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§ 110 SGB VII: Keine Verschuldenszurechnung gem. § 278 BGB

BGH, Urt. v. 09.12.2021 – VII ZR 170/19

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rückgriffsanspruch des gesetzlichen Unfallversicherers gegen den Unternehmer gem. § 110 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, gemäß § 278 BGB kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Beklagte zu 1) wurde beauftragt, Dachdeckerarbeiten durchzuführen. Der Bauleiter und zugleich Beklagter zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Zur Durchführung dieser Arbeiten beauftragte die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 3) mit der Errichtung eines Gerüsts. Diese wiederum beauftragte die Beklagte zu 5) als Subunternehmerin, die das Gerüst schließlich errichtete.

D., Dachdeckergeselle bei der Beklagten zu 1), stürzte während der Arbeiten vom Dach und verletzte sich schwer. Das am Gerüst errichtete Fanggitter, welches vor Abstürzen schützen sollte, genügte nicht vollständigen den Anforderungen. Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, bei dem die Beklagte zu 1) Mitgliedsunternehmen ist, erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte Leistungen an D und verlangte daraufhin von den Beklagten klageweise Rückerstattung der von ihr erbrachten Leistungen infolge des Arbeitsunfalls.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bejahte den Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3) und 5). Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Klägerin stehe ein Anspruch des D. auf Aufwendungsersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages zugunsten Dritter aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu. Die Beklagte zu 5) habe das Gerüst nicht mit Fangnetzen oder Fanggittern ausgestattet und dadurch ihre Vertragspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung sei der Beklagten zu 1) gem. § 278 BGB zuzurechnen.

Die Beklagte zu 1) hafte der Klägerin gem. § 110 Abs. 1 SGB VII. Sie sei als Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert und handelte grob fahrlässig, da sie sich das Verhalten der Beklagten zu 5) gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Dass entgegen der Sicherheitsvorschriften gänzlich von den Sicherheitsvorkehrungen abgesehen wurde, rechtfertige den Schluss auf ein subjektives gesteigertes Verschulden, welches zu dem objektiv groben Verstoß gegen elementare Sicherungsvorkehrungen hinzukomme.

Mit dieser Entscheidung konnte man nicht einverstanden sein. Mit der Revision verfolgt die Beklagte zu 1) ihr Begehren, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidung

Der BGH hebt das Urteil des Revisionsgerichts, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 1) beschieden wurde, auf. Der geltend gemachte Anspruch scheide – so der BGH – gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus, nach dem Unternehmen den Versicherungen, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, die den Versicherungsfall verursacht haben, nur zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1-4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Beklagte zu 1) hafte daher D. nicht, da D. mit der Beklagten zu 1) in einem Ausbildungsverhältnis stand und bei seiner betrieblichen Tätigkeit verunglückt sei. Die Beklagte zu 1) ist als Unternehmerin und Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII privilegiert.

Ein Rückgriffsanspruch gem. § 110 Abs. 1, § 111 S. 1 SGB VII könne so auch nicht dargestellt werden. Gem. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII haften nach §§ 104-107 SGB VII haftungsbeschränkte Personen den Sozialversicherungsträgern nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Nach § 111 S. 1 SGB VII haften die Vertretenen nach § 110 SGB VII jedoch, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmen in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Eine Haftung nach § 110, § 111 SGB VII setzt also voraus, dass ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Insofern findet nach § 111 S. 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens der vertretungsberechtigten Organe, jedoch keine Zurechnung des Verschuldens der beauftragten Nachunternehmer statt. Im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII kommt keine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB in Betracht.

Hierfür spreche – so der BGH –  auch der Wortlaut und die Systematik der §§ 110, 111 SGB VII. Der Gesetzgeber habe die Verschuldenszurechnung in den §§ 110 ff. SGB VII bewusst ausgestaltet und keine weitergehenden Zurechnungsnormen geschaffen. Daher widerspreche es dem Willen des Gesetzgebers, weitergehende Zurechnungsnormen anzuwenden. Für diese Ansicht spreche ebenso der Zweck der Regelungen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen. Angeknüpft werde daher an das besonders missbilligenswerte Verhalten der durch § 104 ff. SGB VII privilegierten Begünstigten oder z.B. ihrer vertretungsberechtigten Organe.

Die Voraussetzungen des § 278 BGB liegen nach Ansicht des BGH ebenfalls nicht vor. Für eine Zurechnung nach § 278 BGB müsse ein bereits vor dem Unfall bestehendes Schuldverhältnis zwischen den Gläubiger und dem Schuldner vorliegen. Hier entstehe das Schuldverhältnis gem. § 110 ff. SGB VII jedoch erst mit Eintritt des Versicherungsfalles.

Deshalb hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache in die II. Instanz zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich damit auseinander zu setzen haben, ob der Beklagte zu 2) als vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten zu 2) den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, indem er in seinen Aufgabenbereich fallende vertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten verletzt habe.

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