Hinterbliebenengeld XXVI: Nebeneinander von Schmerzens- und Hinterbliebenengeld

LG Osnabrück, Urt. v. 05.05.2023 – 1 O 1857/21

 

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Leitsatz (redaktionell)

Schmerzensgeld- und Hinterbliebenengeldansprüche sind grds. eigenständige Rechtsinstitute und bestehen nebeneinander. Aufgrund der gleichen Zielrichtung der Ansprüche ist eine Addition des Hinterbliebenengeldes mit dem Schmerzensgeld aufgrund eines Schockschadens jedoch nicht möglich.

 

Sachverhalt

Die Klägerin verlangt infolge einer Körperverletzung mit Todesfolge Schmerzensgeld aus eigenem und vererbtem Recht ihres Sohnes sowie Hinterbliebenengeld. Der Beklagte, ihr damaliger Lebenspartner passte in der Nacht vom 08.08.2017 auf den 09.08.2017 auf ihre zwei Kinder auf. Als das jüngere Kind in der Nacht aufwachte und der Beklagte hierdurch wach wurde, nahm er das Kind und schüttelte es mehrfach. Im Krankenhaus wurde später ein Schütteltrauma mit erheblichen Gehirnverletzungen festgestellt, woran das Kind etwa vier Tage später verstarb.

Der Beklagte wurde rechtskräftig wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.

Bei der Klägerin wurde im Dezember 2017 und Januar 2018 eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.

 

Entscheidung

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes i.H.v. 25.000€ gem. §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB geht in dem Schmerzensgeldanspruch auf.

Nach § 844 Abs. 3 BGB steht Hinterbliebenen, die in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis zu dem Verstorbenen standen, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Das Hinterbliebenengeld bezweckt, immaterielle Beeinträchtigungen des Hinterbliebenen zu entschädigen, die jedoch noch keine eigene Gesundheitsverletzung darstellen. Dem Hinterbliebenengeld kommt daher eine Auffangwirkung zu. Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld sind zwar eigene Rechtsinstitute, können aber nebeneinander bestehen.

Um Wertungswidersprüche zu vermeiden und die zusätzlichen Voraussetzungen des Schmerzensgeldes nicht zu umgehen, muss das Hinterbliebenengeld jedoch grds. hinter dem Betrag zurückbleiben, der zustände, wenn das seelische Leid die Qualität einer Gesundheitsverletzung hätte. Für eine Gesundheitsverletzung ist daher nicht mehr erforderlich, dass die pathologisch fassbare Beeinträchtigung über das „normale Maß“ eines Betroffenen bei der Verletzung eines Rechtsguts eines nahen Angehörigen hinausgeht.

Eine Addition von Hinterbliebenengeld und Schmerzensgeld aufgrund eines Schockschadens ist aber nicht möglich, da die Ansprüche dieselbe Zielrichtung (die Entschädigung in Geld für eine immaterielle Beeinträchtigung) haben.

Vorliegend geht das Hinterbliebenengeld daher in dem Schmerzensgeldanspruch auf.

Zudem hat die Klägerin einen geerbten Schmerzensgeldanspruch aus dem Recht ihres Sohnes gem. §§ 1922, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB i.H.v. 10.000€.

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