Grenzen der Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2.6.2016 — Aktenzeichen: 2 Sa 500/15

Schubst ein Arbeitskollege einen anderen und verletzt dieser sich dann, ist für eine Haftungsprivilegierung häufig kein Raum. Zum einen fehlt es an der betrieblichen Tätigkeit, zum anderen liegt Vorsatz vor.

Leitsatz
1. Bringt ein Beschäftigter einen anderen Beschäftigten desselben Unternehmens vorsätzlich zu Fall, indem er sich auf den Fuß des anderen stellt und diesen schubst, ist die zum Schadenereignis führende Handlung nach ihrer Anlage und Intention eindeutig nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet, sondern läuft ihnen zuwider. Eine Haftungsprivilegierung kommt dann nicht in Betracht.

2. Zum anderen ist das Unfallereignis dann vorsätzlich herbeigeführt. Zur Annahme eines Vorsatzes muss der Handelnde den rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben; der Erfolg muss von dem Handelnden billigend in Kauf genommen sein, während nicht erforderlich ist, dass der Erfolg gewünscht oder beabsichtigt worden ist. Allerdings genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung bezieht, sondern dieser muss sich auch auf den Verletzungserfolg, den Personenschaden, erstrecken. Dies ist der Fall, wenn sich jemand vorsätzlich auf den Fuß eines anderen stellt und diesen dann schubst.

Sachverhalt
Zwei Arbeitskollegen gerieten aneinander. Der Kollege A stellte sich auf den Fuß des Arbeitskollegen B und schubste ihn. Kollege B fiel und verletzte sich. Vor dem Arbeitsgericht klagte er auf Schmerzensgeld. Kollege A verteidigte sich mit dem Haftungsprivileg des § 105 SGB VII.

Ohne Erfolg. Kollege A erhielt Schmerzensgeld.

Entscheidung
Nach § 105 Abs. 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Diese Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss nach § 105 Abs. 1 SGB VII waren hier nach Ansicht des Gerichts nicht erfüllt. Zum einen ist der Versicherungsfall nicht durch eine betriebliche Tätigkeit des Beklagten verursacht worden. Zum anderen hat der Beklagte den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt.

Entscheidend für das Vorliegen einer betrieblichen Tätigkeit und das Eingreifen des Haftungsausschlusses i.S.d. § 105 Abs. 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse ausgeführt wurde. Zwar umfasst der Begriff der betrieblichen Tätigkeit auch Tätigkeiten, die im nahen Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Maßgeblich für die Haftungsfreistellung ist aber, ob der Schaden in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit im dargestellten Sinne oder aber bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb durch den Schädiger verursacht wurde und folglich nur dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen ist. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt. Die Betriebsbezogenheit einer Tätigkeit entfällt daher immer, wenn die schädigende Handlung nach ihrer Anlage und der Intention des Schädigers erst gar nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet ist oder ihnen gar zuwiderläuft.

So lag der Fall hier. Nach Überzeugung des Gerichts hatte der Beklagte den Kläger vorsätzlich zu Fall gebracht, so dass die zum Schadenereignis führende Handlung des Beklagten nach ihrer Anlage und Intention eindeutig nicht auf die Förderung der Betriebsinteressen ausgerichtet war, sondern ihnen zuwidergelaufen ist.

Zum anderen hat der Beklagte — so das Gericht — das Unfallereignis vorsätzlich herbeigeführt. Zur Annahme eines Vorsatzes muss der Handelnde den rechtswidrigen Erfolg vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben; der Erfolg muss von dem Handelnden billigend in Kauf genommen sein, während nicht erforderlich ist, dass der Erfolg gewünscht oder beabsichtigt worden ist. Allerdings genügt es nicht, dass sich der Vorsatz nur auf die Verletzungshandlung bezieht, sondern dieser muss sich auch auf den Verletzungserfolg, den Personenschaden, erstrecken. Nach Auffassung des Gerichts kam es dem Beklagten im Streitfall gerade darauf an, den Kläger mit seiner Vorgehensweise zu Fall zu bringen. Dementsprechend hat er neben der vorsätzlichen Herbeiführung des Sturzes auch eine mögliche Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit des Klägers zumindest billigend in Kauf genommen, auch wenn dies von ihm nicht gewünscht oder beabsichtigt worden sein sollte.

Ergebnis des Gerichts: Das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII greift nicht ein.

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