Verkehrssicherung an Baustellen
LG Duisburg, Urteil vom 16.1.2007 — Aktenzeichen: 6 O 234/06
Eigenverantwortlichkeit des Geschädigten hindert Ansprüche wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten
Problem
„Wenn der Deutsche hinfällt, steht er nicht auf, sondern sieht sich um, wer ihm schadensersatzpflichtig ist.“ Wie sehr Tucholsky mit diesem Ausspruch Recht hatte, zeigt die aktuelle Entwicklung: Raucher beschuldigen die Tabakkonzerne, Zuckerkranke verklagen die Süßigkeitenindustrie, Veranstalter eines Konzerts werden für Hörschäden der Besucher zur Kasse gebeten. Wir Deutschen neigen dazu, andere für erlittene Schäden verantwortlich zu machen. Die Grenzen dieses Anspruchsdenkens zeigt das Landgericht Duisburg in einer aktuellen Entscheidung mitten aus dem Leben auf.
Entscheidung
Die Klägerin ließ einen Handwerker in die Wohnung. Dieser sollte ein Heizungsventil austauschen. Seine Werkzeugkiste stellte der Handwerker hinter einem Sessel im Wohnzimmer ab und verließ noch einmal die Wohnung, um weiteres Gerät zu holen. Währenddessen stürzte die Klägerin just über diesen Werkzeugkasten und verletzte sich. Mit Hilfe ihrer Rechtschutzversicherung verklagte sie den Handwerker auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von einigen tausend Euro. Sie meinte, der Handwerker bzw. die hinter diesem stehende Haftpflichtversicherung müsse wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten zahlen.
Letztlich ohne Erfolg. Das Landgericht hat gemeint, dass eine Einstandspflicht des Handwerkers schon deshalb ausscheide, weil die Klägerin an dem Missgeschick eindeutig selbst schuld sei. Die Klägerin habe gewusst, dass Reparaturarbeiten unter Einsatz von Werkzeug anstanden; sie wusste auch, dass der Handwerker einen Werkzeugkasten dabei hatte. Selbst wenn die Klägerin den genauen Abstellort des Werkzeugkastens nicht bemerkt hätte, hätte sie sich – so das Landgericht — unter allen Umständen besonders sorgfältig bewegen müssen. Hätte sie gehörigg aufgepasst, hätte sie die Werkzeugkisten nicht einfach übersehen können. Diese Eigenverantwortlichkeit stehe dem Anspruch entgegen.
Hinweis für die Praxis
Immer wieder befassen sich Gerichte mit Verkehrssicherungspflichten an Baustellen. Nicht selten verlieren die Gerichte dabei die Grenzen einer Haftung und den Grundsatz, dass jeder für den Schutz seiner Rechtsgüter selbst verantwortlich ist, aus dem Blick. Verkehrsteilnehmer müssen sich zunächst einmal selber vorsehen. Dieser Selbstschutz begrenzt die legitimen Verkehrserwartungen. Insoweit genießt auch der Verkehrssicherungspflichtige Vertrauensschutz; er darf erwarten, dass diejenigen, die sich auf der Baustelle aufhalten, selbst vorsichtig und nicht unvernünftig oder waghalsig sind.