Streit um Nachträge – Darf der Werkunternehmer die Arbeiten einstellen?

Streit um Nachträge – Darf der Werkunternehmer die Arbeiten einstellen?

Bauvorhaben entwickeln sich regelmäßig anders als die Parteien bei Vertragsschluss vorausgesetzt haben. Darüber geraten die Bauvertragsparteien dann nicht selten in Streit. Wenn der Auftragnehmer eine zusätzliche Vergütung verlangt und einen Nachtrag stellt, stellt sich die Frage, ob er die Arbeiten einstellen darf, bis der Auftraggeber den Nachtrag akzeptiert. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Dies zeigt ein Fall des Oberlandesgerichts Stuttgart (Urteil 17.08.2021, 10 U 423/20, rechtskräftig).

Die Beklagte beauftragte mit VOB-Vertrag die Klägerin mit der Ausführung von Putzarbeiten. Nachdem sich die Parteien über die Berechtigung von Nachtragsforderungen nicht verständigen konnten, drohte die Klägerin, die Baustelle zu räumen, wenn die Nachträge durch die Beklagten nicht bestätigt würden. Die Beklagte widersprach dieser Vorgehensweise im Hinblick auf die drohende Verzögerung. Als dann die Klägerin ihren Worten Taten folgen ließ und kein Mitarbeiter der Klägerin mehr auf der Baustelle erschien, kündigte die Beklagte den Vertrag, ohne allerdings der Klägerin zuvor eine Frist zu setzen und die Kündigung anzudrohen.

Im Rechtsstreit stritten die Parteien um die Wirksamkeit der Kündigung. Das Oberlandesgericht hat der beklagten Auftraggeberin Recht gegeben und ausgeführt, dass der Klägerin kein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich ihrer Werkleistung zugestanden habe. Vielmehr habe sie gegen das Kooperationsgebot verstoßen, indem sie die Arbeiten eingestellt habe. Das Kooperationsgebot solle gewährleisten, dass in Fällen, in denen nach der Vorstellung einer oder beider Parteien die vertraglich vorgesehene Vertragsdurchführung an die geänderten tatsächlichen Umstände angepasst werden müsse, entstandene Meinungsverschiedenheiten möglichst einvernehmlich beigelegt werden. Streitfälle berechtigten den Auftragnehmer nicht, die Arbeiten einzustellen. Dies gelte auch für ungeklärte Nachtragsforderungen. Vielmehr sei es einem Auftragnehmer zuzumuten, die geschuldete Werkleistung zu erbringen und die Berechtigung der Nachträge im Nachhinein zu klären. Das Oberlandesgericht hat die außerordentliche Kündigung durch die Beklagte für wirksam gehalten. Eine nach den Regelungen der VOB/B vorherige Fristsetzung mit Kündigungsandrohung sei hier entbehrlich gewesen; das Oberlandesgericht hat die Formalien einer Auftragsentziehung hinter dem Verstoß gegen die Kooperationspflicht zurücktreten lassen. Dieses oberlandesgerichtliche Urteil ist mit Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 01.06.2022, VII ZR 826/21 rechtskräftig geworden.

Hinweis für die Praxis:

Nachvollziehbarerweise wünschen Auftragnehmer frühzeitig Klarheit über ihre Nachtragsforderungen. Der Versuch, die Weiterarbeit von der Unterzeichnung des Nachtrags abhängig zu machen oder gar die Arbeiten einzustellen, wenn der Nachtrag nicht akzeptiert wird, erweist sich allerdings als Spiel mit dem Feuer, wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zeigt. Gleiches gilt für den „Trick“, die ausgeführte Nachtragsposition kurzerhand mit einer Abschlagsrechnung geltend zu machen und nach Zahlungsverzug die Arbeiten einzustellen. Festzuhalten ist: Wer als Auftragnehmer wegen Nachtragsstreitigkeiten die Arbeiten vollständig einstellt, riskiert eine Kündigung. Deshalb ist Auftragnehmern zu raten, zunächst zu versuchen, die Differenzen im Gespräch beizulegen. Klappt dies nicht, sollte er die streitige Nachtragsleistung ausführen und die Vergütung notfalls hinterher einklagen. Nicht zu entscheiden hatte das Oberlandesgericht den Fall, dass ein Auftraggeber sich endgültig weigert, einen berechtigten Nachtrag zu bezahlen. So hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 24.06.2004, VII ZR 271/01 entschieden, dass ein Auftragnehmer eine angeordnete zusätzliche Leistung nicht ausführen muss, wenn der Auftraggeber deren Vergütung endgültig verweigert.

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