Anspruchsübergang bei zum Schadenszeitpunkt noch nicht bestehendem Sozialversicherungsverhältnis
BGH, Urteil vom 24.4.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 329/10
Leitsatz
1. Bei Sozialleistungen, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden, ist für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist.
2. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für Sozialleistungen, die nicht an das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses anknüpfen, sind nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers zu übertragen.
Sachverhalt
Die Klägerin, ein Regionalträger der gesetzlichen Rentenversicherung, hat gegen die Beklagten – Kfz-Haftpflichtversicherer und Pkw-Halter — mit der im Jahre 2007 erhobenen Feststellungsklage Ersatzansprüche aus gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenem Recht der Geschädigten geltend gemacht, die als Sechsjährige bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde. Die Geschädigte war allerdings bis Juli 2005 nicht Versicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Parteien stritten darüber, wann auf Rentenbeiträge gerichtete Ansprüche der Geschädigten auf die Klägerin übergegangen waren. Während sich die Beklagten auf den Standpunkt stellten, erst im Jahre 2005 sei ein für den Anspruchsübergang entscheidendes Rentenversicherungsverhältnis entstanden, war die Klägerin der Auffassung, ein Übergang habe bereits im Zeitpunkt desd Unfalls vorgelegn, weil in Anbetracht der eingetretenen Verletzungen bereits dann zu erwarten gewesen wäre, dass ein frühzeitiges Rentenversicherungsverhältnis zu erwarten sei.
Entscheidung
Das Berufungsgericht hatte der Klägerin zunächst Recht gegeben. Für den Zeitpunkt des Anspruchsübergangs seien die Grundsätze anzuwenden, die von der Rechtsprechung für Sozialleistungen entwickelt worden sind, die nicht aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses erbracht werden — Sozialhilfe und Leistungen der Agentur für Arbeit. Bei solchen Sozialleistungen sei – was auch richtig ist — für den Zeitpunkt des Rechtsübergangs maßgebend, dass nach den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Dies sei hier bereits mit dem Unfallereignis der Fall gewesen.
Der BGH widerspricht dem und stellt klar, dass die vorbezeichneten Grundsätze nicht auf Sozialleistungen eines Sozialversicherungsträgers übertragbar seien. Bei Sozialleistungen aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses setzt ein Rechtsübergang zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass zu diesem Zeitpunkt schon ein Versicherungsverhältnis besteht. Nur in einem solchen Fall ist bereits im Augenblick des Schadenseintritts die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar. Die Klage war deshalb im Ergenbnis abzuweisen, weil — was im Rahmen dieses Beitrages nicht ausgeführt werden soll — etwaige erst im Jahr 2005 übergegangenen Ansprüche mittlerweile verjährt waren.