Reichweite der Eingliederungsrechtsprechung des BGH (Wie- Beschäftigung)
OLG Saarbrücken, Urteil vom 12. Juli 2024, Az.: 3 U 59/23
Leitsätze
Ein zufällig vorbeikommender Helfer, der den Halter eines Kraftfahrzeugs bei dem Versuch der gemeinsamen Behebung einer Fahrzeugpanne tödlich verletzt, kann sich den Hinterbliebenen gegenüber auf das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 2 S. 1 SGB VII berufen. Die Anerkennung des Schadensereignisses als Arbeitsunfall (Wegeunfall) durch den für den Arbeitgeber des Verstorbenen zuständigen Unfallversicherungsträger hindert die Zivilgerichte nicht daran, den Unfall dem im Halten des Kraftfahrzeugs zu erblickenden Unternehmen des Verstorbenen zuzuordnen. Das Halten eines Kraftfahrzeugs stellt ein Unternehmen im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII dar.
Sachverhalt
Der verstorbene Ehemann/Vater der Kläger wurde am 08.10.2019 bei dem Versuch, eine Panne an seinem Kfz zu beheben, getötet. Er war auf dem Heimweg von seiner Arbeit, als sein Kfz nahe seiner Wohnung liegenblieb. Der Beklagte zu 1) wollte Starthilfe leisten und brachte hierzu seinen Pkw heran. Als neide versuchten, den Motor mithilfe eines Überbrückungskabels zu starten, geriet der Pkw des Verstorbenen in Bewegung und quetschte beide Personen zwischen den Fahrzeugen ein. Die für den Arbeitgeber des Verstorbenen zuständige Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) erkannte den Unfall als Wegeunfall an und zahlte den Kläger eine Witwen- bzw. Halbwaisenrente. Hiergegen richteten sich die Beklagten.
Entscheidung
Das OLG gab den Beklagten recht und wies die Klage ab. Der Anspruch der Kläger sei nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Der Verstorbene sei in seiner Eigenschaft als Halter seines liegengebliebenen Kfz ein nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung versicherter Unternehmer gewesen. Der Beklagte zu 1) habe bei der Starthilfe als Wie- Beschäftigter i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII geholfen. Zugunsten der Be-klagten greife daher der Haftungsausschluss nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB VII.
Die Anerkennung des Unfalls als Wegeunfall VBG stehe dem Haftungsprivileg hier ausnahmsweise nicht entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sei es den Zivilgerichten zwar grundsätzlich verwehrt, einen Unfall, der aufgrund einer bindenden Entscheidung einem Unternehmer auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII durch einen SVT zugeordnet worden sei (hier: dem Arbeitgeber des Verstorbenen), noch einem weiteren Unternehmen auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zuzurechnen (Praktikantinnen-Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 22.4.2008 – VI ZR 202/07). Daraus folge im konkreten Fall jedoch nicht, dass den Beklagten das Haftungsprivileg nach § 105 Abs. 2 Satz 1 SGB VII versperrt sei. Die genannte Rechtsprechung des BGH sei im Streitfall nicht anwendbar, da sie eine andere Fallgestaltung beträfe, nämlich einen Schaden, der bei einem für zwei Unternehmen tätigen Beschäftigten eingetreten sei. Im Gegensatz dazu stünden dem Beklagten zu 1) hier nicht zwei Unternehmer in diesem Sinne gegenüber. Deshalb sei das Verfahren sei auch nicht gem. § 108 SGB VV auszusetzen gewesen. Zumal sei im vorliegenden Fall die Konkurrenzregelung des § 135 Abs. 1 Nr. 7 SGB VII, auf die der BGH maßgebend abstelle, nicht einschlägig. Der Zweck des § 105 SGB VII, Konflikte innerhalb des Unternehmens eingeschränkt werden sollen, sei hier deshalb nicht gefährdet. Zudem überzeuge folgende Kontrollüberlegung: Wenn es um einen Personenschaden des Beklagten zu 1) ginge, wäre die Haftung des Verstorbenen nach § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Könnte sich der Beklagte zu 1) demgegenüber nicht auf die Haftungsbeschränkung berufen, würde dies zu einer Schlechterstellung des zivilrechtlich haftenden Helfers gegenüber dem zivilrechtlich haftenden Fahrzeughalter führen. Dies sei mit dem Schutzprinzip des § 105 SGB VII nicht vereinbar.