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Arbeitsunfall als Voraussetzung der §§ 104 ff. SGB VII: Kaffeeholen im Betrieb

Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 7.2.2023, Az.: L 3 U 202/21

 

Leitsätze

1. Das Zurücklegen des Weges zum Holen eines Kaffees im Betriebsgebäude des Arbeitgebers steht im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.

2. Ein grundsätzlich versicherter Weg in der Sphäre des Arbeitgebers wird nicht durch die Tür des Raumes begrenzt, in dem der Getränkeautomat steht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist als Verwaltungsangestellte beschäftigt und im Finanzamt D. tätig. Auf dem Weg zum Kaffeeholen im Sozialraum des Finanzamtes während ihrer Arbeit rutschte sie wegen nasser Bodenoberfläche aus und zog sich unter anderem einen Bruch des dritten Lendenwirbelkörpers zu. Sie klagt auf Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfalls, was ihr Arbeitgeber ihr verweigert hat.

 

Entscheidung

Das LSG führt aus: Zu unterscheiden ist zwischen Unfällen auf dem Wege zur Nahrungseinnahme und Unfällen, die sich bei der Nahrungsaufnahme selbst ereignen. Die Nahrungsaufnahme selbst ist grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert (stRsp, vgl. BSG, Urteil vom 31. März 2022 – B 2 U 5/20 R). Die Nahrungsaufnahme ist vielmehr dem privaten, unversicherten Lebensbereich zuzurechnen. Anders verhält es sich mit dem Weg, der im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme bzw. mit dem Besorgen der Nahrung zurückgelegt werden muss. Das Zurücklegen eines Weges durch einen Beschäftigten mit der Handlungstendenz, sich an einem vom Ort der Tätigkeit verschiedenen Ort Nahrungsmittel zu besorgen oder einzunehmen, ist grundsätzlich versichert (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2016 – B 2 U 5/15 R) und zwar unabhängig davon, ob der Weg auf dem Betriebsgelände zurückgelegt wird oder den Versicherten von diesem herunter durch den öffentlichen Verkehrsraum (etwa zu einer Gaststätte, der eigenen Wohnung oder zu einem Kiosk/Lebensmittelgeschäft) führt. Zum einen dient die beabsichtigte Nahrungsaufnahme während der Arbeitszeit im Gegensatz zur bloßen Vorbereitungshandlung vor der Arbeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten.

Insbesondere die Rechtsprechung des BSG zur Außentür eines Gebäudes als Grenze des Versicherungsschutzes für versicherte Wege könne in Fallkonstellationen, in denen ein Versicherter innerhalb des Betriebsgebäudes einen Weg zu einem Lebensmittel- / Getränke- oder Kaffeemünzautomaten bzw. zu einem vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Wasserspender zurücklegt nicht übertragen werden. Zwar endet der Versicherungsschutz auf dem Hinweg und auf dem Rückweg jeweils an der Außentür des Gebäudes der Kantine bzw. der Gaststätte oder des Lebensmittelgeschäfts oder des Einkaufszentrums endet bzw. wiederbeginnt er dort. Der Versicherungsschutz erstreckt sich somit nicht auf Unfälle auf Wegen in dem Gebäude, in dem zum Beispiel die Wohnung, die Gaststätte, das Einzelhandelsgeschäft oder das Einkaufszentrum liegt (vgl etwa BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 – B 2 U 24/02 R). Hier hatte die Geschädigte das Gebäude des Arbeitgebers jedoch nicht verlassen. Das BSG hat ausdrücklich entschieden, dass die für Betriebswege aufgezeigte Grenzziehung durch die Außentür des Wohngebäudes nicht greift, wenn sich etwa sowohl die Wohnung des Versicherten als auch seine Arbeitsstätte im selben Haus befinden und wenn der Betriebsweg in Ausführung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt wird (BSG, 31.8.2017, Az.: B 2 U 9/16 R). Außerdem hat das BSG zahlreiche Ausnahmen vom obigen Grundsatz erwogen, erwogen etwa im Fall eines sogenannten „Frühstücksholers“, der im Auftrag des Unternehmers das Frühstück einkauft und sich aufgrund dieses Auftrags auf einem Betriebsweg befindet). Ebenso, wenn die Nahrungsaufnahme selbst ausnahmsweise versichert ist, wenn besondere (betriebliche) Umstände den Versicherten veranlassen, dort seine Mahlzeit einzunehmen (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 – B 2 U 24/02 R).

Gleichsam wie in diesen Fällen war im vorliegenden Fall die entscheidende objektive Handlungstendenz zum Holen eines Kaffees durch die Notwendigkeit geprägt, persönlich im Beschäftigungsbetrieb anwesend zu sein und dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten.

 

Anmerkung: Liegt ein Arbeitsunfall demnach vor, kann sich der Arbeitgeber bzw. dessen Haftpflichtversicherer bei einem Regress des SVT auf die Haftungsprivilegien der §§ 104 ff. SGB VII berufen. Somit sind die im Urteil übersichtlich zusammengefassten Grundsätze zur Annahme eines Arbeitsunfalles auch für Haftungsfälle allgemein relevant.

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