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Sorgfaltsanforderungen an eine Übermittlung per Telefax

BGH, Beschluss vom 15.09.2020 – VI ZB 60/19

 

Anmerkung

Wenn ohne oder nur mit geringem Verschulden eine Frist versäumt wurde, kann gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Ist der Antrag auf Wiedereinsetzung begründet, gilt die versäumte Frist als eingehalten und die Rechtskraft der Entscheidung ist beseitigt. Die nicht rechtzeitig erfolgte Prozesshandlung muss jedoch nachgeholt werden.

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Bei der Übermittlung eines Telefaxes ist zusätzlich zur Übertragungszeit ein Sicherheitszuschlag von etwa 20min einzurechnen.
  2. Im Falle einer technischen Störung hat der Versender alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen.
  3. Misslingt die Übermittlung an eine Telefaxnummer mehrfach, so ist das Telefax an eine andere Telefaxnummer des Gerichts zu versenden.

 

Sachverhalt

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin übermittelte am 06.05.2019 (letzter Tag der Berufungsbegründungsfrist) um 23:40 Uhr per Telefax neun komplette und eine angefangene Seite der zwölfseitigen Berufungsbegründung an die Zweigstelle des Oberlandesgerichts Frankfurt in Darmstadt. Auf den übermittelten Seiten befand sich keine anwaltliche Unterschrift.

Da der komplette Schriftsatz mit der Unterschrift erst am 07.05.2019 um 00:13 Uhr vollständig an die Hauptstelle in Frankfurt übermittelt wurde, beantrage die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Diese trägt vor, der Prozessbevollmächtigte habe am 06.05.2019 um 23:43 Uhr versucht, die Berufungsbegründung zu übermitteln. Das Faxgerät unternehme bei fehlgeschlagenen Sendeversuchen selbstständig vier weitere Wahlversuche und breche dann erst den Sendeauftrag ab.

Nach dem ersten Fehlerbericht um 23:47 Uhr unternahm der Prozessbevollmächtigte einen zweiten Sendeversuch an dieselbe Nummer, der jedoch um 23:57 Uhr fehlschlug. Auch ein dritter Versuch war laut Sendebericht um 00:01 Uhr nicht erfolgreich. Zusätzlich habe er um 23:55 Uhr oder 23:56 Uhr einen Sendeauftrag an die Hauptstelle des OLG in Frankfurt am Main eingegeben, der sich jedoch in die Warteschlange der anderen Aufträge einreihte.

 

Das OLG Frankfurt lehnte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Die Versäumung der Frist sei durch den Prozessbevollmächtigen verschuldet und der Klägerin gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Es zeuge von einer mangelnden Kenntnis der Gerichtsstruktur, dass der Prozessbevollmächtigte bei der Eingabe der Worte „olg frankfurt darmstadt“ bei Google keine weitere Faxnummer gefunden habe. Er hätte wissen müssen, dass Schriftsätze auch an die Hauptstelle in Frankfurt fristwahrend übermittelt werden können. Die Nummer des OLG Frankfurt sei jedoch leicht mit den Suchbegriffen „OLG Frankfurt“ zu finden. Dass er nicht versucht habe, die Berufungsbegründung an die Hauptstelle des OLG Frankfurt zu übermitteln sei ebenso wie die mangelnde Kenntnis der Gerichtsstruktur schuldhaft.

 

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, da die Entscheidung nicht gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht entgegen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass das Versäumnis der Frist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruht.

Dieser hat Übermittlungsverzögerungen wie z.B. durch die Belegung des gerichtlichen Telefaxgerätes oder durch schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten von vornherein zusätzlich zur Übertragungszeit einzurechnen. Dieser Sicherheitszuschlag beträgt ca. 20 min.

Kommt es zu einer unverschuldeten technischen Störung, müssen alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen werden. Schlagen mehrere Versuche, das Telefax zu übermitteln fehl, muss der Versender aus einer allgemein zugänglichen Quelle – wie die Startseite des Internetauftritts des OLG Frankfurts – eine weitere Telefaxnummer des Gerichts in Erfahrung bringen und den Schriftsatz an diese senden. Dies hat insb. zu erfolgen, wenn das betreffende Gericht durch seine Gerichtsstruktur über mehrere Faxanschlüsse verfügt.

Im vorliegenden Fall ist der Prozessbevollmächtigte dem nicht nachgekommen. Dieser Sorgfaltsverstoß kann ihm jedoch nicht mit der Begründung des OLG Frankfurt vorgeworfen werden.

Ob mit der Übermittlung so früh begonnen wurde, dass diese noch rechtzeitig hätte erfolgen können, kann dahinstehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte nach den ersten zwei gescheiterten Sendeversuchen versuchen müssen, den Schriftsatz an die Hauptstelle des OLG in Frankfurt am Main zu übermitteln, anstatt noch ein weiteres Mal an die Zivilsenate in Darmstadt.

 

Hinweis

Der BGH hält zurzeit an seiner Rechtsprechung bzgl. des Sicherheitszuschlages von etwa 20min bei der Versendung von Telefaxen fest. So auch in dieser Rechtsprechung: beA-Pflicht bei Faxproblemen: BGH zweifelt – SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE (schluender.info).

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