Fristverlängerungs- vor Wiedereinsetzungsantrag

BGH, Beschl. v. 27.05.2021 – III ZB 64/20

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Prozessbevollmächtigter, der erkennt, eine Rechtsmittelbegründungsfrist nicht einhalten zu können, muss durch einen rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung dafür Sorge tragen, dass ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht notwendig wird. Dies setzt allerdings voraus, dass die Fristverlängerung rechtlich zulässig und ein Vertrauen auf deren Bewilligung begründet ist.

 

Sachverhalt

Eine Prozessbevollmächtigte erster Instanz legte Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2020 ein. Die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung wurde auf Antrag hin durch das Berufungsgericht erstmals verlängert. Dann meldeten sich für die Beklagte neue Prozessbevollmächtigte, die mit der Einwilligung der Gegenseite einen weiteren Fristverlängerungsantrag stellten, weil der zuständige Anwalt urlaubsabwesend war. Dieser Antrag wurde von dem Berufungsgericht zurückgewiesen.

 

Deshalb wurden doch die ursprünglichen Prozessbevollmächtigen mit der Fertigung der Berufungsbegründungsschrift beauftragt.

 

Die Prozessbevollmächtigte stellte am letzten Tag der Frist um 23:00 Uhr den Schriftsatz fertig, konnte ihn jedoch aufgrund eines unvorhersehbaren Druckerfehlers nicht ausdrucken und an das Gericht faxen. Ein Ersatzdrucker war wegen der Fahrzeit eines Angehörigen erst am Folgetag um 2:45 Uhr bei der Bevollmächtigten, sodass die Berufungsbegründungsschrift erst nach 3:30 Uhr bei Gericht einging, mithin verspätet.

 

Es wurde Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist gestellt.

 

Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück. Da um 23 Uhr erkennbar war, dass ein Ersatzdrucker nicht bis Mitternacht eintreffen könnte, hätte ein neuer Fristverlängerungsantrag gestellt werden müssen. Zudem dargelegt werden müssen, dass die neuen Prozessbevollmächtigen kein Verschulden für die Versäumung der Frist treffe und diese nicht in der Lage waren, die Berufungsbegründung innerhalb der Frist einzureichen. Zumindest hätte eine Vertretung für den ortsabwesenden Rechtsanwalt organisiert sein müssen.

 

Hiergegen wendet sich die Beklagte nun mit der Rechtsbeschwerde.

 

Entscheidung

Mit Erfolg: Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird gewährt.

 

  1. Die Ablehnung der Wiedereinsetzung konnte nicht damit begründet werden, dass die neuen Prozessbevollmächtigen die fristgerechte Einreichung der Berufungsbegründung hätten sicherstellen müssten, denn diese waren nicht mit der Fertigung der Berufungsbegründungsschrift betraut.
  2. Weiterhin stellt das Verhalten der ursprünglichen Prozessbevollmächtigten kein der Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden dar, das sich die Beklagte gem. § 85 II ZPO zurechnen lassen müsse. Zwar sind Prozessbevollmächtigte, die erkennen, die Frist nicht mehr einhalten zu können, gehalten, einen rechtzeitigen Fristverlängerungsantrag zu stellen um einen Wiedereinsetzungsantrag zu verhindern, hierzu muss die Fristverlängerung jedoch rechtlich zulässig sein und der Antragsteller müsste auch auf die Bewilligung vertrauen dürfen.

 

Vorliegend war das nicht der Fall. Denn für einen erneuten, aussichtsreichen Fristverlängerungsantrag hätte zunächst die Einwilligung der Gegenseite eingeholt werden müssen (§ 520 Abs. 2 S. 2 ZPO). Dies war um 23:00 Uhr am letzten Tag der Frist nicht mehr möglich. Auch die zuvor den neuen Prozessbevollmächtigen erteilte Einwilligung kam hierfür nicht in Betracht, denn diese war vor einem anderen Hintergrund erteilt worden und der Fristverlängerungsantrag bereits beschieden. Es konnte somit kein rechtzeitiger Fristverlängerungsantrag mehr gestellt werden.

 

Anmerkung

Seit 2022 sind die bestimmenden Eingaben bei Gericht per beA einzureichen. Für die Zeit zuvor kann man unter Berücksichtigung der Urteilsgründe deuten, dass es kein Verschulden darstellte, Schriftsätze nicht per beA zu versenden, wenn der „analoge“ Weg – auch per Telefax – scheiterte.

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