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Anforderungen an den Vortrag zum Nachweis psychischer Unfallschäden

OLG Schleswig, Beschluss vom 09.06.2020 – 7 U 240/19

Orientierungssätze

1. Ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden ist dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (sog. Bagatelle).

2. Für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens wegen behaupteter posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und unfallbedingter Anpassungsstörungen sind entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen darzulegen. Daran fehlt es bei relativ leichten physischen Unfallfolgen und aufgrund des Umstandes, dass eine entsprechende Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals mehr als sieben Jahre nach dem Unfall stattgefunden hat.

 

Sachverhalt

Neben einer Prellung der Schulter und der Hüfte mit Symptomdauer 6 Wochen sowie einer HWS-Distorsion I mit Symptomdauer ebenfalls 6 Wochen behauptete der Kläger Als Folge eines Verkehrsunfalls im Jahr 2013 eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten zu haben, in deren Folge er monatelang arbeitsunfähig gewesen sei. Hierfür beruft er sich auf einen Attest seines Hausarztes aus 2013, in dem von „depressiven Symptomen‟ die Rede ist. Behandeln ließ sich der Kläger wegen psychischer Beeinträchtigungen jedoch erst 2018. Das Landgericht hat das vom Kläger als Beweis angetretene psychiatrische Sachverständigengutachtens abgelehnt, da die physischen Verletzungen als Bagatelle zu werten seien, so dass selbst bei bejahter psychischer Beeinträchtigung der Zurechnungszusammenhang als sekundärer psychischer Folgeschaden entfalle. Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der ausführt, ein Gutachten hätte zwingend eingeholt werden müssen, da eine Anpassungsstörung als Folgeerkrankung auch aufgrund weniger gravierender Ereignisse ausgelöst worden sein, wenn sich etwa der aus den Unfallverletzungen ergebende Leidensdruck geraume Zeit später eintrete.

 

Entscheidung

Das OLG bestätigt die Entscheidung, geht jedoch in seiner Begründung einen anderen Weg: Soweit der Kläger eine unfallbedingte, psychische Fehlverarbeitung (depressive Störung bzw. Anpassungsstörung) behaupte, habe das Landgericht zu Recht mangels Darlegung von Anknüpfungstatsachen kein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Für die Ursächlichkeit zwischen feststehender Primärverletzung und der Weiterentwicklung bzw. den Umfang des Schadens (haftungsausfüllende Kausalität) gelte § 287 ZPO mit der Folge, dass hierfür der Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genüge. In dem Bericht der Hausärztin sei von „depressiven Symptomen‟ die Rede, die erstmals im Sommer 2013 (nach einer Testung vom 14.08.2013) aufgetreten sein sollen und mit „Amitriptylin‟ behandelt worden sind. Zuvor war aber bereits ein nachweislich unfallunabhängige Bandscheibenprolaps (C5/6 links) aufgetreten. Es gäbe deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass die behaupteten psychischen Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen seien. Binnen der ersten 6 Monate nach dem Unfall sei von irgendwelchen psychischen Symptomen beim Kläger weder die Rede, noch sind diese ärztlich dokumentiert gewesen. Generell sei ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig war (sog. Bagatelle, vgl. BGH Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 m. w. N.). Unstreitig konnte der Kläger nur acht Tage nach dem Unfall, wieder seine Berufstätigkeit als Eisenschutzwerker-Maler bei der Werft H. aufnehmen. Angesichts der relativ leichten, unfallbedingten physischen Folgen sowie des Umstands, dass eine Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals im Jahr 2018 stattgefunden habe, fehle es an entsprechenden Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Klärung der Ursächlichkeit der behaupteten psychischen Störungen. Ohne die Darlegung entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen werden sich mehr als sieben Jahre nach dem Unfall keine sicheren Aussagen zur Unfallbedingtheit der behaupteten psychischen Beschwerden mehr treffen lassen. Zu Recht habe das Landgericht deshalb die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens abgelehnt.

 

Relevanz

In Personenschadenprozessen wird häufig erstmals in der Klage behauptet wird, dass durch das schädigende Ereignis ein psychischer Primär- oder Folgeschaden wie eine PTBS eingetreten sei. Oft fand trotz eines Jahre zurückliegenden Unfalls noch keine fachärztliche Behandlung statt. Mitunter fehlt sogar ein Attest – selbst der eines Hausarztes – dem man überhaupt die Diagnose PTBS entnehmen könnte. Zum Beweis wird regelmäßig Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt, dem viele Gerichte ohne scheu und kritisches Hinterfragen nachgehen. Ist ein Gutachten dann erstmal im Raum, ist es oft schwer, von dortigen Krankheitsdiagnosen wieder herunterzukommen.

Unabhängig von der Frage einer Bagatelle als physische Ausgangsverletzung führt das OLG aus, dass schlichtes Behaupten unfallbedingter psychischer Schäden nicht genügt – auch nicht für das Einholen eines Gutachtens. Fehlen Anknüpfungstatsachen, wobei das OLG hier den Attest des Hausarztes nicht genügen ließ, darf ein Gutachten nicht eingeholt werden. Insbesondere dann, wenn der Unfall lange zurückliegt und es in der Zwischenzeit keine Behandlungen gegeben hat, es m.a.W. an sog. Brückensymptome fehlt, die einen Unfallbezug zumindest als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen.

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