Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 07.09.2021, Az.: 7 U 34/21

Leitsätze

Der Geschädigte muss im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht die ihm verbliebene Arbeitskraft in zumutbarer Weise gewinnbringend nutzen, soweit ihm das möglich ist. Dazu zählt auch, geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Herstellung der Gesundheit und Rückgewinnung der Arbeitsfähigkeit zu ergreifen und Tätigkeiten, die dies gefährden, zu unterlassen.

Sachverhalt

Bei dem Unfall, für den der Beklagte dem Grunde nach gemäß § 7 StVG i.V.m. § 115 VVG eintrittspflichtig ist, wurde die Versicherte der klagenden Krankenkasse erheblich verletzt. Nach mehreren Operationen verblieb bei dem Versicherten unfallbedingt eine Doppelsichtigkeit (Diplopie), aufgrund derer eine Erwerbsminderung von 15 % – 25 % vorliegt. Wenn man ein Auge abdeckt bestehe keine Doppelsichtigkeit mehr. Wo Doppelbilder tolerabel sind, seien „einfache Tätigkeiten“ möglich. Vor dem Unfall war die Versicherte, die zwei Lehren abgebrochen hatte, im Wesentlichen als Hausfrau und Mutter tätig. Ab dem Jahr 2007 war sie saisonal mit der Reinigung von Ferienwohnungen für rund 900,00 € in der Saison beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit endete zum 30.06.2009. Nach dem Unfall vom 6.11.2009 arbeitete sie von März bis Ende Juli 2013 für ihren Schwiegervater 3 Stunden wöchentlich als Haushaltshilfe zu einem Stundenlohn von 8,50 € (120,– €/Monat).

Mit Bescheid der Klägerin wurde der ihr rückwirkend zum 01.09.2013 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt, die sich der Höhe nach auf rund 800,00 € monatlich beläuft. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, gem. § 116 SGB X seien auf sie auch die übrigen Erwerbsschadensansprüche der Zeugin übergegangen. Der Beklagte bestreitet einen kongruenten Erwerbsschaden.

Entscheidung

Das OLG hebt heraus, der Forderungsübergang nach §§ 116 SGB X verlange, dass der Geschädigte unfallbedingt einen Einkommensverlust erlitten hat und ihm deshalb seitens der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge in gleicher Höhe zufließen. Die Ersatzpflicht greift erst dann ein, wenn durch die Beeinträchtigung der Arbeitskraft des Verletzten in dessen Vermögen ein konkreter ersatzfähiger Schaden entstanden ist oder entstanden wäre. Hierzu sei berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, wozu der Geschädigte bzw. die Klägerin konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun müsse. Im vorliegenden Fall hatte die Versicherte bei Eintritt des Schadens kein festes, regelmäßiges Einkommen. Daher sei der Verdienst zu ermitteln, den sie ohne den Unfall bei dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den besonderen Umständen des Einzelfalles mit Wahrscheinlichkeit hätte erzielen können. Eine völlig abstrakte Berechnung in Form der Schätzung eines „Mindestschadens‟ sei nicht zulässig. Etwaig verbleibenden Risiken bei der prognostischen Schätzung des Verdienstausfallschadens, z.B. häufiger Wechsel der Arbeitsstelle oder längere Zeiten der Arbeitslosigkeit, könne durch gewisse Abschläge berücksichtigt werden.

Ferner müsse der Geschädigte im Rahmen seiner Schadenminderungspflicht die ihm verbliebene Arbeitskraft in zumutbarer Weise gewinnbringend nutzen, soweit ihm das möglich ist. Dazu zählt auch, geeignete und zumutbare Maßnahmen zur Herstellung der Gesundheit und Rückgewinnung der Arbeitsfähigkeit zu ergreifen und Tätigkeiten, die dies gefährden, zu unterlassen. Der Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht stehe zunächst zur Beweislast des Schädigers. Dieser muss insbesondere darlegen und beweisen, ob und in welchem Umfang der Geschädigte eine andere zumutbare Tätigkeit hätte ausüben können. Der Verletzte habe sodann vorzutragen, welche Arbeitsmöglichkeiten ihm zumutbar und durchführbar erscheinen und was er bereits unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten; hat er nichts unternommen, kann dies je nach Fallgestaltung zu Beweiserleichterungen für den Schädiger oder sogar zu einer Beweislastumkehr führen. Hat der Schädiger dagegen eine konkret zumutbare Arbeitsmöglichkeit nachgewiesen, so ist es Sache des Verletzten, darzulegen und zu beweisen, warum er diese Möglichkeit nicht hat nutzen können.

Im konkreten Fall sei der Verletzten, der wegen einer Sehbehinderung mit einem GdB 15 bis 25 % in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sei, zuzumuten, sich um einen entsprechenden „Minijob“ in Wohnortnähe zu bemühen (z.B. als Mitarbeiter im Empfang oder an einer Rezeption; in einem Callcenter oder für leichte Reinigungsarbeiten). Bemühungen, einen entsprechenden „Minijob“ in ihrer Wohnortnähe zu finden, habe sie aber nach Bewilligung der vollen Erwerbsminderungsrente nicht entfaltet. Ebenso wenig habe sie es unternommen, entsprechend den Empfehlungen der Sachverständigen über einen längeren Zeitraum ein Auge abzudecken, um der Doppelsichtigkeit zu begegnen. Nach den Erfahrungen des Senats, der als Verkehrsunfallsenat ständig mit Personenschäden befasst sei, würden in den vorgenannten Tätigkeitsfeldern ständig Beschäftigte gerade im Minijobbereich gesucht. Trotz ihrer nur eingeschränkten Mobilität sei es der ihr zumutbar und möglich gewesen, eine derartige Tätigkeit auszuüben.

Diese Feststellungen führten dazu, dass kein Übergang gemäß § 116 SGB X auf die Klägerin stattgefunden hat, da es an einem übergangsfähigen Schaden beim Geschädigten fehlte.

image_pdf