Herstellerangaben können die Anforderungen an den Arbeitsschutz begrenzen, gerade bei § 110 SGB VII

Landgericht Berlin, Urteil vom 20.2.2014 — Aktenzeichen: 33 O 121/13

Grundsätzlich sind die Unternehmer für den Schutz ihrer Mitarbeiter verantwortlich. So stellen das Arbeitsschutzgesetz und auch Unfallverhütungsvorschriften strenge Anforderungen. Allerdings können sich aus Herstellerrichtlinien Grenzen ergeben.

Leitsatz
1. Sieht ein Hersteller für den Transport von Schal-Elementen keine besonderen Anforderungen an den Arbeitsschutz vor, kann einem Unternehmer aus dem Unterlassen einer selbst vom Hersteller nicht vorgesehenen Maßnahme, kein Vorwurf gemacht werden.

2. Die Ausnahmevorschrift des § 110 SGB VII ist eng auszulegen.

3. Wird ein Strafverfahren gegen einen Unternehmer nach § 170 StPO eingestellt, kann im Zivilrechtsstreit nicht von grober Fahrlässigkeit gesprochen werden.

Sachverhalt
Die Klägerin macht als Unfallversicherer gemäß § 110 SGB VII Ansprüche wegen eines Unfalls mit tödlichem Ausgang auf einer Baustelle bei Einschalungsarbeiten geltend. Der Beklagte war Arbeitgeber des tödlich Verunglückten. Zu dem Unfall kam es, als Schalungswände eines bestimmten Herstellers mit Hilfe eines Krans transportiert wurden. Beim Umsetzen der Schalungswände mit Abstützböcken löste sich eine Schaltafel und fiel auf den bei der Klägerin gesetztlich unfallversicherten Mitarbeiter des Beklagten.

Die Klägerin machte geltend, die Schalungswände hätten verschwertet, also derart mit einander verbunden werden müssen, dass nicht einzelne Schaltafeln abrutschen konnten. Dazu berief sich die Klägerin auf Arbeitsanleitungen des Herstellers, in denen vorgegeben wurde, dass „nur richtig verschwertete Einheiten“ transportiert werden dürfen. Der Hersteller hatte allerdings den tragischen Unfall zum Anlass genommen, dieses Erfordernis in die Arbeitsanleitung aufzunehmen; zum Unfallzeitpunkt galt diese Anforderung noch nicht. Ein Verschwerten wurde nur gefordert, um die statische Tragfähigkeit während der Schalung sicher zu stellen.

Das gegen den Beklagten gerichtete Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft mangels Tatverdachts eingestellt.

Die Klägerin sah allerdings grobe Versäumnisse des Beklagten und verklagte diesen auf Erstattung der Witwen- und Waisenrente. Sie behauptete, der Beklagte hätte den Arbeitsunfall seines Mitarbeiters grob fahrlässig herbeigeführt.

Entscheidung
Die Klage bleibt ohne Erfolg.

Das Landgericht sieht keine grobe Fahrlässigkeit. Die Klägerin könne sich nicht auf die zur Unfallzeit geltenden Fassung der Hinweise der Herstellerfirma hinsichtlich der Verschwerterung berufen; denn der Schutzzweck sei nicht die Sicherheit der einschalenden Arbeitskräfte, sondern die Tragfähigkeit der Schalung beim Schalen. Etwaige Gefahren hinsichtlich des Transports seien damit nicht angesprochen. Ein entsprechendes Erfordernis habe vor dem Unfall aus Sicht des insoweit sehr viel sachkundigeren Herstellers nicht bestanden. Deshalb könne dem Beklagten kein Vorwurf gemacht werden, schon gar nicht ein grob fahrlässiges Verhalten.

Überdies betreffe der Anspruch nach § 110 SGB VII einen Ausnahmefall; diese Vorschrift sei daher eng auszulegen. Auch die Einstellung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zeige, dass keine grobe Fahrlässigkeit vorgelegen habe.

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