Haftung für gefährliches Missverständnis

OLG Hamm, Urteil vom 7.11.2012 — Aktenzeichen: I-30 U 80/11

Leitsatz
1. Ein Hotelbetreiber ist verpflichtet, den gefahrlosen Zutritt zum Hotelzimmer zu gewährleisten — bei entsprechender Abrede auch zu jeder Zeit.

2. Diese Pflicht wird verletzt, wenn die Hoteleingangstür von dem spät zurückkehrenden Gast nicht geöffnet werden kann und dem — die deutsche Sprache nur unzureichend verstehenden — Beauftragten nicht verständliche Anweisungen zur Rückkehr erteilt wurden.

3. Verletzt der Beauftragte den Gast bei seinem Eintrittsversuch, haftet der Hotelbetreiber für die Folgen, selbst wenn die Körperverletzung vorsätzlich erfolgte.

4. Der Anspruch ist nicht aufgrund von Mitverschulden zu kürzen, wenn der Gast versucht, trotz Widerstandes in die geöffnete Hoteleingangstür zu gelangen.

Sachverhalt
Der Kläger und sein Bekannter hatten bei den Beklagten ein Zimmer gebucht.

Beim Abendessen teilten sie den Beklagten mit, noch eine Weihnachtsfeier besuchen zu wollen und später alkolisiert ins Hotel zurückzukehren. Der Kläger und sein Bekannter erhielten daraufhin einen Schlüssel mit dem Hinweis, damit könne auch in der Nacht noch die Tür zum Hotel geöffnet werden.

Auch der türkischen, kaum deutsch verstehenden Aushilfsreinigungskraft war ein Schlüssel überlassen worden mit der Maßgabe, nach Vollendung der Arbeiten das Hotel abzuschließen. Über die später Rückkehr der Hotelgäste war er nicht bzw. nicht in verständlicher Form informiert worden.

Als der Kläger und sein Bekannter gegen 4 Uhr stark alkoholisiert zurückkehrten, ließ die Tür sich nicht öffnen, da von innen noch ein Schlüssel steckte. Als die Reinigunskraft an die Tür kam, konnte sich keiner dem anderen verständlich machen. Die Reinigungskraft verstand nicht, dass es sich bei dem Kläger und seinem Bekannten um Hotelgäste handelte. Ihnen gelang es dann zwar — unter Verletzung der Reinigungskraft -, ins Hotel zu gelangen, die Reinigungskrafte besorgte sich jedoch ein langes Messer. Im Rahmen der weiteren Verfolgung verletzte die Reinigungskraft sowohl den Kläger als auch seinen Bekannten. Letzterer starb an seinen Verletzungen.

Während die Reinigungskraft wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstraße von fünf Jahren verurteilt wurde, verlangte der Kläger Schmerzensgeld von den Betreibern des Hotels. Das Landgericht wies die Klage ab, da das Verhalten der Reinigungskraft nicht vorhersehbar gewesen sei; der Zurechnungszusammenhang sei unterbrochen.

Entscheidung
Das OLG Hamm hob die Entscheidung des LG Münster auf und verurteilte die Betreiber zur Zahlung von 6.500 € Schmerzensgeld.

Eine Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs sei hier nicht gegeben, weil durch die Handlung der Hotelbetreiber bzw. ihr Unterlassen eine besondere Gefahrsteigerung eingetreten sei; mit ihrer Pflichtverletzung hätten sie den Boden für alles weitere geebnet. Denn das Verhalten des Klägers und seines Bekannten sei vorhersehbar gewesen, weil es nicht unwahrscheinlich sei, dass stark alkoholisierte Gäste versuchen würden, lautstark auf sich aufmerksam zu machen, um Zutritt zu erhalten. Gleichzeitig sei es nicht unwahrscheinlich, dass ein unzureichend informierter Mitarbeiter Gewalt einsetzen würde, um das Hotel und sich vor (lauten, alkoholisierten) Eindringlingen zu schützen.

Das Missverständnis konnte letztlich auch nur aufgrund der Sprachbarriere nicht beseitigt werden, die den Beklagten allerdings bekannt und damit auch vorhersehbar war.

Eine Kürzung des Anspruchs wegen Mitverschuldens dagegen schied nach Auffassung des OLG aus, weil von Seiten der Gäste nicht vorhergesehen werden konnte, dass die Situation derart eskalieren würde, wenn man sich als Berechtigter versucht, Zutritt zu verschaffen.

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