Grenzen der Haftung bei fehlender Baustellenabsicherung

Urteil OLG Hamm vom 17.01.2025, 7 U 114/23

 

Leitsatz

 

  1. Befindet sich auf der eigenen, nur beschränkt zugänglichen Terrasse des Geschädigten eine Dauerbaustelle, aufgrund derer die Terrassenplatten provisorisch uneben verlegt sind, und kennt der Geschädigte diese Umstände, so liegt je nach Einzelfall – so auch hier – bereits keine abhilfebedürftige Gefahrenquelle vor.
  2. Eine vollständige Überbürdung des Schadens auf den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens ist nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, wenn – wie hier – das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist.

 

Sachverhalt

 

Die Klägerin bewohnt mit ihrem Ehemann eine gemietete Erdgeschosswohnung, zu der auch eine Terrasse gehört. Zur Zeit des Unfalls, im Dezember, befand sich auf der Terrasse bereits seit zehn bis vierzehn Tagen eine Baustelle, da eine Baufirma mit der Sanierung der Wohneinheiten beauftragt war. Dementsprechend befanden sich uneben verlegte Bodenplatten auf der Terrasse. Die Klägerin wusste davon. Trotzdem betrat sie im Dunkeln die ungesicherte, unbeleuchtete Terrasse, um ihren Garten auf Eindringlinge zu überprüfen. Nachdem sie keinen Eindringling entdeckt hatte, wollte sie wegen der Kälte schnell wieder zurück ins Haus laufen und stürzte wegen der uneben verlegten Bodenplatten. Die Geschädigte nahm nun das Bauunternehmen auf Schmerzensgeld in Anspruch.

 

Entscheidung

 

Die Klage wurde abgewiesen. Das OLG Hamm hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Es liege schon keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor.

Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasse diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Zu berücksichtigen sei aber, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden könne. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließe, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich die nahe liegende Möglichkeit ergebe, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb müsse nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es seien vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Es reiche aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind.

 

Das OLG Hamm hat vor diesem Hintergrund keine Verletzung einer Verkehrssicherung gesehen. Es fehle bereits an einer haftungsbegründenden Gefahr, da sich für ein sachkundiges Urteil nicht die nahe liegende Möglichkeit ergebe, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Die Bauarbeiten auf der – nur der Klägerin und ihrem Ehemann als Bewohner der Erdgeschosswohnung zugewiesenen – Terrasse seien zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht abgeschlossen gewesen, was der Klägerin bewusst gewesen sei. Der Klägerin seien auch die unebenen Terrassenplatten bekannt gewesen. Hinzu komme – so das OLG –, dass im Dezember nicht mit der Nutzung der Terrasse zu rechnen gewesen sei, vor allem nicht mit einem Betreten bei Dunkelheit. Deshalb habe es keinerlei Maßnahmen zur Absicherung der Bodenunebenheiten seitens des beklagten Bauunternehmens bedurft.

 

Ferner hat das OLG Hamm die Entscheidung darauf gestützt, dass die Haftung des beklagten Bauunternehmens auch wegen weit überwiegenden Mitverschuldens ausgeschlossen sei. Zwar führe ein Mitverschulden zu einer Haftungsteilung; allerdings könne die Haftung im Ausnahmefall gänzlich ausgeschlossen sein, wobei auf die Umstände des konkreten Einzelfalls abzustellen ist. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für ein Unfallereignis dürfe nicht grundsätzlich auf den Geschädigten verlagert werden, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hat. Auch sei dem Geschädigten nicht allein deshalb, weil er sich einer von ihm erkannten Gefahr ausgesetzt hat, ohne dass hierfür eine zwingende Notwendigkeit bestand, ein solcher Verursachungsanteil an dem Unfallereignis zuzuordnen, dass deswegen stets der Verursachungsbeitrag des die Gefahr durch eine Pflichtverletzung begründenden Schädigers vollständig oder überwiegend zurückzutreten hätte. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten könne aber dann angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist. Und dies hat das OLG Hamm hier bejaht. Die Klägerin habe in Kenntnis der Unebenheiten sowie fehlender Absicherung des Baustellenbereiches und der fehlenden Beleuchtung bei Dunkelheit die Terrasse ohne triftigen Grund betreten. Dass sie im Garten überprüfen wollte, ob sich dort unbefugte Eindringlinge befunden haben, stelle einen solchen triftigen Grund nicht dar. Vielmehr stelle es sich als grob unvernünftig dar, in einer solchen Situation alleine auf die Suche nach Eindringlingen zu gehen. Hinzu komme – so das OLG –, dass die Klägerin, nachdem sie festgestellt hatte, dass keine Eindringlinge vorhanden waren, wegen der Kälte schnell ins Haus habe zurückgehen wollen, wozu es keinen Anlass gegeben habe. Bei wertender Betrachtungsweise des vorliegenden Einzelfalls stelle sich das Mitverschulden als eine ganz besondere, schlechthin unverständliche Sorglosigkeit der Klägerin dar. Sie habe, obwohl ihr Baustelle und fehlende Absicherungen bestens bekannt waren, um der zügigen Rückkehr ins Warme willen jegliche Vorsicht außer Acht gelassen und überhaupt nicht auf die Bodenunebenheiten geachtet.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin stud. iur. Ronja Röser

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