Kompetenzüberschreitung eines Rettungssanitäters
KG Berlin, Urteil vom 19.5.2016 — Aktenzeichen: 20 U 122/15
Leitsatz
Wird der Rettungssanitäter für die Feuerwehr tätig, richtet sich die Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen.
Sachverhalt
Der Kläger kontaktierte wegen erheblicher Atembeschwerden und Schmerzen im Brustbereich die Berliner Feuerwehr. Zwei Rettungsassistenten stellten Pulsfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffsättigung fest sowie einen atem- und bewegungsabhängigen Intercostalschmerz. Sie stellten ferner fest, dass die „Pulmo“ des Klägers beidseits gut belüftet und frei von „RGS“ sei. Die Rettungsassistenten beließen den Kläger zu Hause und verwiesen ihn an seinen Hausarzt, der ihn wenige Stunden später wegen des Verdachts auf Herzinfarkt in ein Krankenhaus einliefern ließ, wo die Diagnose Bestätigung fand. Während einer Herzkatheter-Untersuchung erlitt der Kläger einen Schlaganfall.
Er hat vor dem Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € begehrt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
Entscheidung
Der Kammergerichtssenat bestätigte das Urteil.
Nach Auffassung des KG Berlin richtet sich die Haftung nach § 839 BGB i.V.m. Artikel 34 GG. Die rettungsdienstlichen Aufgaben sind sowohl im Ganzen als auch im Einzelfall der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen.
Nach Auffassung des Kammergerichts haben die Rettungsassistenten auch fahrlässig ihre gegenüber dem Kläger obliegenden Amtspflichten verletzt, weil sie ihre Kompetenzen überschritten haben.
Aufgabe der sogenannten Notrettung ist es, das Leben oder die Gesundheit von Notfallpatienten zu erhalten, sie transportfähig zu machen und sie unter fachgerechter Betreuung in eine für weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern, was sich auch aus dem Berliner Rettungsdienstgesetz ergibt.
Die eigentliche fachliche Versorgung und die abschließende Diagnosestellung fallen grundsätzlich nicht in den Aufgabenbereich des Rettungsdienstes. Die im konkreten Fall vorgenommene Einordnung der Beschwerden als Intercostalschmerzen war pflichtwidrig. Völlig unabhängig davon, ob die Einschätzung im Ergebnis richtig oder falsch war, durften die Rettungsassistenten den Kläger nicht als Nicht-Notfall-Patienten ansehen; es war ihre Aufgabe, ihn einer umgehenden ärztlichen Abklärung zuzuführen. Denn nach der Beweisaufnahme stand fest, dass der Kläger nicht nur von Schmerzen im Brustbereich, sondern auch von einem Engegefühl und Atemnot berichtet hatte. Unabhängig davon, dass Rettungssanitätern nicht grundsätzlich ihre Fachkenntnis oder die Fähigkeit zu einer medizinischen Beurteilung abgesprochen werden soll, war im vorliegenden Fall der geschilderten Brustschmerzen der konkrete Fall einer medizinischen Diagnosestellung durch einen Arzt zuzuführen.
Im vorliegenden Fall hatten die Rettungssanitäter jedoch durch ihre Einordnung der Schmerzen als Intercostalschmerzen selbst eine Diagnosestellung vorgenommen, die eine Beteiligung von Herz und Lunge ausschloss.
Da das Kammergericht die Kompetenzüberschreitung auch als grob fehlerhaft bewertete, kam dem Kläger auch im Rahmen des Ursachenzusammenhangs eine Beweislastumkehr zugute. Das Kammergericht hielt ausdrücklich fest, dass die Regeln zur Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern auch im Amtshaftungsbereich ihre Anwendung finden.