Kongruenz i.R.d. §§ 116, 119 SGB X — ALG II?

OLG Jena, Urteil vom 28.2.2012 — Aktenzeichen: 4 U 527/11 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz
Das Arbeitslosengeld II ist bedarfsorientiert und hat somit keine Lohnersatzfunktion. Der unfallbedingte Verlust stellt mithin keinen Erwerbsschaden im Sinne des § 842 BGB dar.

Sachverhalt
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung. Als solche klagt sie aus übergegangenem Recht gemäß §§ 116, 119 SGB X gegen den voll eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer unfallbedingte Rentenleistungen und entgangene Rentenbeiträge ein, die sie für ihre bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2007 verletzte Versicherte erbracht hat. Die Versicherte war (seit 1992) Langzeitarbeitslose und bezog bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe und ab 2005 bis Ende November 2010 Arbeitslosengeld II, was ihr für die anschließende Zeit wegen des Unfalls nicht mehr gewährt wurde.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Übergangsfähigkeit der geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der streitgegenständlich erbrachten Rentenleistungen und des Beitragsregresses verneint.

Entscheidung
Auch das OLG hat die für den Anspruchsübergang gem. §§ 116, 119 SGB X erforderliche sachliche und zeitliche Kongruenz zwischen dem unfallbedingt weggefallenen ALG II als Schaden und etwaigen Ersatzleistungen der Klägerin verneint. Mit Inkrafttreten des SGB II sei das Arbeitslosengeld II an die Stelle von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe getreten. Die Arbeitslosenhilfe war eine Entgeltersatzleistung, die sich der Höhe nach auf die zuletzt ausgeübte Beschäftigung bezog (Lohnausfallprinzip). Vorausgesetzt war, dass der Leistungsempfänger vor dem Bezug von Arbeitslosenhilfe eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Nach Ansicht des OLG sei demgegenüber das Arbeitslosengeld II aber nur bedarfsorientiert. Es orientiere sich am individuell zu ermittelten Bedarf des Leistungsempfängers (Bedürftigkeitsprinzip). Die Ausübung einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit sei deshalb nicht erforderlich. Es genüge, dass der Leistungsempfänger erwerbsfähig sei. Damit sei ein (vom Gesetzgeber gewollter) Systemwechsel verbunden, der im Ergebnis bedeutet, dass dem Arbeitslosengeld II eine Lohnersatzfunktion abgesprochen werden müsse.

Im Rahmen seiner Begründung setzt sich das OLG expliziet mit der Entscheidung des des BGH vom 08.04.2008 – VI ZR 49/07 (NJW 2008, 2185 f.) auseinander, in welcher der BGH einen (übergangsfähigen) Erwerbsschaden in dem teilweisen Ausgleich für entgangenen Arbeitsverdienst durch die Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB III gesehen hat. Da beim ALG II die vom BGH zur Begründung seiner, die Kongruenz bejahenden Entscheidung herangezogene Lohnersatzfunktion jedoch gerade fehle, könnten im Umkehrschluss für einen unfallbedingten Wegfall des ALG II erbrachte Rentenleistungen auch keinen übergangsfähigen Erwerbsschaden im Sinne von § 842 BGB darstellen.

Es ist zu erwarten, dass sich demnächst erneut der BGH mit dieser praxisrelevanten Frage befassen wird.

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