Betrieblich veranlasste Tätigkeit

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.3.2015 — Aktenzeichen: 8 AZR 67/14

Leitsatz
1. Entscheidend für das Vorliegen einer „betrieblichen Tätigkeit“ und das Eingreifen des Haftungsausschlusses i.S.v. § 105 Abs 1 S 1 SGB 7 ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse erbracht wurde.

2. Aus der Zugehörigkeit des Schädigers zum Betrieb und einem Handeln im Betrieb des Arbeitgebers allein kann nicht auf eine Schadensverursachung durch eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war.

3. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt.

Sachverhalt
Der Kläger und der Beklagte waren als Auszubildende bei einer Firma beschäftigt, die einen Kfz-Handel mit Werkstatt und Lager betreibt. Am Morgen des 24. Februar 2011 arbeitete der damals 19-jährige Beklagte an der Wuchtmaschine. Der damals 17-jährige Kläger, ein weiterer Auszubildender und ein anderer Arbeitnehmer waren im Raum, der Kläger mehrere Meter vom Beklagten entfernt in der Nähe der Aufzugstür. Der Beklagte warf mit vom Kläger abgewandter Körperhaltung ein ca. 10 g schweres Wuchtgewicht hinter sich. Der Kläger hat behauptet, der Beklagte habe das Wuchtgewicht vor dem Wurf vom Boden aufgehoben und aus einer Distanz von ca. 13 m auf ihn geworfen. Der Wurf sei mit gehöriger Kraft erfolgt, da anders die Weite des Wurfs nicht hätte erreicht werden können. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Mangels eines Auffangbehältnisses für nicht mehr benötigte Wuchtgewichte seien diese üblicherweise fallengelassen oder zur Seite/nach hinten geworfen worden, um sie abends zusammenzukehren und zu entsorgen. Am Morgen des 24. Februar 2011 habe er sich ebenso verhalten und — während er von der rechten Seite aus über die Wuchtmaschine gebeugt war — das Wuchtgewicht, das den Kläger traf, hinter sich geworfen, ohne den Kläger vorher wahrgenommen zu haben. Der Wurf sei weder gezielt noch mit großer Kraft erfolgt. Er habe sich dafür nicht gebückt und ein am Boden liegendes Wuchtgewicht aufgehoben, sondern das Wuchtgewicht aus dem Arbeitsvorgang heraus in der Hand gehabt. Er habe nicht damit gerechnet, eine Person zu treffen.

Entscheidung
Das BAG hat entschieden, dass dem Schadensersatzanspruch des Klägers § 105 Abs. 1 SGB VII nicht entgegengehalten werden kann. Die Voraussetzungen des Haftungsausschlusses sind nicht erfüllt. Der Wurf des Beklagten erfolgte nicht in Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit.

Entscheidend für das Vorliegen einer „betrieblichen Tätigkeit“ und das Eingreifen des Haftungsausschlusses iSv. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist die Verursachung des Schadensereignisses durch eine Tätigkeit des Schädigers, die ihm von dem Betrieb oder für den Betrieb, in dem sich der Unfall ereignet hat, übertragen war oder die von ihm im Betriebsinteresse erbracht wurde. Eine betriebliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn eine Aufgabe verrichtet wird, die in den engeren Rahmen des dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgabenkreises fällt, denn der Begriff der betrieblichen Tätigkeit ist nicht eng auszulegen. Er umfasst auch die Tätigkeiten, die in nahem Zusammenhang mit dem Betrieb und seinem betrieblichen Wirkungskreis stehen. Wie eine Arbeit ausgeführt wird — sachgemäß oder fehlerhaft, vorsichtig oder leichtsinnig -, ist nicht dafür entscheidend, ob es sich um eine betriebliche Tätigkeit handelt oder nicht. Aus der Zugehörigkeit des Schädigers zum Betrieb und einem Handeln im Betrieb des Arbeitgebers allein kann nicht auf eine Schadensverursachung durch eine betriebliche Tätigkeit geschlossen werden. Nicht jede Tätigkeit im Betrieb des Arbeitgebers muss zwingend eine betriebsbezogene sein. Ebenso wenig führt bereits die Benutzung eines Betriebsmittels zur Annahme einer betrieblichen Tätigkeit. Es kommt darauf an, zu welchem Zweck die zum Schadensereignis führende Handlung bestimmt war. Ein Schaden, der nicht in Ausführung einer betriebsbezogenen Tätigkeit verursacht wird, sondern nur bei Gelegenheit der Tätigkeit im Betrieb, ist dem persönlich-privaten Bereich des schädigenden Arbeitnehmers zuzurechnen. Um einen solchen Fall handelt es sich insbesondere, wenn der Schaden infolge einer neben der betrieblichen Arbeit verübten, gefahrenträchtigen Spielerei, Neckerei oder Schlägerei eintritt.

Nach diesen Grundsätzen sei der Schaden hier nicht durch eine betriebliche Tätigkeit des Beklagten verursacht worden. Dies unabhängig davon, ob der Wurf mit einem Wuchtgewicht erfolgte, das der Beklagte gerade von einem Fahrzeugrad entfernt hatte, also aufgrund des Arbeitsprozesses ohnehin in der Hand hielt, oder ob der Beklagte vor dem Wurf ein auf dem Boden liegendes Wuchtgewicht zum Zwecke des Wurfes aufgehoben hatte. Wuchtgewichte seien zwar Betriebsmittel, allein deren Benutzung mache eine Tätigkeit jedoch nicht zu einer betrieblichen. Das Anbringen wie auch das Entfernen von Wuchtgewichten von Fahrzeugrädern gehörte am Unfalltag zur betrieblichen Tätigkeit des Beklagten. Auch das Entsorgen der Wuchtgewichte sei damit verbunden gewesen. Falls ein Auffang- oder Sammelbehälter tatsächlich nicht vorhanden gewesen sein sollte, gehörte auch das Fallenlassen auf den Boden oder womöglich auch ein leichter Wurf auf den Boden („aus dem Weg“) zur betrieblichen Tätigkeit des Beklagten. Eine unsachgemäße oder fehlerhafte, unvorsichtige oder gar leichtsinnige Ausführung würde dann nichts daran ändern, dass eine betriebliche Tätigkeit vorlag.

Um solch eine Situation handelte es sich jedoch in dem Moment nicht, als der Beklagte das Wuchtgewicht warf, das den Kläger traf und verletzte. Selbst wenn der Beklagte das Wuchtgewicht nicht „extra“ aufgehoben haben sollte, sondern es noch in Ausführung seiner betrieblichen Tätigkeit in der Hand hielt, endete die Betriebsbezogenheit seiner Tätigkeit — oder wurde sie unterbrochen — als er den Wurf „nach hinten“ mit abgewandtem Körper und mit Kraftaufwand („geschleudert“) ausführte. Das Herumwerfen von Wuchtgewichten in einem Arbeitsraum, in dem andere Menschen anwesend sind oder mit ihrer Anwesenheit zu rechnen ist, noch dazu mit Kraftaufwand, ist keine betriebliche Tätigkeit. Abgesehen von der Frage des Vorsatzes komme es auf die Frage des Motivs für den Wurf nicht an. Nahe liege eine neben der betrieblichen Arbeit verübte, gefahrenträchtige Spielerei oder Neckerei unter Auszubildenden.

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