Verjährung gem. §§ 110, 113 SGB VII:

OLG Rostock, Urteil vom 26.8.2016 — Aktenzeichen: 5 U 94/13

Leitsatz
1. Hatte die klagende Unfallversicherungsträgerin bereits nach der ersten Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft im Juli 2008 hinreichende Kenntnisse von einer denkbaren Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1.) — Eigentümerin des Grundstücks, auf dem die Kindertagesstätte betrieben wird, wo ein Kind schwer verletzt wurde -, die sie in die Lage versetzt hätte, eine Feststellungsklage zu erheben, begann gemäß § 199 BGB die Verjährung am 01.01.2009 und endete mit Ablauf des 31.12.2011.

2. Für den Verjährungsbeginn eines Anspruchs aus § 116 SGB X i.V.m. § 823 BGB am 01.01.2009 ist unerheblich, dass die Klägerin erst mit Bescheid vom 17.02.2009 ihre Leistungspflicht anerkannt hat.

3. Für den Fristbeginn nach § 113 SGB VII ist nicht auf Zahlungen, die einen Realakt darstellen, abzustellen, da eine bindende Feststellung des Sozialversicherungsträgers über seine Leistungspflicht erforderlich ist.

4. Die Regelung des § 199 Abs.1 BGB gilt nicht für die Fälle der §§ 110,113 SGB VII. Es hat eine taggenaue Berechnung zu erfolgen. Ist der Zugang des Bescheides am 20.02.2009 erfolgt, trat Rechtskraft mit Ablauf des 20.03.2009 ein und die Verjährung endete grundsätzlich am 20.03.2012.

Sachverhalt
Die Klägerin begehrt als Unfallversicherungsträgerin des am 06.03.2008 verunfallten Kindes von den Beklagten Schadensersatz sowie die Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche Aufwendungen zu erstatten, die sie für die Versicherte aufgrund des Vorfalles leistet. Das Kind wurde bei einem Unfall auf der Rutsche der Kindertagesstätte schwer verletzt, ist seitdem behindert und befindet sich in komatösem Zustand. Ihre Regressansprüche stützte die Klägerin sowohl auf § 116 Abs. 1 SGB X als auch auf § 110 SGB VII.

Entscheidung
Zum Regress nach § 116 Abs. 1 SGB X stellt das OLG zunächst fest, dass etwaige Ansprüche der Klägerin wegen grob fahrlässiger Unkenntnis gem. § 199 BGB nach Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft verjährt sind:

Grob fahrlässige Unkenntnis i.S.d. § 199 BGB liege vor, wenn sich der Anspruchsinhaber die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühe und Kosten beschaffen kann, dies aber unterlässt und sich somit einer sich aufdrängenden Kenntnis missbräuchlich verschließt oder auf der Hand liegende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnützt. Dies sei zu bejahen, wenn die zur Geltendmachung eines Anspruchs zuständige Behörde eine bestehende Wissenslücke nicht durch Beiziehung der ihr zugänglichen Akten oder eine ihr ohne weiteres mögliche Erkundigung schließe, oder der Anspruchsinhaber darauf verzichte, das gegen den Schädiger anhängige Strafverfahren und dessen Ausgang zu verfolgen. Diese Voraussetzung sah das OLG Rostock hier als erfüllt an. Zwar hänge die Kenntnis, die aus dem Inhalt strafrechtlicher Ermittlungsakten gewonnen werden könne, von den Umständen des Einzelfalles ab. Es könne insbesondere nicht generell angenommen werden, dass der Anspruchsinhaber den Abschluss des Strafverfahrens abwarten dürfe mit dem Argument, dass erst zu diesem Zeitpunkt eine zuverlässige Beurteilung der dem Beklagten gegenüber erhobenen Beschuldigungen möglich sei. Gemessen an diesen Kriterien habe hier die Klägerin bereits nach der ersten Einsicht in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft hinreichende Kenntnisse von einer denkbaren Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1.) gewinnen können.

Auch die hilfsweise geltend gemachten Ansprüche aus § 110 SGB VII seien nach § 113 SGB VII verjährt:

Zu den Voraussetzungen einer Verjährung hatte sich der BGH erstmalig in seiner Entscheidung vom 8.2.2015, Az.: VI ZR 37/15 geäußert, dabei jedoch etwa die Fragen nach der erforderlichen Kenntnis i.R.d. § 113 SGB VII oder der taggenauen Berechnung offen gelassen:

Die Frage der Kenntnis konnte das OLG hier ebenfalls offen lassen bzw. hatte es ja schon zuvor zu § 116 SGB X festgestellt, dass zumindest grob fahrlässige Unkenntnis vorgelegen hatte.

Daneben müsse jedoch eine bindende Entscheidung des Sozialversicherungsträgers vorliegen. Hierfür reichen nach Ansicht des OLG Geldzahlungen nicht aus. Denn für eine bindende Entscheidung sei ein Verwaltungshandeln mit Regelungsgehalt entweder im Wege des Verwaltungsaktes nach § 35 VwVfG oder des öffentlich-rechtlichen Vertrages vorauszusetzten. Bloße Zahlungen genügten daher nicht, denn diese stellen nur Realakte dar, da es sich dabei um Verwaltungsmaßnahmen handelt, die nicht auf einen Rechtserfolg. Dies muss man nicht so sehen — vgl.: Möhlenkamp, Zur Verjährung von Regressansprüchen nach § 110 SGB VII, VersR 2013, 544, und Lemke, VersR 2012, 624, Anmerkung zum Urteil des OLG Dresden. Die Besonderheit hier war jedoch, dass die Klägerin in einem Bescheid ausdrücklich aufgenommen hatte: „Die Vorschusszahlung erfolgt ohne Anerkennung der Entschädigungspflicht dem Grunde nach. Nach Abschluss meiner Feststellungen erhalten Sie einen Bescheid mit Abrechnung. Sollte sich ergeben, dass der Anspruch auf Leistungen unbegründet ist …, behalte ich mir die Rückforderung … ausdrücklich vor (§ 42 Abs. 2 SGB I).“

Zudem schließt sich der Senat der Auffassung an, dass eine taggenaue Berechnung zu erfolgen habe — also die „Ultimo-Regel“ des § 199 BGB keine Anwendung finde:

Bereits der Wortlaut des Gesetzes zeige, dass das Kriterium der Feststellung der Leistungspflicht neben die Kenntniserlangung treten müsse, da anderenfalls die Verweisung auf § 199 BGB sinnentleert wäre. Gleichzeitig wird nach dem Wortlaut darauf abgestellt, dass die Verjährung von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt wird, insoweit sei dem Gesetzgeber die Regelung des § 199 BGB bekannt gewesen. Es wäre daher ein Leichtes gewesen, auch insoweit auf den Jahresschluss abzustellen und die Verjährung etwa „mit Ablauf des Kalenderjahres“. Vielmehr sei davon auszugehen, dass angesichts der anderweitigen Regelung § 113 SGB VII eine Sondervorschrift zu § 199 BGB ist — vgl.: Möhlenkamp, Zur Verjährung von Regressansprüchen nach § 110 SGB VII, VersR 2013, 544.

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