Gemeinsame Betriebstätte
OLG Düsseldorf, Urteil vom 3.11.2016 — Aktenzeichen: I-5 U 15/16
Leitsatz
Arbeiten Schädiger und Geschädigter beim Beladen eines Lkw zeitgleich dergestalt zusammen, dass bei mehreren aufeinander folgenden und gleich ablaufenden Beladungsschritten der Geschädigte die zuvor vom Schädiger mittels Gabelstapler auf den Auflieger verbrachte Ware abschnittsweise sichert, bevor erneut Ware aufgelegt wird, ereignet sich ein dabei stattfindender Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte gemäß § 106 Abs. 3, 3. Alternative SGB VII. Der Umstand, dass sich der Geschädigte während der einzelnen Beladungsschritte kurzfristig zurückzieht, um das erneute Beladen zu ermöglichen, ändert nichts an einem einheitlich zu bewertenden Beladevorgang, bei dem sich die Beteiligten immer wieder ablaufbedingt in die Quere kommen und wechselseitig gefährdet sind.
Sachverhalt
Die Beklagte zu 1) betreibt in Duisburg ein Logistikzentrum, in dessen Rahmen sie für ihre Kunden u.a. Waren ein- und auslagert. Der Beklagte zu 2) war ihr Angestellter und war zum Unfallzeitpunkt dabei, den Lkw des bei der klagenden Berufsgenossenschaft versicherten Verletzten mit Rohre zu beladen. Dabei hatte der Versicherte der Berufsgenossenschaft vor Beginn des Ladevorganges den Boden des Aufliegers mit Anti-Rutsch-Matten und darauf gelegten Kanthölzern vorbereitet, auf welche die Pakete mit Hilfe des Gabelstaplers gelegt werden sollten. Zum Führerhaus hin hatte der später Verletzte die Ladefläche des Lkw durch sogenannte Rungen abgeteilt und seitliche Bracken an den Kanten des Aufliegers angebracht, die während des Beladungsvorganges heruntergeklappt waren. Nachdem der später Verletzte die Ladefläche so hergerichtet hatte, zog er sich hinter die Runge zurück und der Beklagte zu 2) lud die Pakete auf den Auflieger. Nachdem die erste Lage der Rohre auf den Lkw verbracht worden war, stellte der Beklagte zu 2) seine Verladearbeit zunächst ein, so dass der später Verletzte auf die bereits verladenen Rohre weiter Anti-Rutsch-Matten und Kanthölzer auslegte. Anschließend zog er sich erneut hinter die Rungen zurück, so dass der Beklagte zu 2) die nächste Lage Rohre verladen konnte. Bei der Verladung eines achten Schwungs Rohre stand der Verletzte zunächst rechts der Rungen, während der Beklagte zu 2) die Rohre links der Runge mit dem Gabelstapler als vordersten Bund der zweiten Lager auf die Ladefläche hob. Bei diesem Verladevorgang kam es zu einem Unfall, bei dem der rechte Unterschenkel des Versicherten von dem Paketstapel überrollt und dessen Fuß zwischen den Paketstapeln und der seitlichen Lkw-Bracke gequetscht wurde. Der genaue Unfallhergang war zwischen den Parteien streitig.
Entscheidung
Auch wenn das OLG Düsseldorf dies in seinen Entscheidungsgründen offen lässt, war es selbst nach dem Vortrag der klagenden Berufsgenossenschaft so, dass beide Tätigkeiten – die Beladetätigkeit des Beklagten zu 2) sowie die zwischenzeitlichen Absicherungsmaßnahmen des später Verletzten – miteinander verknüpft waren, ineinander griffen und im wahrsten Sinne des Wortes aufeinander aufbauten. Dementsprechend reichten in dieser Konstellation stillschweigende Absprachen der Beteiligten, die vom OLG Düsseldorf zutreffend, weil auch von der klagenden Berufsgenossenschaft nicht in Abrede gestellt, angenommen wurden.
Wieder einmal wurde von der Berufsgenossenschaft vorgetragen, in der schädigenden Sekunde habe kein Hand-in-Hand-Arbeiten vorgelegen. Dem hält der Senat die zutreffende Erwägung entgegen, dass man den zu bewertenden Beladevorgang nur einheitlich beurteilen könne, anstatt ihn in einzelne Teilabschnitte und Sekunden aufzuteilen. Dies sei hier insbesondere deshalb nicht angezeigt, weil jeder der einzelnen Beladungsschritte stets gleich zu erfolgen hatte. Die klagende Berufsgenossenschaft wollte darauf hinaus, dass das Geradeziehen bzw. Verlegen der Anti-Rutsch-Matten und Kanthölzer nur als Vorbereitungshandlung zu sehen sei. Dem erteilt das OLG Düsseldorf eine Absage. Im Übrigen war es auch nach dem Vortrag der Berufsgenossenschaft so, dass ihr Versicherter im Zeitpunkt der Schädigung auf Grund eines von ihm vermeintlich erkannten unsauberen Aufsetzens der Ware durch den Beklagten zu 2) unmittelbar zum Gabelstapler ging um zu versuchen, die Anti-Rutsch-Matten und Kanthölzer gerade zu ziehen. Auch unter diesem Gesichtspunkt dürfte zumindest eine spontane Hilfeleistung vorgelegen haben, so dass hier die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte in jedem Fall gerechtfertigt ist.
Dies gilt auch bezüglich der vom OLG Düsseldorf angenommenen wechselseitigen Gefährdung, die bekanntermaßen nicht bei Schädiger und Geschädigtem gleichermaßen ausgeprägt sein muss. Schon das Landgericht hatte zutreffend ausgeführt, dass dann, hätte der Geschädigte den Lkw nicht ordnungsgemäß zur Beladung vorbereitet oder die Rohrpakete gegen Verrutschen durch die Anti-Rutsch-Matten gesichert, die Pakete in jeder Sekunde des als Einheit zu betrachtenden Beladevorgangs auf den Gabelstapler rollen und den Beklagten zu 2) gefährden konnten.
Die Beklagte zu 1) – Arbeitgeber des Beklagten zu 2) – profitierte mittelbar von dem vorbezeichneten Haftungsprivileg, da sie allenfalls nach § 831 Abs. 1 BGB haftete, so dass sie über den „Umweg“ der gestörten Gesamtschuld in Verbindung mit § 840 Abs. 2 BGB ebenfalls von der Haftung befreit ist.