keine Haftung bei Baumsturz

OLG Hamm Beschluss vom 28.06.2023, Az. 11 U 170/22

Sachverhalt

Der Teil eines Baumes aus einem Waldgebiet fiel bei orkanartigem Sturmgeschehen auf eine öffentliche Straße. Das Fahrzeug des Klägers wurde dadurch geschädigt. In Anspruch wurde die öffentliche Hand im Wege der Amtshaftung genommen. Das Landgericht wies die auf Schadensersatz gerichtete Klage ab. Der Kläger stellte die Entscheidung zur Überprüfung durch das Oberlandesgericht Hamm.

Entscheidung
Das OLG Hamm wies darauf hin, dass es dem Rechtsmittel des Klägers keinen Erfolg beimesse. Wesentlich seien hierfür folgende Erwägungen:

  1. Der Baum stand in einem Waldstück. Es handelte sich mangels besonderer Merkmale, welche ihn zu einem Straßenbaum machen würden, nicht um einen Straßenbaum, auf den sich eine Amtspflicht der öffentlich-rechtlichen Verkehrssicherungspflicht erstrecke (Verweis auf BGH, 19.01.1989, III ZR 258/87).
  2. Selbst wenn es sich um einen Straßenbaum handele und sich eine öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflicht auf ihn erstrecke, sei die Klage unbegründet:
      • Der Pflichtenumfang läge grundsätzlich nur in Kontrollen; lediglich in Ausnahmefällen müssten Verkehrswege gesperrt werden, wenn eine Kontrolle nicht in angemessener Zeit habe erfolgen können:

        „Denn der Straßenbaulastträger hat aufgrund der ihm für die Straße obliegenden Verkehrssicherungspflicht zur Abwehr der von Straßenbäumen ausgehenden Gefahren nur die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astbruch und Umsturz erforderlich sind, andererseits ihm unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand auch zumutbar sind. Er genügt seiner Überwachungs- und  Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der Straßenbäume, wenn er diese in regelmäßigen zeitlichen Abständen hin auf die Standsicherheit hin kontrolliert. Er hat die dabei von ihm als gefahrbringend festgestellten Bäume oder Teile von diesen zu entfernen. Ist ihm dies innerhalb angemessener Zeit nicht möglich, kann ihn im Einzelfall auch die Pflicht treffen, die Straße bis zur Beseitigung des gefahrbringenden Baumes oder Teiles davon für den Verkehr zu sperren.‟

      • Bäume bedeuten allgemein eine abstrakte Gefahr. Diese ist jedem bekannt und sind Teil des allgemeinen Lebensrisikos (vgl. auch BGH, Urteil vom 06.03.2014, III ZR 352/13).

        „Dass nicht jede von einem Baum oder einzelnen seiner Äste ausgehende Gefahr immer von außen erkennbar ist, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Vielmehr muss der Verkehr gewisse Gefahren, die nicht durch menschliches Handeln entstehen, sondern auf Gegebenheiten oder Gewalten der Natur beruhen, als unvermeidbar hinnehmen. Eine Verletzung der  Verkehrssicherungspflicht liegt deshalb in solchen Fällen nur vor, wenn Anzeichen verkannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine weitere Gefahr durch den Baum hinweisen (BGH, Urteil vom 21.01.1965 – III ZR 217/63, juris Rn. 13; Senatsurteil vom 30.10.2020 – 11 U 34/20, juris Rn. 7; Senatsbeschluss vom 04.11.2013 – 11 U 38/13, juris Rn. 13; Senatsbeschluss vom 04.11. 2022 – I-11 U 86/21 -, juris Rn. 6).‟

      • Allgemein gilt bezüglich der Verkehrssicherungspflicht auch in der Ausprägung als Amtspflicht, dass nur in „vernünftigem‟ Ausmaß Sicherheit geschuldet ist:

        „Die der Beklagten als Straßenbaulastträgerin nach §§ 9, 9a StrWG NW obliegende Straßenverkehrssicherungspflicht umfasst (nur) diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (BGH, Urteil vom 6. Februar 2007 – VI ZR 274/05 -, Rn. 14, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.‟

      • Nach dem allgemeinen Grundsatz des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht war allgemein wegen Existenz des Baumes eine Sperrung des Straßenabschnitts nicht notwendig:

        „Nach diesen Grundsätzen muss der Träger der Straßenbaulast bei einem aufkommen-den Sturm nicht einzelne Straßenabschnitte sperren, um bereits vorbeugend den sonst teilnehmenden Verkehr vor Schäden durch auf die Straße umstürzende Bäume oder Teile davon zu schützen.‟

      • Nach allgemeinen Grundsätzen musste vor Gefahren nur gewarnt werden, wenn eine Gefahr nicht rechtzeitig erkannt werden kann:

        „Darüber hinaus muss der Verkehrssicherungspflichtige auch nur diejenigen Gefahren ausräumen oder vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (OLG Köln, Beschluss vom 07.01.2016 – 7 U 160/15 – juris Rn. 5).‟

      • Deshalb gab es auch im konkreten Einzelfall keine Pflicht zur Warnung, dass Bäume bei Orkan umfallen können oder sich Teile von ihnen lösen:

        „Dass bei einem orkanartigen Sturm die Gefahr besteht, dass umherwehende Gegenstände oder umstehende Bäume oder Teile von ihnen auf die Straße stürzen, ist aber allgemein bekannt, so dass sich jeder umsichtige Verkehrsteilnehmer auf die damit einhergehenden Gefahren – und sei es durch einen Verzicht auf das Befahren der Straße – einstellen kann. Aufgrund dieser allgemein anzunehmenden Kenntnis besteht kein Anspruch darauf, durch den Inhaber der Verkehrssicherungspflicht vor Schäden, welche auf solche Extremwetterlagen und damit höhere Gewalt zurückzuführen sind, gewarnt oder – wie vom Kläger verlangt – durch vorbeugende Maßnahmen geschützt zu werden (Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 10. Aufl., § 839 BGB [Stand: 21.03.2023], Rn. 564).‟

      • Ein Absperren wäre für eine Kommune bzw. sonstigen Amtsträger wegen des personellen Aufwands unzumutbar:

        „Zudem würde die Annahme einer solchermaßen weitgehenden Verkehrssicherungspflicht den Verkehrssicherungspflichtigen auch in personeller und wirtschaftlicher Hinsicht überfordern und wäre ihm deshalb auch nicht zumutbar.‟

  3. Selbst wenn an anderer Stelle Maßnahmen wie das Absperren von Straßen erfolgt sein sollten, wären diese nach den allgemeinen Maßstäben überobligatorisch und würden damit den Pflichtenkreis nicht erweitern.
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