Reichweite des Haftungsprivilegs gem. § 105 Abs. 1 SGB VII bei Hilfeleistungen betriebsfremder Personen

OLG Düsseldorf, Urteil vom 1.3.2011 — Aktenzeichen: 1 U 94/10

Leitsatz
Führt ein betriebsfremder Helfer auf Wunsch des betriebsangehörigen Lkw-Fahrers einen Gefahrguttransport durch und verursacht er dabei einen Unfall, bei dem der Fahrer verletzt wird, ist der Helfer als „Wie-Beschäftigter“ nach § 2 Abs. 2 SGB VII auch dann nach § 105 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert, wenn er seine Tätigkeit lediglich unentgeltlich aus Gefälligkeit ausgeführt hat, da er ursprünglich nur beim Abladen mithelfen sollte und die Übernahme der Führung des Gefahrguttransporters, zu der der Helfer aus Altersgründen noch nicht berechtigt war, nicht dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprach.

Sachverhalt
Der gemeinsam mit dem Fahrzeughalter und dessen Kfz-Haftpflichtversichrer auf Schadensersatz in Anspruch genommene Beklagte zu 1. steuerte einen von seinem Onkel und Arbeitgeber der Klägerin, dem Beklagten zu 2., gehaltenen Gefahrguttransporter auf der BAB 1. Die Klägerin war Beifahrerin. Der zum Unfallzeitpunkt 19-jährige, bei seinem Vater angestellte, Beklagte zu 1. sollte die Klägerin auf Wunsch des Beklagten zu 2. eigentlich nur als Beifahrer begleiten und dieser beim Ausladen der Ware behilflich sein, da die Klägerin am Finger verletzt war. Wegen ihrer Verletzung bat die Klägerin den Beklagten zu 1. jedoch, auch die Fahrt zu übernehmen. Auf dem Weg zum Auftraggeber kam der Beklagte zu 1. von der Fahrbahn ab und stürzte den Lkw um. Dabei wurde die Klägerin schwer verletzt. Das gesetzlich erforderliche Mindestalter zum Führen eines Gefahrguttransporters beträgt 21 Jahre.

Entscheidung
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass zugunsten sämtlicher Beklagten das Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 SGB VII eingreift. Gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII haften Angehörige desselben Betriebes in Schadensfällen grundsätzlich nicht untereinander. Zwar sei der Beklagte zu 1. nicht im Betrieb des Beklagten zu 2. angestellt gewesen. Zum Unfallzeitpunkt sei er nach Ansicht des OLG jedoch im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII „wie ein Beschäftigter“ für den Beklagten zu 2. tätig geworden. Nach dieser Vorschrift erstreckt sich die Haftungsprivilegierung des § 105 Abs. 2 SGB auch auf Personen, die

1. eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende,
2. dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit
3. von wirtschaftlichem Wert erbringen,
4. die regelmäßig von abhängig Beschäftigten verrichtet wird.

Diese Voraussetzungen hat das OLG hier allesamt bejaht. Insbesondere stünde einer Einordnung als „Wie-Beschäftigter“ auch nicht entgegen, dass der unstreitig zum Führen eines Gefahrguttransporters nicht berechtigte Beklagte zu 1. hierzu vom Beklagten zu 2. nicht beauftragt worden sei und Letzterer hiermit auch nicht einverstanden gewesen sein dürfte. Der Begriff der „betrieblichen Tätigkeit“ sei allerdings weit auszulegen und primär objektiv zu bestimmen. Insoweit könne eine betriebliche Tätigkeit auch dann nicht verneint werden, wenn der betriebsfremde Helfer tatsächlich Tätigkeiten über seinen eigentlich vorgesehenen Arbeitsauftrag hinaus für den Betrieb vornehme, wozu er von dem eigentlich für diese Tätigkeit vorgesehenen Arbeitnehmer aufgefordert worden sei. Dem stünde auch nicht entgegen, dass der Beklagte zu 1. aus verwandt- oder freundschaftlicher Verbundenheit oder aus Gefälligkeit tätig war. Auch eine solche Tätigkeit falle unter § 2 Abs. 2 SGB VII, solange diese Motivation des Helfenden der Tätigkeit nicht ihr Gepräge gebe.

Die Entscheidung verdeutlicht, dass entgegen dem Grundstz der restriktiven Auslegung von Haftungsbeschränkungen die Haftungsprivilegien der §§ 104 ff. SGB VII mitunter sehr weit gefasst werden. Damit nimmt das OLG Düsseldorf offensichtlich auch in diesem wirklich sehr weit gehenden Fall keine Sonderstellung ein, wie die Billigung der Entscheidung durch den BGH, der die gegen das Urteil von der Klägerin eingelegte Nichtzulassungsbewscherde negativ beschieden hat, zeigt. Der sozialpolitische Hintergrund der §§ 104 ff. SGB VII — „Abkaufen“ des Haftungsrisikos durch die Beiträge des Arbeitgebers zur Unfallversicherung, Wahrung des Betriebsfriedens — steht im Vordergrund. Im Einzelfall selbst dann, wenn die Tätigkeit eindeutig dem tatsächlichen und/oder mutmaßlichen Willen des Betriebsinhabers widerspricht.

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