Wie-Beschäftigung innerhalb der Familie bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten
Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 16.09.2021, Az.: L 1 U 342/19
Leitsätze
Ein Bruder des Bauherrn steht während der Mithilfe bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten nicht gem. § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn die verrichtete Tätigkeit ihr maßgebliches Gepräge aus der Sonderbeziehung zum Bauherrn erhielt.
Sachverhalt
Im Streit steht, ob es sich bei dem Schadenereignis um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII handelt. Der Kläger ist Bruder des Beigeladenen zu 1. und Schwager der Beigeladenen zu 2. Vom 5. September 2008 bis zum 28. Oktober 2008 sanierten bzw. modernisierten die Beigeladenen die Fassade ihres Wohnhauses in Eigenleistung. Am 28. Oktober 2008 half der Kläger von ca. 16.30 Uhr bis 18.00 Uhr dem Beigeladenen zu 1. beim Gerüstrückbau, mit dem auch das Ende der Bauarbeiten einherging. Im Zuge der Gerüstrückbauarbeiten verlor das Gerüst an Halt und der Kläger sprang bzw. stürzte vom Gerüst. Dabei zog er sich eine zweitgradige offene Tibia-Trümmerfraktur am linken Fuß zu. Der Beigeladene zu 1. meldete das Ereignis gegenüber der Beklagten als Unfall. Dabei gab er an, dass der Kläger am 11. Oktober 2008 zwei Stunden bei der Anbringung von Dämmung Hilfestellung geleistet habe. Am Tag des Unfalls habe der Kläger 1,5 Stunden beim Gerüstrückbau geholfen. Weiterhin ist der übersandten Auflistung zu entnehmen, dass ein weiterer Bruder des Klägers, der Zeuge S A, insgesamt 15,5 Stunden beim Gerüstaufbau und der Anbringung von Unterkonstruktionen und von Dämmung Hilfe geleistet habe, gleichfalls der Vater des Klägers, der Zeuge E A, welcher insgesamt 7 Stunden bei der Anbringung von Dämmung und Unterkonstruktionen Hilfestellung geleistet habe und schließlich S H (ein Nachbar), der bei Putzarbeiten insgesamt 5 Stunden geholfen habe. Seine Eigenleistung als Bauherr habe 74 Stunden betragen. Auf Befragen der Beklagten teilte der Kläger mit, dass hinsichtlich der Gerüstrückbauarbeiten zunächst von einer Unterstützungsarbeit mit einem zeitlichen Umfang von 1,75 Stunden ausgegangen worden sei. Mit Bescheid vom 5. März 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Es habe sich um einen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst zwischen Verwandten gehandelt, der einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII ausschließe.
Entscheidung
Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erlitten, als er sich als Helfer beim Gerüstrückbau bei seinem Bruder, dem Beilgeladenen zu 1., verletzte. Insbesondere die Voraussetzungen einer sogenannten Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII hätten nicht vorgelegen. Die Tätigkeit, bei der der Kläger den Unfall erlitt, hatte einen wirtschaftlichen Wert, denn die Beigeladenen als Unternehmer sparten Aufwendungen für (andere) bezahlte Hilfskräfte oder einen zu beauftragenden Unternehmer ein. Die unfallbringende Verrichtung des Klägers diente zwar einem fremden Unternehmen – dem Haushalt der Beigeladenen – und entsprach dessen Willen. Der Kläger erbrachte die unfallbringende Verrichtung auch arbeitnehmerähnlich und damit „wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter‟. Gegen das Vorliegen eines Versicherungsschutzes im Sinne einer Wie-Beschäftigung spreche jedoch, dass der Kläger als Bruder des Beigeladenen zu 1. zu den Beigeladenen in einer Sonderbeziehung stand, die die Tätigkeit des Klägers maßgeblich prägte. Verrichtungen aufgrund freundschaftlicher oder nachbarschaftlicher Beziehungen schließen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit eines Verletzten und damit den Versicherungsschutz über § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII dann aus, wenn es sich um einen aufgrund der konkreten sozialen Beziehungen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst handelt oder die zum Unfall führende Verrichtung als Erfüllung gesellschaftlicher (nicht rechtlicher) Verpflichtungen anzusehen ist, die bei besonders engen Beziehungen zwischen Freunden typisch, üblich und deshalb zu erwarten sind. Für Hilfeleistungen innerhalb von Familienmitgliedern ist allgemein anerkannt, dass ein weiteres wesentliches Abgrenzungskriterium die Gefährlichkeit der Tätigkeit sein kann. Eine bloße (unversicherte) Gefälligkeitshandlung unter Verwandten liegt dann nicht mehr vor, wenn es sich um eine länger dauernde, anstrengende und zugleich gefährliche Tätigkeit handelt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 Rn. 34.19).
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben sei zwischen dem Kläger und den Beigeladenen von einer, die Annahme einer versicherten Wie-Beschäftigung ausschließenden, Sonderbeziehung auszugehen. Für die Annahme einer entsprechenden Sonderbeziehung spreche schon das Verwandtschaftsverhältnis. Der Kläger ist Bruder des Beigeladenen zu 1. und Schwager der Beigeladenen zu 2. Dass dieses Verwandtschaftsverhältnis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses gestört oder gar zerrüttet war, ergebe sich nicht. So sei die Motivation des Klägers zur Verrichtung der Hilfstätigkeiten gewesen, das nahe Verwandtschaftsverhältnis zu pflegen und – wie regelmäßig praktiziert – sich wegen der Verwandtschaft gegenseitig zu helfen. Der Zeuge E habe in seiner Vernehmung ausdrücklich ausgeführt, dass das Verhältnis der Brüder untereinander in Ordnung gewesen sei. Für die Annahme der Sonderbeziehung spreche zudem das zeitliche Maß der Unterstützungsleistung von 1,75 Stunden, bei dem es sich um einen überschaubaren Umfang handelte. Ein besonderes Maß an zeitlicher Organisation über einen weitergehenden Zeitraum hinaus sei nicht erforderlich. Es handelte sich vielmehr von vornherein um eine einmalige, das Bauvorhaben abschließende, Unterstützungsleistung. Schließlich stehe der Annahme einer Sonderbeziehung auch nicht die Gefährlichkeit der Tätigkeit entgegen. Es handelte sich nicht um eine Tätigkeit, die von vornherein besonders gefahrgeneigt war und es sich deswegen nicht mehr um eine unter Verwandten gewöhnlich voneinander zu erwartenden Tätigkeit handelte. Solches könne anzunehmen sein beim Umgang mit besonders schweren und gefährlichen Gerätschaften, der möglicherweise auch eine besondere vorherige Ausbildung erfordert. Anders als der Kläger meint, gilt dies aber nicht per se bei Tätigkeiten, die üblicherweise von Fachunternehmen durchgeführt werden. Beim Abbau eines im Eigenbesitz befindlichen Gerüsts mit einer Höhe von ca. 3 Metern ist eine besondere Gefährlichkeit der Tätigkeit nicht gegeben. Es handelte sich vielmehr insgesamt um eine Hilfestellung in zeitlich begrenztem Rahmen, bei der auch eine besondere Qualifikation nicht gefordert sei.
Relevanz
Das LSG benennt relevante Kriterien für und gegen eine sog. Wie-Beschäftigung (dick hervorgehoben). Es stellt auch heraus, dass zum Unternehmen: Haushalt grds. auch eine Hilfstätigkeit beim Häuserbau gehöre.