Tierhalterhaftung und Reitbeteiligung

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 4.10.2017 — Aktenzeichen: 4 U 116/13

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter aus bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haften kann, welche durch das Pferd verursacht werden. Ist die Geschädigte im Moment des Unfalls Tieraufseherin, besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß trifft und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden ist. Der Pferdehalter haftet dann nur zu 50%.

Leitsatz
1. Die Vereinbarung einer Reitbeteiligung zwischen einer Pferdehalterin und einer Reiterin, die es der Reiterin erlaubt, gegen Zahlung eines regelmäßigen Entgelts und Mithilfe im Stall an festgelegten Tagen selbständige Ausritte mit dem Pferd machen zu dürfen, begründet keine Mithaltereigenschaft der Reiterin.

2. Eine derartige Reitbeteiligung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Annahme eines konkludent vereinbarten Haftungsausschlusses, wenn Unfälle im Rahmen einer Reitbeteiligung vom Versicherungsschutz der Pferdehalterin ausgenommen sind.

3. Stürzt die Reiterin bei einem selbständigen Ausritt vom Pferd und kann sie sich nicht entlasten, so ist bei der Prüfung ihrer Ersatzansprüche gegen die Pferdehalterin ein vermutetes Mitverschulden der Reiterin als Tieraufseherin anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

4. Bei Unaufklärbarkeit der näheren Umstände des Sturzes können die Haftungsanteile der Halterin und der Reiterin gleich hoch zu bewerten sein.

Sachverhalt
Die Klägerin begehrt als gesetzliche Krankenversicherung die Feststellung von auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüchen ihres Mitglieds aufgrund eines Reitunfalles. Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der Geschädigten. Zwischen dieser und der Beklagten bestand eine Vereinbarung dahingehend, dass die Geschädigte das im Eigentum der Beklagten stehende Pferd „S…“ an drei Tagen pro Woche nach Belieben ausreiten durfte und hierfür monatlich 100,00 Euro an die Beklagte zu zahlen hatte. Die Geschädigte stürzte am 08.10.2009 gegen 14.30 Uhr bei einem Ausritt auf der Koppel von dem Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung. Die Klägerin behauptet, die Geschädigte sei davon ausgegangen, dass das Pferd der Beklagten ordnungsgemäß versichert gewesen sei. Alle Kosten für die Unterhaltung des Pferdes, insbesondere für Stallmiete, Steuern, Versicherung und Fütterung habe die Beklagte getragen. An den Tagen, an denen die Geschädigte das Pferd reiten durfte, habe sich diese teilweise auch um das Füttern und Einstreuen gekümmert. Die Nutzung des Pferdes durch die Geschädigte habe längstens vier Monate gedauert. Es habe keine festen Nutzungstage gegeben, vielmehr seien diese jeweils abgesprochen worden. Der Unfall habe sich auf der eingezäunten Koppel so zugetragen, dass das Pferd unerwartet durchgegangen sei, den Kopf nach vorne gerissen und die Geschädigte abgeworfen habe, woraufhin diese kopfüber zu Boden gestürzt sei. Im Zusammenhang mit dem Unfall seien der Klägerin Kosten für die Heilbehandlung und Pflege sowie für Krankengeld von bislang insgesamt 129.177,83 Euro entstanden

Entscheidung
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter auch bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haftet, welche durch das Pferd verursacht werden.

Die Tatsache, dass eine Pferdehalterin mit einer Reiterin eine sog. Reitbeteiligung abgeschlossen habe, ändere nichts an der Haltereigenschaft. Es sei auch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass in diesen Fällen ein stillschweigender Haftungsausschluss zwischen Halterin und Reiterin vereinbart worden sei, so das Oberlandesgericht.

Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung der geschädigten Reiterin. Diese hatte mit der Beklagten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie deren Pferd an drei Tagen pro Woche gegen Bezahlung eines Betrages von 100 Euro pro Monat nach Belieben ausreiten durfte. Die Geschädigte stürzte bei einem Ausritt auf der Koppel vom Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung, wobei das Verhalten des Pferdes für das Unglück ursächlich war. Die Reitbeteiligung ist von der Haftpflichtversicherung der Beklagten nicht erfasst. Die Klägerin hatte Klage zum LG Nürnberg-Fürth erhoben und dort beantragt festzustellen, dass die Beklagte ihr den gesamten Schaden zu ersetzen habe, welcher im Rahmen der unfallbedingt notwendigen ärztlichen Behandlungen entstanden war bzw. noch entstehen wird. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Auslegung des abgeschlossenen Vertrages über die Reitbeteiligung ergebe, dass die Geschädigte und die Beklagte stillschweigend einen Haftungsausschluss vereinbart hätten.

Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Das OLG Nürnberg hat grundsätzlich eine Haftung der Beklagten bejaht, aber lediglich eine Haftungsquote von 50% angenommen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ändert die Reitbeteiligung nichts daran, dass die Beklagte zum Unfallzeitpunkt alleinige Halterin des Pferdes war. Sie habe das Bestimmungsrecht über das Tier und trage sämtliche Aufwendungen, wie etwa für Futter, tierärztliche Behandlungen oder die Versicherung. Die Geschädigte habe hingegen nur ein geringes Entgelt für die gelegentliche Nutzung des Pferdes gezahlt. Für die Haftung des Tierhalters komme es alleine darauf an, ob sich eine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Dies sei hier der Fall, weil das Pferd ohne Grund plötzlich losgerannt sei und es deshalb zu dem Unglück kam.

E sei kein Haftungsausschluss zwischen der Geschädigten und der Beklagten vereinbart worden. Diese Frage sei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ein Haftungsausschluss läge etwa dann vor, wenn die Geschädigte an der Überlassung des Tieres ein besonderes Interesse gehabt hätte. Die Reitbeteiligung habe zuvor nur wenige Monate bestanden. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass etwaige Schäden auch im Hinblick auf die Reitbeteiligung von ihrer Versicherung gedeckt seien.

Die Beklagte haftet aber nur mit einer Quote von 50%. Die Geschädigte sei im Moment des Unfalls Tieraufseherin gewesen. In diesem Fall bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß treffe und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden sei. Der Geschädigten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Nachdem letztlich der Reitunfall nicht mehr aufklärbar sei, führe dies dazu, dass das vermutete Mitverschulden der Geschädigten an dem Unfall den Anspruch mindere. Das Oberlandesgericht hält eine Quote von 50% für angemessen.

Praxishinweis
Denken muss man in solchen Fällen stets an das Haftungsprivileg nach den Regeln des SGB VII. So gibt es Rechtsprechung, wonach in bestimmten Fällen das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII greifen kann, insbesondere bei arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten. Beispiel: Eine ausgebildete und als solche nebenberuflich tätige Reitlehrerin, die im Rahmen eines Freundschaftsdienstes auf Bitten eines Pferdezüchters ein Video über den Ausbildungsstand eines Pferdes aufnimmt, um über das weitere Vorgehen seines Trainings bzw. Verkaufs entscheiden zu können, und in diesem Zusammenhang beim Vorführen und Longieren des Pferdes verletzt wird, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen den Pferdehalter, weil dieser als haftungsbefreiter Unternehmer i.S.d. § 104 SGB VII anzusehen ist, und es sich bei der Reitlehrerin um eine als „Wie-Beschäftigte“ versicherte Person nach § 2 Abs. 2 SGB VII handelt (LG Stendal, Urteil 30.10.2013).

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