Hinterbliebenengeld XXIII: Besonderes persönliches Näheverhältnis auch bei Liebesbeziehungen

OLG Celle, Beschl. v. 21.09.2022 – 5 U 97/22

 

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Leitsatz (redaktionell)

Für den Grund des Anspruchs kommt es nicht darauf an, wie lange die Liebesbeziehung bestanden hat, wenn es sich um ein persönliches, besonderes Näheverhältnis handelt. Dieses setzt den Nachweis einer tatsächlich gelebten sozialen Beziehung voraus, deren Intensität derjenigen entspricht, die in den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB aufgeführten Fällen typischerweise besteht; dies kann etwa bei Partnern einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobten, Stief- und Pflegekindern sowie Geschwistern der Fall sein.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt u.a. Hinterbliebenengeld i.H.v. min. 6.000€ wegen eines Verkehrsunfalls am 07.01.2022, bei dem seine Partnerin ums Leben kam. Die Partnerin des Klägers verstarb noch an der Unfallstelle.

Der Kläger macht geltend, dass er mit der Verstorbenen eine dreimonatige Liebesbeziehung gehabt habe. Sie seien „schwer verliebt“ gewesen und sie habe ihren Lebensmittelpunkt in seine Wohnung verlagert. Aus seiner Sicht sei ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 10.000€ angemessen. Die genaue Höhe werde in das Ermessen des Gerichts gestellt, jedoch verlange er mindestens 6.000€.

Die Beklagte meint, es läge kein besonderes persönliches Näheverhältnis zwischen der Verstorbenen und dem Kläger vor.

Entscheidung

Das OLG folgt dem erstinstanzlichen Urteil, wonach der Kläger einen Anspruch auf  Hinterbliebenengeld i.H.v. 5.000 € habe. Zwischen dem Kläger und der Verstorbenen habe ein besonderes persönliches Näheverhältnis i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 1 StVG bestanden.

  1. Eine Liebesbeziehung zwischen dem Kläger und der Verstorbenen genüge für einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld. Darauf, wie lange die Beziehung gedauert habe, kommt es nicht an, solange ein besonderes, persönliches Näheverhältnis besteht. Für ein solches Näheverhältnis muss eine tatsächlich gelebte, soziale Beziehung nachgewiesen werden, wie sie in den in § 844 Abs. 3 S. 2 BGB genannten Fällen normalerweise besteht. So eine Beziehung könne daher z.B. auch bei Partnern in einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobten, Stief- und Pflegekindern sowie Geschwistern bestehen. Die Dauer dieser besonderen persönlichen Nähebeziehung kann ggf. bei der Bemessung der „angemessenen Entschädigung“ eine Rolle spielen. Das Landgericht hat eine solche Beziehung zwischen dem Kläger und der Verstorbenen nach Beweisaufnahme fehlerfrei angenommen. Der Kläger und die Verstorbene trafen sich bereits häufiger, bevor sie ihrem Verständnis nach „zusammen waren“ und lernten sich bereits 3-4 Jahre vor der Beziehung kennen. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Vater schon eher eine Beziehung zwischen dem Kläger und der Verstorbenen annahm.
  2. Die kurze Dauer der Beziehung steht dem ebenfalls nicht entgegen. Das Paar kannte sich zudem bereits längere Zeit.
  3. Vertretbar habe das Landgericht einen Richtwert i.H.v. 10.000€ angesetzt und die kurze Dauer der Beziehung durch einen Abschlag i.H.v. 50% berücksichtigt. Dass das Landgericht Tübingen einem Bruder ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 5.000€ zusprach, führt nicht dazu, dass der dem Kläger zugesprochene Betrag unangemessen ist. Es erschließt sich nicht, warum eine Liebesbeziehung „weniger wert“ sein sollte als ein Verhältnis unter Geschwistern.
  4. Eine „Binnengerechtigkeit“ zwischen den einzelnen Hinterbliebenenfällen ist schlicht nicht möglich, zudem hängt die Bemessung von vielen Faktoren ab (z.B. verwandtschaftliche Beziehung, Dauer des Kontakts, Gefühl der Verbundenheit, Zahl der Treffen), wodurch keine genaue Bemessung stattfinden kann.

 

Anmerkung:

Der BGH hatte im Urteil vom 28.10.2021, 4 StR 300/21, eine anbändelnde Partnerschaft nicht als ausreichendes Näheverhältnis angesehen. Das Ergebnis des OLG Celle widerspricht dem aber nicht. Denn der BGH hatte einen Fall zu bewerten, in dem sich die Partner erst zwei Monate vor dem Todesfall angenähert hatten, die „Beziehung“ wohl erst 1 Woche vor dem Todestag stabilisiert war und ohnehin noch geheimgehalten wurde. Vorliegend kannten sich die Beteiligten bereits 3-4 Jahre und es machte nach außen offensichtlich den Eindruck, als wären die Beteiligten schon länger in einer Beziehung. Wenn diese dann „erst“ 2-3 Monate tatsächlich als „formal zusammengekommen“ subjektiv gewertet wurde, ist das mit dem Fall des BGH nicht vergleichbar.

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