Hinterbliebenengeld VI

Michael PeusMichael Peus

LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19

Sachverhalt
Die Eltern einer 16-jährigen Verstorbenen beanspruchen nach deren Verkehrsunfall am 30.04.2018 Hinterbliebenengeld. Das Kind verstarb etwa 2 Stunden nach dem Unfall.

Entscheidungsgründe

  1. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld steht nahen Angehörigen einer getöteten Person zu, wenn sie keine eigene Gesundheitsbeschädigung iSv § 823 I BGB und § 253 II BGB erlitten haben, ihr seelisches Leid also nicht über das hinausgeht, was Hinterbliebene angesichts des Todes naher Angehöriger erfahrungsgemäß erleiden. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld besteht nur, wenn der Hinterbliebene keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch hat. Der Gesetzgeber ist offensichtlich davon ausgegangen, daß der Schmerzensgeldanspruch nach §§ 823, 253 Abs. 2 BGB den Schaden für das zugefügte Leid mit umfasst und diesen konsumiert.
  2. Vorliegend haben die Eltern keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch.
  3. Die Höhe der Entschädigung folgt der Rechtsprechung zu Schockschäden als „Anker“. Nach der Gesetzesbegründung bemessen die Gerichte den pathologisch nachgewiesenen Schockschaden mit 10.000,- Euro, so dass das Hinterbliebenengeld für das nicht pathologisch festgestellte Leid wohl mit einem geringeren Betrag bemessen werden soll.
  4. Das Hinterbliebenengeld wurde für die Klägerin als Mutter und den Kläger als Vater vorliegend mit jeweils 15.000,00 Euro bemessen.
  5. Dabei ist vorliegend berücksichtigt, dass
    1. die Kläger ihre Tochter verloren haben durch einen Verkehrsunfall, den der Fahrer des Lkws schuldhaft verursachte,
    2. diese dabei von dem Lkw überrollt wurde und schwere Verletzungen erlitt,
    3. noch kurze Zeit bei Bewusstsein war und gerichtsmedizinisch untersucht wurde und
    4. die Kläger um diese Umstände und das, wenn auch kurze Leiden ihrer minderjährigen Tochter wissen.
    5. Berücksichtigt ist auch, dass sie ihr einziges Kind, ein spätes Wunschkind war und
    6. für die Eheleute, die 1997 von Kasachstan nach Deutschland umsiedelten, einen wesentlichen Lebensinhalt und Bezugspunkt zu einem sozialen Umfeld war.

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Haftungsprivileg nach SGB sperrt Hinterbliebenengeld

Michael PeusMichael Peus

LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[ aktualisiert 13.01.2021: vergleichbar mit LG Mainz ]

 

Leitsatz (nicht amtlich)

Hinterbliebene einer „Wie-Beschäftigten‟ haben ohne Gesundheitsbeeinträchtigung keinen Anspruch auf Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB.

Sachverhalt

Die Klägerin war Schwiegermutter einer Verstorbenen.

Die Verstorbene half mit ihrem Ehemann bei der Errichtung des Weidezauns. Der Beklagte zu 1) war damit beschäftigt, mittels der am Traktor befestigten Greifschaufel Pfahle ins Erdreich zu versenken. Die Verstorbenehalf ihm dabei, indem sie sich im Bereich des jeweils zu versenkenden Pfahls aufhielt und diesen bis zum „Runterdrücken‟ durch die Greifschaufel festhielt. Der Ehemann der verstorbenen koordinierte die Arbeiten. Als der Beklagte zu 1) gerade ansetzte, den zweiten Pfahl ins Erdreich zu drücken, löste sich die Greifschaufel des Traktors aus ihrer Verankerung, kippte nach vorne weg und fiel auf die Verstorbene. Sie wurde im Brustbereich getroffen, erlitt eine Zertrümmerung des gesamten Brustkorbes und verstarb an den Folgen ihrer Verletzungen. Gegen den Beklagten zu 1) wurde am 25.07.2018 ein Strafbefehl wegen fahrlässiger Tötung erlassen. Der Strafbefehl ist rechtskräftig. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft hat den Unfall als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall anerkannt.

Die Klägerin verlangt nun Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB.

Entscheidungsgründe

Ein Anspruch der Schwiegermutter auf Zahlung von Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB besteht nicht.

  1. Die Verstorbene erlitt einen entsprechenden Arbeitsunfall. Denn sie war als „Wie-Beschäftigte‟ iSv § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII tätig, als sie die tödliche Verletzung erlitt.
  2. Deshalb sind die Ansprüche aufgrund des Haftungsausschlusses gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Nach dem Wortlaut des § 105 Abs. 1 SGB VII umfasst der Haftungsausschluss alle Ansprüche des Versicherten sowie seiner Angehörigen und Hinterbliebenen aus Personenschäden. Das sind alle Schäden, die durch die Verletzung oder Tötung des Versicherten verursacht worden sind.
  3. Es gilt auch keine Ausnahme, weil der Sinn und Zweck der Privilegierungstatbestände der §§ 104, 105 SGB VII (Schutz des Betriebsfriedens) bei tödlichen Arbeitsunfällen niemals greifen könne, da sich in dem Fall keine zwei Betriebsmitglieder gegenüber stünden.
    1. Zunächst führt die Nichterreichung des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks nicht automatisch zur Unanwendbarkeit einer Vorschrift. Dies gilt hier insbesondere deshalb, da die Klägerin als Hinterbliebene ausdrücklich Regelungsadressatin ist. Die §§ 104, 105 SGB VII regeln ausdrücklich, dass die „Versicherten desselben Betriebs‟, aber auch deren Angehörige und Hinterbliebene die Haftungsbeschränkung des Schädigers gegen sich gelten lassen müssen. Das Gesetz geht bereits vom Wortlaut her von der Konstellation aus, in der es zu einem Todesfall kommt. Die ausdrückliche Erwähnung der Hinterbliebenen spricht daher gerade dafür, dass auch bei tödlichen Unfällen Konfliktsituationen vermieden werden sollen, obwohl sich in diesen Fällen naturgemäß nicht Betriebsangehörige sondern der Schädiger und der Hinterbliebene gegenüber stehen. Die Haftungsbegrenzungen dienen somit vordergründig dem Schutz des Betriebsfriedens. Sie binden allerdings auch die Hinterbliebenen hierin mit ein. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz vor Auseinandersetzungen und Konflikten hat den Hintergrund, dass neben der Frage des Verschuldens des Schädigers auch ein Mitverschulden des Getöteten diskutiert werden muss. Diese belastende Auseinandersetzung mit dem Mitverschulden des Geschädigten hat der Gesetzgeber offensichtlich sowohl für den Fall, dass eine Verletzung vorliegt als auch bei tödlichen Unfällen vermeiden wollen. Die ausdrückliche Einbeziehung der Hinterbliebenen manifestiert den Wunsch des Gesetzgebers, auch diesen die Befassung mit dem Mitverschulden des Verstorbenen zu ersparen.
    2. Dass der BGH den Schadenersatzanspruch eines Angehörigen, der einen Schockschaden erlitten hat, nicht der Haftungsprivilegierung der § 104 SGB VII ff. unterfallen ließ , steht dem nicht entgegen. Denn dies beruht auf dem Umstand, dass er bei einem Schockschaden in einem eigenen Recht verletzt worden sei. Diese Erwägung trifft auf das Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 BGB nicht zu.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 10/2020)

Michael PeusMichael Peus

zur aktuelleren Übersicht (08/2022)

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Falls ein Geschädigter auch Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG Bonn. Gesperrt ist ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, wenn der Schädiger nach den Vorschriften des SGB VII privilegiert ist, vgl. LG Koblenz.

Nachstehend ein Überblick über einige veröffentlichten Entscheidungen:

 

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]

 

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Hinterbliebenengeld V

Michael PeusMichael Peus

LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19

Sachverhalt

In dem Strafverfahren wurde der Schädiger wegen Mordes verurteilt. Im Wege des Adhädsionsverfahrens verfolgte die Mutter der Getöteten Ansprüche sowohl in Form von  Schmerzensgeld als auch von Hinterbliebenengeld.

Entscheidungsgründe

Das Landgericht Bonn hat dem Schmerzensgeldanspruch per Feststellungstenor stattgegeben. Über den Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat es dann nicht mehr entschieden, weil es diesen Anspruch für unbegründet erachtete:

„Der geltend gemachte Anspruch auf Hinterbliebenengeld gemäß § 844 Abs. 3 Satz 1 BGB besteht nach Auffassung der Kammer nur dann, wenn dem jeweiligen Antragssteller kein vorrangiger Anspruch auf Schmerzensgeld für den erlittenen immateriellen Schaden, etwa wie hier gemäß §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 StGB zusteht. Liegt ein solcher primärer Schadensersatzanspruch aufgrund eines erlittenen Schockschadens hingegen vor, geht dieser dem Hinterbliebenengeld vor bzw. das Hinterbliebenengeld geht in diesen Schmerzensgeldanspruch auf (vgl. Begründung Regierungsentwurf zum HinterbliebenengeldG, BR-Drs. 127/17, S. 10 f.; BeckOK BGB/Spindler, 52. Edition, § 844 Rn. 44 m.w.N.).‟

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Verkehrssicherungspflichten neben der Straße

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Hinsweisbeschluss vom 10.06.2020 – 11 U 54/20

Leitsatz (amtlich)

Ein unbefestigter Seitenstreifen neben einem 2,5 m breiten asphaltierten Radweg muss keine zum Befahren geeignete und bestimmte Bankette sein. Hat ein solcher Seitenstreifen einen Höhenunterschied von mehreren Zentimetern zur Fahrbahn, muss der Verkehrssicherungspflichtige das Niveau nicht angleichen und auch nicht vor dem Höhenunterschied warnen.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die beklagte Stadt auf Schadensersatz nach einem Unfallereignis vom 27.04.2018 wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung in Anspruch.Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, der vor dem Landgericht gestellten Anträge und der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs.1 ZPO auf das angefochtene Urteil verwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der neben dem Radweg gelegene Seitenstreifen erwecke bei verständiger Beurteilung des Benutzers nicht den Eindruck, es handle sich um einen Bereich, der ohne Sturzgefahr befahren werden könne, da sich zwischen Fahrbahn und Seitenstreifen erkennbar ein mehr oder minder hoher Absatz befinde. Die Annahme einer Pflicht des Verkehrssicherungspflichtigen, Radwege mit einer Auslaufzone zu versehen, würde die Grenze des Zumutbaren sprengen. Daher läge eine Verkehrssicherungspflichtverletzung erst dann vor, wenn das unbefestigte Bankett Gefahren berge, mit denen ein Radfahrer nicht zu rechnen brauche. Eine solche Sachlage sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, denn eine Abbruchkante von 10 cm berge keine höhere Gefahr als diejenige, die mit dem – beherrschbaren – Überfahren einer Bordsteinkante verbunden sei.Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie macht unter Bezugnahme auf das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 22.10.1986, Az.: 9 U 28/86, geltend, entgegen dem landgerichtlichen Urteil umfasse das Verkehrsbedürfnis des Radwegebenutzers auch das vorsichtige Befahren der Bankette, da es immer wieder Situationen gebe, in denen es ein Radfahrer nicht vermeiden könne, die asphaltierte Fahrbahn zu verlassen. Das Landgericht gehe zu Unrecht davon aus, dass der Seitenstreifen des Radwegs erkennbar nicht als Sicherheitszone ausgebildet sei. Die Bankette sei durchaus befestigt, liege aber gefährlich tief. Durch die vorhandene Vegetation sei der Höhenunterschied nur schwer erkennbar. Die vorliegende Verkehrssituation sei nicht mit einem Radweg vergleichbar, der durch einen Bordstein begrenzt werde, da ein Radfahrer in diesem Fall nicht dazu verleitet werde, auf den Radweg zurückfahren zu wollen. Der im streitgegenständlichen Fall vorhandene abrupte Absatz zwischen Radweg und Seitenstreifen stelle eine nicht erkennbare Gefahrensituation dar. Deswegen hätte die Beklagte entweder für ein gleichförmiges Niveau oder für eine Kenntlichmachung der Gefahrenstelle sorgen müssen.

 

Entscheidungsgründe

Das OLG Hamm führt noch einmal grundsätzlich aus:

  1. Den Straßenbaulastträger trifft die Pflicht, den Radweg in einem hinreichend sicheren Zustand zu erhalten und in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die zur Herbeiführung und Erhaltung eines für die Benutzer hinreichend sicheren Zustandes erforderlich sind.
  2. Hierbei ist keine absolute Gefahrlosigkeit herzustellen. Denn dies ist mit zumutbaren Mitteln nicht zu erreichen.
  3. Der Straßenbenutzer muss sich grundsätzlich den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet.
  4. Demgegenüber ist es Sache des Verkehrssicherungspflichtigen, alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag.
  5. Unter Bankette bzw. dem Seitenstreifen i.S.d. § 2 Abs.1 S.2 StVO ist nur der neben der eigentlichen Fahrbahn verlaufende, mehr oder weniger befestigte befahrbare Randstreifen des Straßenkörpers zu verstehen, der zwar nicht dem grundsätzlichen Befahren aber zum Ausnutzen der vollen Fahrbahnbreite und dem vorsichtigen und langsamen Ausweichen zu dienen bestimmt ist.

Zu dem konkreten Sachverhalt führt das OLG Hamm aus:

  1. Auch wenn an einen angelegten Radweg unbefestigtes Gelände anschließt, stellt sich das nicht als eine Bankette im straßenrechtlichen Sinne dar. Der Radweg liegt deutlich höher als das umliegende Gelände und das an das Asphalt angrenzende Gelände (bestehend aus unbefestigtem Erdreich mit vereinzeltem Grasbewuchs) war erkennbar nicht dazu gedacht, mit dem Rad zu befahren oder für Ausweichmanöver genutzt zu werden.
  2. Da das an den Radweg angrenzende Gelände nicht als Bankette bestimmt war, finden die für Bankette geltenden Verkehrssicherungspflichten im vorliegenden Fall keine Anwendung.
  3. Eine Verkehrssicherungspflicht, Radwege mit gefahrlosen Auslaufzonen zu versehen, würde für den Straßenbaulastträger die Grenze des Zumutbaren übersteigen, da er erhebliche finanzielle und personelle Mittel zur Anlage und Unterhaltung der Seitenstreifen aufwenden müsste. Dem steht gegenüber, dass das Gefahrenpotential des unbefestigt gebliebenen Seitenbereichs aufgrund der auf Radwegen gefahrenen Geschwindigkeiten, die prinzipiell ein vorausschauendes Verhalten ermöglichen, überschaubar bleibt. Wenn der asphaltierte Radweg 2,50 m breit ist, ist bei Einhaltung der gebotenen Eigensorgfalt und Aufmerksamkeit auch nicht damit zu rechnen, dass der Radweg verlassen werden müsste.
  4. Für den Fall, dass der Benutzer dennoch aufgrund einer Gefahrensituation den Radweg verlassen muss, ist der Höhenversatz beherrschbar. Das Passieren einer Kante von bis zu 10 cm stellt für einen Radfahrer ein alltägliches Fahrmanöver dar, von dem zu erwarten ist, dass er es beherrscht. Insoweit trägt der vom Landgericht angestellte Vergleich mit dem Fall, das der Radweg seitlich durch eine Bordsteinkante begrenzt wird.
  5. Schließlich hat die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht auch nicht deshalb verletzt, weil sie nicht auf den Höhenunterschied zwischen Fahrbahn und dem angrenzenden Gelände hingewiesen oder für eine Absturzsicherung gesorgt hat. Dass das angrenzende Gelände nicht zum Befahren mit dem Rad geeignet war, war mit beiläufigem Blick für den durchschnittlichen Benutzer des Radwegs erkennbar, so dass dieser bei Waltenlassen der gebotenen Eigensorgfalt hinreichend vor den mit einem Verlassen des Radwegs verbundenen Gefahren gewarnt war.
  6. Ergänzend wies das OLG Hamm darauf hin, dass die Erkennbarkeit des Höhenunterschiedes auch nicht für den Fall herrschender Dunkelheit anders zu beurteilen ist. Für Radfahrer gilt das Sichtfahrgebot. Soweit für die Klägerin das an den Radweg angrenzende Gelände wegen der herrschenden Lichtverhältnisse nicht erkennbar war, durfte sie nicht darauf vertrauen, den Radweg gefahrlos verlassen zu können.

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Keine Leistung aus Betriebs­schließungs­versicherung bei Covid-19 – LG Oldenburg

Michael PeusMichael Peus

LG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020 – 13 O 2068/20

amtlicher Leitsatz

Kein Anspruch eines Gastronomen aus einer Betriebsschließungsversicherung während der Corona-Pandemie, wenn lediglich für die in den AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger Deckungsschutz gewährt wird und das Corona-Virus (Sars-Cov2) bzw. die COVID-19-Erkrankung in dieser Liste nicht enthalten ist.

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit der Klage Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Der Kläger ist Gastronom, unterhält seit dem 01.01.2017 eine Versicherung, die Versicherungsschutz im Fall der Betriebsschließung infolge einer Seuchengefahr umfasst. Auch Warenschaden ist für den Fall bedingungsgemäßer Schließungen versichert.

Dem Versicherungsvertrag liegen u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (im Folgenden: AVB) , in denen unter Ziff. 1.2 geregelt ist:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…).‟

Daran schließt sich eine Auflistung von namentlich genannten Krankheiten (lit. a) sowie Krankheitserregern (lit. b) an.

Am 21.03.2020 erging eine Allgemeinverfügung des Landkreises … (Nr. 16/20), nach der Restaurants, Speisegaststätten u.dgl. für den Publikumsverkehr zu schließen waren. Der Außerhausverkauf und gastronomische Lieferdienste waren davon ausgenommen. Aufgrund dieser Anordnung musste der Kläger sein Restaurant in der Zeit vom 22.03.2020 bis mindestens zum 18.04.2020 schließen. Vor der Schließung hatte der Betrieb jeweils dienstags einen Ruhetag.

Entscheidungsgründe

Weil versicherte Krankheiten und Erreger in den Bedingungen aufgezählt waren und die COVID-19-Erkrankung oder das Corona-Virus (Sars-Cov2) dort nicht genannt sind, sei eine darauf beruhende Betriebsschließung nicht versichert.

  1. Der durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Auslegung es maßgeblich ankommt, werde bei verständiger Würdigung schon angesichts der Verwendung des Wortes „folgende‟ in Ziffer 1.2 AVB nur davon ausgehen, dass allein die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen. Für eine abschließende Auflistung spricht zudem, dass in Ziff. 1.2 AVB keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung des Wortes „insbesondere‟, „u.a.‟ oder „beispielsweise‟ enthalten ist. Gerade aufgrund der konkreten Formulierung kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass das Wort „namentlich‟ in Ziff. 1.2 AVB als Synonym für das Wort „insbesondere‟ verwendet wurde. Denn sie steht an einer Stelle, an der auf die §§ des IfSchG verwiesen wird, und bezieht sich eindeutig nicht auf den Teil des Satzes, der die „folgende‟ Auflistung betrifft.
  2. Auch der Umstand, dass die §§ 6 und 7 IfSG in Ziff. 1.2 AVB ohne weitere Eingrenzung etwa durch die Nennung von Absätzen und Nummern in Bezug genommen werden, spricht nicht dafür, dass sämtliche unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Krankheiten und Erreger als Grundlage der Betriebsschließung in Betracht kommen sollten. Denn durch die Verwendung des Wortes „namentlich‟ im unmittelbaren Anschluss an die §§ 6 und 7 IfSG wird deutlich, dass gerade nur die namentlich in §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Erreger gemeint waren. Durch das Wort „folgende‟ erfolgt eine weitere Eingrenzung dergestalt, dass nur die folgenden, d.h. die in den Bedingungen genannten Krankheiten und Erreger zu bedingungsgemäßen Krankheiten zählen.
  3. Die Klausel ist auch nicht intransparent gemäß § 307 Abs.1 S.2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Erreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Erreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Erreger auch nicht ausgehöhlt.
  4. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Auch gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Ziff. 1.2 AVB („folgende (…) namentlich genannte Krankheiten (…)‟) sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern.

Weiteres

Ein Anspruch würde nach Ansicht des Landgerichts nicht daran scheitern, dass die Schließung nicht auf einer einzelfall- und betriebsbezogenen Schließungsverfügung beruht. Da Ziff. 1.1 AVB ohne nähere Ausgestaltung verlangt, dass die (zuständige) Behörde (…) den Betrieb schließt, und da die Versicherungsbedingungen keine verwaltungsrechtlichen Rechtsbegriffe verwenden, ist nach den Bedingungen allein entscheidend, dass die Schließung für den Kläger verpflichtend angeordnet worden ist. Ob die Anordnung der Schließung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften rechtmäßig war und ob sie einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten würde, sei nicht entscheidend.

 

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„Pfusch am Bau‟ als Befangenheitsgrund?

Michael PeusMichael Peus

OLG Rostock, Beschluss vom 26.08.2020 – 4 W 30/20

Leitsatz (amtlich):

Die nur zusammenfassende und mit dem ausdrücklichen Verweis auf die Verwendung als untechnischer Begriff erfolgte Bezeichnung der Arbeiten einer Partei als „Pfusch am Bau“ durch einen Sachverständigen vor dem Hintergrund von ihm festgestellter Mängel begründet keine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit.

Sachverhalt

In einem selbständigen Beweisverfahren führte der Sachverständige nach Ortstermin in seinem Gutachten unter anderem aus:

„1.4 Verwendete Unterlagen“

„Durch die Klägerseite zum Ortstermin übergebene ergänzende Unterlagen und im Nachgang per E-Mail übersandte Fotos.“

Im Text des Gutachtens hat der Sachverständige dazu außerdem ausgeführt:

„Die durch den Antragsteller übergebenen Fotos aus der Bauzeit zeigen die 'Hinterlassenschaften' des Antragsgegners ([U 2], [U 3]). Bei den vor Ort gemachten Feststellungen und den erhaltenen Informationen konnten nicht alle offenen Fragen aus dem Beweisbeschluss und den Unterlagen der Gerichtsakte [U 1] geklärt werden. [Der Antragsteller] sagte zu, weitere Fotos aus der Zeit mit Beginn des Abrisses des Altgebäudes bis zum Abbruch der Arbeiten durch den Antragsgegner dem Unterzeichner zukommen zu lassen. Diese wurden am 01.04.2019 per E-Mail übersandt [U 3]. Im Kapitel 1.4 sind die insgesamt erhaltenen Unterlagen zusammengestellt. Sie werden mit Abgabe des Sachverständigengutachtens mit an das Gericht übergeben.“

Weiterhin findet sich in dem Gutachten der folgende Passus:

„Ob der Antragsgegner die v. g. Anforderungen erfüllt, dürfte aus Sicht des Unterzeichners mehr als fraglich sein. Aus den gewonnenen Eindrücken durch die örtlichen Feststellungen, zusätzlichen Fotos des Antragsteller über die Abwicklung der Baustelle bleibt nur festzustellen, dass die gesamte handwerkliche Arbeit jegliche Verbindung zu den Regeln der Technik im Erd- und Rohrleitungsbau sowie Bau von Versickerungsanlagen vermissen lässt. Die Arbeiten können mit einer nichttechnischen Begrifflichkeit als Fusch am Bau bezeichnet werden.“

Der Antragsgegner hat den Sachverständigen nach der Übersendung des Gutachtens zur Stellungnahme gemäß §§ 492 Abs. 1, 411 Abs. 4 ZPO wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sie ergebe sich zum einen daraus, dass der Sachverständige im Rahmen des Ortstermins von dem Antragsteller eine Fotodokumentation sowie weitere Unterlagen angenommen habe, ohne den Antragsgegner hiervon vor Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu unterrichten; ferner habe der Sachverständige mit dem Antragsteller bei dem Ortstermin oder danach einseitig Absprachen hinsichtlich der Übersendung weiteren Materials getroffen, das zudem zwar in dem Gutachten unter Ziffer 1.4 aufgelistet, diesem aber nicht vollständig beigefügt sei, sodass der Antragsgegner die Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht einschätzen könne. Zum anderen habe sich der Sachverständige ohne Not abfällig über den Antragsgegner geäußert, indem er ihm die Befähigung zur Ausführung der Arbeiten abgesprochen und diese als „Fusch am Bau“ bezeichnet habe.

Entscheidungsgründe

Das Ablehnungsgesuch wurde von dem Landgericht als auch dem Oberlandesgericht als Beschwerdegericht zurückgewiesen.

  1. Beiziehung von Unterlagen
    Dass der Sachverständige im Hinblick auf die Gutachtenserstellung Lichtbilder und Unterlagen von einer Partei erhalten hat, ohne dass die Gegenseite gleich davon Kenntnis erlangt hat, begründet jedenfalls dann kein Misstrauen bezüglich der Neutralität des Sachverständigen, wenn er – wie hier geschehen – sein Vorgehen spätestens in dem schriftlichen Gutachten offen legt.
  2. Bemerkung „Pfusch am Bau‟
    Unsachliches Verhalten eines Sachverständigen stellt einen Befangenheitsgrund dar, wenn es den Schluss auf die mangelnde Unvoreingenommenheit gegenüber einer Partei nahe legt; grobe Fehlgriffe in der Wortwahl, Unsachlichkeiten und abfällige, herabwürdigende oder gar beleidigende Äußerungen des Sachverständigen können daher die Besorgnis der Befangenheit begründen. Ein salopper Tonfall oder die Verwendung umgangssprachlicher Redewendungen reichen andererseits jedoch für sich allein genommen noch nicht aus, wobei entsprechende Bemerkungen darüber hinaus stets im Gesamtzusammenhang zu betrachten sind und es maßgeblich darauf ankommt, ob die Äußerungen noch sachbezogen und aufgrund des Verhaltens der Beteiligten verständlich oder statt dessen Ausdruck bloßen Unmuts sind, und ob mögliche Missverständnisse sogleich ausgeräumt werden. Nicht jede umgangssprachliche, bildhafte Wendung ist danach als Herabsetzung zu werten. Vielmehr rechtfertigen selbst abwertende Äußerungen allein die Besorgnis der Befangenheit schon deshalb noch nicht, weil sie teilweise schon vom Gesetz vorgegeben und dann noch kein Grund für die Annahme von Befangenheit sein können, wie etwa der Begriff „mutwillig“ in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Auch sonst ist eine drastische Ausdrucksweise hinzunehmen, wenn sie nicht in dem Sinne unangebracht ist, dass sie auf den Adressaten unsachlich oder verletzend wirkt. Die Möglichkeit einer zurückhaltenderen Ausdrucksweise reicht zur Beanstandung nicht aus, weil die Sprache, mit der eine sachverständige Wertung ausgedrückt wird, mit dieser eng verbunden ist und in gewissen Grenzen weder durch die Beteiligten noch durch andere, namentlich über Befangenheitsgesuche entscheidende Richter vorgegeben werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass das Vorgehen des Sachverständigen auf einer unsachlichen Einstellung gegenüber der ablehnenden Partei oder auf Willkür beruht.

    Wenn der Sachverständige die Beweisfragen ausführlich begründet und dann die festzustellenden Mängel und Arbeiten des Antragsgegners nur noch zusammenfassend und unter ausdrücklichem Verweis auf die Verwendung eines untechnischen Begriffes als „[P]Fusch am Bau“ bezeichnet, werden die Arbeiten damit zwar negativ beurteilt aber nicht der Antragsgegner als Person angegriffen. Deshalb begründe diese zusammenfassende Äußerung für einen objektiven Betrachter nicht die Besorgnis der Befangenheit.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 09/2020)

Michael PeusMichael Peus

zur aktuelleren Übersicht (08/2022)

Mit den ersten Entscheidungen zum Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB, § 10 Abs. 3 StVG) bewahrheitet sich, dass sich dieses in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld einfügt.

Nachstehend ein Überblick über einige veröffentlichten Entscheidungen:

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 09/2020)

Michael PeusMichael Peus

zur aktuelleren Übersicht (08/2022)

Mit den ersten Entscheidungen zum Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB, § 10 Abs. 3 StVG) bewahrheitet sich, dass sich dieses in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld einfügt.

Nachstehend ein Überblick über einige veröffentlichten Entscheidungen:

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18

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Hinterbliebenengeld IV

Michael PeusMichael Peus

LG Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018 – 3 O 219/18

(nicht amtlicher) Leitsatz
Die Beträge bei der Bemessung eines Schmerzensgeldes für Schockschäden stellen bei dem Tod nahestehender Personen die Obergrenze für eine Entschädigung als Hinterbliebenengeld dar.

Sachverhalt
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von Hinterbliebenengeld nach dem Unfalltod seiner Ehefrau (40 Ehejahre).

Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde zurückgewiesen, soweit der Kläger mehr als 10.000 Euro Hinterbliebenengeld klageweise geltend machen wollte. Denn der Betrag in Höhe von 10.000 Euro stelle bei Schockschäden bereits einen überdurchschnittlich hohen Betrag dar und daran müsse man sich orientieren und auch das Limit eines Hinterbliebenengeldes sehen.

 

Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 09/2020)

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