Sturz im Krankenhaus–Sicherungspflicht ./. Freiheitsrechte

OLG Jena, Urteil vom 5.6.2012 — Aktenzeichen: 4 U 488/11

Leitsatz
Zu den Sicherungsanforderungen bei stationärer Krankenhausbehandlung unter Berücksichtigung der Freiheitsrechte des Patienten

Sachverhalt
Der zum Unfallzeitpunkt fast 80-jährige Kläger litt an diversen Erkrankungen, u. a. an einem Diabetis und einer Parkinsonerkrankung. Am 27.3.2008 stürzte der Kläger im Diabeteszentrum Bad L. auf die rechte Hüfte. Daraufhin wurde er bei der Beklagten (Krankenhaus) mit Verdacht auf Schenkelhalsfraktur stationär aufgenommen. Im klinischen Aufnahmestatus der Beklagten wurde ausdrücklich „Sturzgefahr“ vermerkt. Die festgestellte Schenkelhalsfraktur wurde operative versorgt. Nach der Operation wurde der Kläger in ein 3-Bettzimmer verlegt. Dort lag er in einem Bett mit Bettgitter, um ein Herausstürzen zu verhindern. Der Kläger wurde danach in ein Einzelzimmer verlegt. Das dort vorhandene Bett verfügte nicht über eine Gittervorrichtung. Im Stammdatenblatt anlässlich der Verlegung ist erfasst: „Sturzrisiko: ja!“ Der Kläger nahm anschließend aufgrund ärztlicher Anordnung an einer krankengymnastischen Behandlung zur Mobilisierung teil. Am 5.4.2008 stürzte er in seinem Zimmer. Am Folgetag wiederum. Der genaue Hergang der Stürze, bei denen der Kläger stets allein in seinem Zimmer war, ist ungeklärt. Unstreitig war jedoch, dass die Stürze im Zustand von Verwirrtheit stattgefunden haben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung
Das OLG bestätigt die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts:

Bei einem sturzgefährdeten Patienten sei anerkannt, dass dem Krankenhausträger im Rahmen seiner vertraglichen Obhutspflicht obliege, diesen Patienten zu überwachen und ihn vor krankheitsbedingten Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen (hier Sturz) zu schützen. Umfang und Ausmaß der dem Krankenhaus obliegenden Pflege und Betreuung richteten sich insoweit in erster Linie nach dem jeweiligen Gesundheitszustand des Patienten. Konkret und aus Sicht ex ante sei es darauf angekommen, ob wegen der Verfassung des Klägers damit gerechnet werden musste, dass er sich ohne eine besondere Sicherung selbst schädigen würde. Hierbei sei eine Einzelfallabwägung geboten.

Eine lediglich latent vorhandene Sturzneigung des Patienten rechtfertige allein noch keine allgemeine Fixierung und beständige Überwachung. Denn der Klinikträger schulde die Erbringung seiner ärztlichen und pflegerischen Leistung auch unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Patienten vor vermeidbaren Beeinträchtigungen und Belastungen, die eventuelle Sicherungsmaßnahmen (Bettgitter, Fixierung) mit sich brächten und die der Förderung der Selbständigkeit und der Mobilität des Patienten widersprächen. Andererseits schließe aber auch ein zunächst pflegerisch noch beherrschbarer Zustand des Patienten nicht aus, dass sich die zunächst nur latente Sturzgefahr zu einer konkreten Gefahrenlage zuspitzt, aus der eine gesteigerte Obhutspflicht erwächst, die vorbeugende und sichernde Maßnahmen erforderlich mache. Entscheidend sei insoweit, ob es vor den jeweiligen Sturzereignissen konkrete Hinweise auf eine Sturzgefährdung gegeben habe.

Trotz des Sturzes am Vortag hat das OLG im vorliegenden Fall hinreichende Gefahrenanzeichen für eine akute Sturzgefahr verneint. Ein erforderlicher permanenter Zustand hoher unmittelbar bevorstehender Selbstgefährdung sei nicht feststellbar. Zwar impliziert der erste Sturz, dass die Beklagte nunmehr auf eine situative Sturzgefahr angemessen reagieren musste; dies bedeute aber nicht, dass ab sofort die lückenlose Überwachung und Fixierung des Klägers gefordert war. Maßstab sei auch insoweit das für den Patienten Erforderliche sowie das für Patient und Pflegepersonal Zumutbare. Da sich der zweite Sturz zur Nachtzeit, nämlich gegen 22.30 Uhr ereignet habe, es aber vorherige Anzeichen für eine erhöhte Gefahrenlage, z.B. Anzeichen einer nächtlichen Unruhe des Patienten, einer willentlichen Bettflucht o.ä. sind vor diesem Ereignis in dem Pflegebericht und Pflegedokumentation durchweg nicht entnehmen ließen, sei das rein prophylaktische nächtliche Aufziehen eines Bettgitters zur Verhinderung einer bis dahin lediglich latent bestehenden Gefahr als freiheitsentziehende Maßnahme nicht gerechtfertigt gewesen.

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