf die weiteren mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Einwendungen der Klägerin nicht an. Die Berufung bietet keine Aussicht auf Erfolg.

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