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Keine Repräsentantenhaftung bei §§ 110, 111 SGB VII

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. Juni 2024, Az.: VI ZR 133/23

 

Leitsätze

Die zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung sind nicht auf § 111 Satz 1 SGB VII zu übertragen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagte nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Werttransporter der P. GmbH ereignete. Der Werttransporter hatte nach einem Bericht des TÜV Süd eine Reihe von Mängeln. Der Fuhrparkleiter H. der P. GmbH hatte dem Leiter des Flottenmanagements F. vor dem Unfall mehrfach per E-Mail mitgeteilt, dass der Werttransporter Mängel aufweise und die Gefahr bestehe, dass etwas passiere. Die Klägerin macht geltend, dass sich die P. GmbH gem. § 111 SGB VII ein grob fahrlässiges Versagen des Leiters des Flottenmanagements F. zurechnen lassen müsse, dem als Repräsentanten der GmbH bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen waren.

 

Entscheidung

Die Übertragung der zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung auf § 111 Satz 1 SGB VII lehnt der BGH jedoch ab, weil dies die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung überschreite. Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen.

Nach § 31 BGB ist der Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Oberbegriff ist mithin der „verfassungsmäßig berufene Vertreter‟. Über den Wortlaut des § 31 BGB hinaus hat die Rechtsprechung eine Repräsentantenhaftung für solche Personen entwickelt, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Im Vergleich zu § 31 BGB sei der Wortlaut des § 111 Satz 1 SGB VII jedoch enger. Er erfasse neben dem Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs nur Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen. Insbesondere enthalte § 111 Satz 1 SGB VII im Gegensatz zu § 31 BGB („verfassungsmäßig berufene Vertreter‟) keinen Ober-begriff. Auch aus der Gesetzgebungshistorie ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber auch bei § 111 Satz 1 SGB VII von einer Repräsentantenhaftung ausgehe. Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 111 Satz 1 SGB VII im Sinne einer Repräsentantenhaftung widerspräche zudem der Gesetzessystematik. Beim Rückgriffsanspruch gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII handle es sich nicht um einen übergeleiteten Schadensersatzanspruch des Verletzten, sondern um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers. § 111 Satz 1 SGB VII begründe eine Haftung der juristischen Person nach Maßgabe des § 110 SGB VII, indem dieser das Ver-schulden ihrer vertretungsberechtigten Organe zugerechnet werde. Der Gesetzgeber habe den Rückgriffsanspruch der SVT gemäß §§ 110 ff. SGB VII somit besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm jedoch gerade abgesehen. Daher verbietet sich eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprächen schließlich nicht für eine er-weiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 111 Satz 1 SGB VII.

 

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