Kein Unterlassungsanspruch bei Veröffentlichung von Tagebuchzitaten
BGH, Urt. v. 16.05.2023 – VI ZR 116/22
Leitsätze (redaktionell)
- 353d Nr. 3 StGB ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Da § 353d Nr. 3 StGB bloß eine abstrakte Gefährdung und damit keine Beeinträchtigung des Schutzguts und keine einzelfallbezogene Abwägung der widerstreitenden Interessen voraussetzt, würde die deliktische Einstandspflicht unzulässig vorverlagert.
- Private Dokumente, die amtlich verwahrt werden (z.B. aufgrund einer Beschlagnahme) sind keine amtlichen Dokumente i.S.d. § 353d Nr. 3 StGB.
Sachverhalt
Gegen den Kläger wird aufgrund des Verdachtes der Steuerhinterziehung mittels Cum-Ex-Geschäften ermittelt. Im Zuge der Ermittlungen beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft seine Tagebücher. Der Beklagten wurde der Inhalt dieser Tagebücher bekannt und sie veröffentlichte auf ihrer Internetseite www.sueddeutsche.de einen Artikel, in dem sie über eine mögliche Einflussnahme der Hamburger Politik auf die Entscheidungen der Finanzbehörden im Zusammenhang mit Steuerrückforderungen nach Cum-Ex-Geschäften berichtet und darin auch einige wörtliche Zitate aus den Tagebüchern des Klägers verwendet. Ebenso beschäftigt sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Hamburg mit diesem Thema. Der Kläger verlangt Unterlassung.
Erstinstanzlich hat das Landgericht die Veröffentlichung von 16 Textpassagen verboten. Das OLG hat die Berufung des Beklagten größtenteils zurückgewiesen aber das Verbot der Veröffentlichung zweier Textpassagen, die inzwischen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss verlesen worden waren, aufgehoben.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Begehren, die Klage abzuweisen, weiter.
Entscheidung
Mit Erfolg! Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung der Zitate aus seinen Tagebüchern.
Für einen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 2 BGB, § 353d Nr. 3 StGB fehlt es schon an der Verletzung eines Schutzgesetzes. § 353d Nr. 3 StGB stellt kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar. Die Norm schützt zwar den von einem Strafverfahren Betroffenen vor einer vorzeitigen Bloßstellung, lässt aber bereits eine abstrakte Gefährdung des geschützten Rechtsguts ausreichen. Es kommt nicht darauf an, ob die Schutzgüter tatsächlich beeinträchtigt oder verletzt sind und es wird keine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall vorausgesetzt. Es ist daher nicht vertretbar wohlmöglich ohne die Beeinträchtigung eines Schutzgutes und ohne einzelfallbezogene Abwägung mit den Rechten Dritter (hier: Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK) aufgrund der abstrakten Gefahr der vorzeitigen Bloßstellung des Betroffenen die deliktische Einstandspflicht derart vorzuverlagern.
Die Betroffenen sind durch die Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche aus § 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog, Art. 1, Art. 2 Abs. 1 GG ausreichend geschützt.
Zudem handelt es sich bei den Tagebüchern nicht um „amtliche Dokumente“ eines Strafverfahrens i.S.d. § 353d Nr. 3 StGB. Aufzeichnungen privater Urheber sind nicht von § 353d Nr. 3 StGB umfasst und werden durch die Beschlagnahmung o.ä. nicht zu amtlichen Dokumenten. Eine weite Auslegung des Begriffs verbietet sich aufgrund von Art. 5 GG, Art. 10 EMRK und Art. 103 Abs. 2 GG. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass auch private Dokumente dem § 353d Nr. 3 StGB unterfallen, hätte er dies z.B. durch die Formulierung „amtlich verwahrte Dokumente“ aufgrund des Art. 103 Abs. 2 GG klarstellen müssen.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Unterlassung gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Veröffentlichung der Zitate aus seinen Tagebüchern berührt zwar sein allgemeines Persönlichkeitsrecht in Form der Vertraulichkeitssphäre und seines sozialen Geltungsanspruchs, jedoch überwiegt das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und das Recht der Beklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit. Dabei kommt der Meinungs- und Medienfreiheit ein besonders hoher Stellenwert zu. Durch ihren Artikel leistete die Beklagte einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung, die ein Thema betrifft, dass zu dieser Zeit auch Thema im parlamentarischen Untersuchungsausschuss ist. Das überragende Informationsinteresse der Öffentlichkeit erstreckt sich ebenso auf die streitgegenständlichen Textstellen aus dem Tagebuch des Klägers. Im Beitrag der Beklagten haben diese einen besonderen Dokumentationswert, denn sie belegen und bestärken die Ansicht der Beklagten, es bestehe der Verdacht, dass hochrangige Politiker Hamburgs Einfluss auf die Entscheidungen der Finanzbehörden im Rahmen von Steuerrückzahlungen nach Cum-Ex-Geschäften genommen haben. Die Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat der Kläger daher hinzunehmen.