Regress des SVT–Verjährung wegen grob fahrlässiger Unkenntnis

OLG Hamm, Urteil vom 11.3.2016 — Aktenzeichen: 9 U 40/15

Leitsatz
1. Die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadenersatzansprüche beginnt bei Behörden und öffentlichen Körperschaften erst zu laufen, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde, d.h. der Behörde, der die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadenersatzansprüchen zukommt, Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt. Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig, nämlich die Leistungsabteilung und die Regressabteilung, kommt es grundsätzlich für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an.(Rn.12)

2. An die Darlegungslast des sich auf Verjährung berufenden verklagten Regressschuldners sind regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen, so dass es nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast regelmäßig Sache des klagenden Trägers der Sozialversicherung sein wird, Einzelheiten der internen Organisation und der internen Abläufe darzulegen.

3. Aus den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast besteht keine Vorlagepflicht.

Sachverhalt
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung ihrer Versicherten Frau M. Diese erlitt am 09.11.1983 als Sozia einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwere Verletzungen erlitt, die zu einem Grad der Behinderung von 100 % führten. Nach Erlangung des Hauptschulabschlusses und Besuch eines Förderlehrgangs im Bürobereich absolvierte sie 1991 mit Erfolg die vom Arbeitsamt geförderte Ausbildung zur Bürofachkraft. Während der Ausbildungszeit führte das Arbeitsamt Rentenversicherungsbeiträge an die Klägerin ab. Im Anschluss war Frau M ab dem 01.12.1998 im Umfang von 18 Wochenstunden im Büro eines Autohauses tätig. Mit der Insolvenz des Autohauses im Jahre 2008 wurde Frau M arbeitslos. Am 08.09.2009 stellte Frau M bei dem Versicherungsamt der Stadt P einen Antrag auf Bewilligung von Erwerbsminderungsrente. Ziff. 10.6 dieses Antrags enthielt einen Hinweis darauf, dass die zum Rentenantrag führende Erwerbsminderung Folge des Verkehrsunfalls vom 09.11.1983 sei, für den die Q, der damalige Krafthaftpflichtversicherer des Beklagten, eintrittspflichtig sei. Die Leistungsabteilung der Klägerin verfügte nach Eingang des Rentenantrags aufgrund der internen Geschäftsanweisung vom 27.09.1988 die Abgabe an die Regressabteilung, in der der Antrag am 28.09.2009 einging. Seit dem 01.09.2009 bezieht Frau M volle Erwerbsminderungsrente.

Mit Schreiben vom 18.01.2011 meldete die Klägerin gegenüber der Q ihre Ersatzansprüche an und hat diese im vorliegenden Verfahren, neben einem materiellen Vorbehalt für gem. §§ 116, 119 SGB X übergegangene zukünftige Leistungen, mit insgesamt 119.997,21 EUR geltend gemacht. Der Beklagte hat gegenüber den Ansprüchen, soweit dies für das Berufungsverfahren noch von Belang ist, die Einrede der Verjährung erhoben. Die Leistungsabteilung der Klägerin, so hat der Beklagte behauptet, habe vor dem 31.12.2001 über Mitteilungen des Krankenversicherers der Frau M, der R, und des A Kenntnis über bestehende Regressansprüche erhalten. Wenn die Leistungsabteilung entgegen der Geschäftsanweisung den Vorgang nicht an die Regressabteilung weitergegeben habe, liege insoweit jedenfalls eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von Schaden und Schädiger vor.

Entscheidung
Das OLG Hamm wiederholt, dass bei Behörden und öffentlichen Körperschaften die Verjährungsfrist für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche erst zu laufen beginnt, wenn der zuständige Bedienstete der verfügungsberechtigten Behörde Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt. Verfügungsberechtigt in diesem Sinne sind dabei solche Behörden, denen die Entscheidungskompetenz für die zivilrechtliche Verfolgung von Schadensersatzansprüchen zukommt, wobei die behördliche Zuständigkeitsverteilung zu respektieren ist. Sind in einer regressbefugten Behörde mehrere Stellen für die Bearbeitung eines Schadensfalls zuständig — nämlich die Leistungsabteilung hinsichtlich der Einstandspflicht gegenüber dem Verletzten und die Regressabteilung bezüglich der Geltendmachung von Schadensersatz- oder Regressansprüchen gegenüber Dritten -, kommt es für den Beginn der Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber regelmäßig unmaßgeblich und zwar auch dann, wenn die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung Anhaltspunkte für eine schuldhafte Verursachung des Schadens durch Dritte oder eine Gefährdungshaftung ergeben.

Ohne Erfolg berief sich der Beklagte auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 26.06.2014, — IX ZR 200/12 -. Dieser Entscheidung lag aus Sicht des OLG ein nicht zu vergleichender Sachverhalt zugrunde, insoweit, als dass es um die Wissenszurechnung im Bereich der Finanzverwaltung ging und um die Zurechnung des Wissens einer anderen Behörde desselben Rechtsträgers. Für die Kenntniserlangung im Bereich der auf einen Sozialversicherungsträger nach SGB X übergegangenen Ansprüche eines Geschädigten hat der für diesen Bereich zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs unmissverständlich Stellung bezogen (vgl. BGH, U.v. 17.04.2012, — VI ZR 108/11). Auch mit Blick auf die von dem Beklagten zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs v. 01.07.2014, — VI ZR 391/13 -, sei eine andere Bewertung nicht angezeigt. Dieser Entscheidung lag der hier ebenfalls nicht vergleichbare Sachverhalt zugrunde, wonach ein Wechsel des Sozialversicherungsträgers (dort: der Krankenkasse) erfolgt war.

Allerdings komme grundsätzlich der Einwand der grob fahrlässigen Unkenntnis in Betracht: Der Regressabteilung ist die Durchsetzung der nach den §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche übertragen. Sie hat diese Ansprüche im Anschluss an die Leistungen, die der Träger der Sozialversicherung dem geschädigten Versicherten gewährt hat, zügig zu verfolgen. Dazu hat sie insbesondere ihr zugegangene Vorgänge der Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Ferner ist es Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter Weise zu sichern, dass sie frühzeitig von Schadensfällen Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten. Erhält die Regressabteilung aufgrund einer nachlässigen Handhabung der vorbeschriebenen Obliegenheiten nicht in angemessener Zeit Kenntnis von einer Regressmöglichkeit, kann das im Einzelfall als eine dem Träger der Sozialversicherung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis zu werten sein. Die Klägerin hat jedoch nach Ansicht des OLG durch eine Geschäftsanweisung in geeigneter Weise sichergestellt, dass bei in der Leistungsabteilung neu eingehenden Rentenanträgen eine Abgabe an die Regressabteilung zu erfolgen hat, sofern sich im den eingereichten Unterlagen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Regressierungsmöglichkeiten wegen nach §§ 116 ff SGB X übergegangener Ansprüche bestehen. Der Beklagte hat keine Tatsachen vorgetragen, die die tatsächliche Feststellung tragen, die Regressabteilung habe konkrete Hinweise darauf gehabt, dass die interne Geschäftsanweisung von den Mitarbeitern der Leistungsabteilung gerade in Bezug auf die dort nach der Behauptung des Beklagten vorliegenden Mitteilungen der R bzw. des A unzureichend beachtet worden sei.

Verjährung also nein.

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