BGH konkretisiert drittschützende Wirkung von Anwaltsverträgen

BGH, Urteil vom 09.07.2020, Aktenzeichen: IX ZR 289/19

Leitsatz:

Auch im Anwaltsvertrag gilt: Wenn Dritte in die Schutzwirkung des Anwaltsvertrages einbezogen werden sollen, müssen diese bestimmungsgemäß mit der Hauptleistung in Berührung kommen. Die erforderliche Leistungsnähe entsteht nicht bereits dann, wenn nahestehende Dritte aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner Ansprüche haben könnten.

 

Sachverhalt:

Bei einem Unfall im Jahr 2006 wurde die Mutter der beiden Klägerinnen schwer verletzt. Sie wurde dauerhaft pflegebedürftig und war auf einen Rollstuhl angewiesen. Nach dem Unfall beauftragte die Mutter der Klägerin eine Rechtsanwältin mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, woraufhin die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers ihre volle Einstandspflicht erklärte. Im Dezember 2007 beauftragt die Mutter der Klägerinnen den beklagten Rechtsanwalt mit der Weiterverfolgung der Schadensersatzansprüchen. Das Mandat endete im Mai 2016.

Die Klägerinnen sind seit den Jahren 2013 und 2016 in psychotherapeutischer Behandlung. Sie behaupten, dass ihre Leiden ebenfalls auf den Unfall, bei dem sie auch in dem Fahrzeug der Mutter gesessen hätten und leicht verletzt worden seien, zurückzuführen sind. Sie meinen, der Beklagte hätte im Rahmen des Mandats auch über die ihm zustehenden Ansprüche aufklären und beraten müssen, dies sei fehlerhaft unterblieben.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung: 

Auch der BGH hat die Ansprüche der Klägerinnen und deren Revision zurückgewiesen.

Der BGH hat sich in seinem Urteil damit befasst, wie weit ein Anwaltsvertrag im Hinblick auf Pflichten gegenüber Dritten reicht und unter welchen Voraussetzungen diese in den Schutzbereich des Anwaltsvertrags mit einbezogen werden können.

Unstreitig ist kein eigenes Mandatsverhältnis zwischen den Klägerinnen und dem beklagten Rechtsanwalt zustande gekommen. Eine ausdrückliche Einbeziehung in den Anwaltsvertrag der Mutter hat ebenfalls nicht stattgefunden. Die Einbeziehung ergab sich – so der BGH – auch nicht aus einer ergänzenden Vertragsauslegung.

Nach allgemeinen Kriterien ist eine Einbeziehung in einen Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter, woran der BGH festhält, nachfolgenden Kriterien möglich:

  • Leistungsnähe
  • Gläubigernähe und schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Beratungsvertrages
  • Einbeziehung des Dritten für den Schuldner erkennbar
  • keine inhaltsgleichen vertraglichen Ansprüche.

Im vorliegenden Fall scheiterte die Annahme eines drittschützenden Vertrages schon daran, weil es an der erforderlichen Leistungsnähe fehlte. Das erforderliche Näheverhältnis zur Hauptleistung liegt nach dem BGH nur vor, wenn die Leistungen des Rechtsanwalts bestimmte Rechtsgüter eines Dritten nach der objektiven Interessenlage im Einzelfall mit Rücksicht auf den Vertragszweck bestimmungsgemäß, typischerweise beeinträchtigen kann. Entscheidend für eine Ersatzpflicht hinsichtlich von Vermögensschäden des Dritten ist, ob die vom Anwalt zu erbringende Leistung nach objektivem Empfängerhorizont auch dazu bestimmt ist, dem Dritten Schutz vor möglichen Vermögensschäden zu vermitteln. Der Auftraggeber muss ein entscheidendes Eigeninteresse an der Wahrung der Drittinteressen haben. Inwieweit dieses Näheverhältnis besteht, hängt entscheidend von Ausprägungen im Inhalt des anwaltlichen Beratungsvertrages ab.

Im vorliegenden Fall hatte schon das Berufungsgericht festgestellt, dass Gegenstand des Vertrages zwischen der Mutter und dem Beklagten (lediglich) war, unfallbedingte, zuvor von einer anderen Rechtsanwältin verfolgte Schadensersatzansprüchen ausschließlich der Mutter der Klägerinnen gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zu verfolgen, wobei die Höhe zum Zeitpunkt der Mandatierung naturgemäß unklar war. Die Klägerinnen waren an diesem Rechtsverhältnis persönlich nicht beteiligt und hierdurch in ihren Rechtspositionen allenfalls mittelbar und gerade nicht unmittelbar betroffen.

Für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter entsteht nach dem Anwaltshaftungssenat eine Leistungsnähe nicht bereits dann, wenn sich für den Rechtsanwalt Anhaltspunkte für eigene Ansprüche Dritter aus demselben Rechtsgrund und gegen denselben Anspruchsgegner ergeben, selbst wenn diese Dritten dem eigenen Mandanten (zufällig) nahe stehen.

Vorsorglich hielt der BGH fest, dass für den vorliegenden Einzelfall etwaige Hinweispflichten auch daran gescheitert wären, dass die Gefährdung von Vermögensinteressen der Klägerinnen als Dritten für den beklagten Rechtsanwalt nicht offenkundig war, da sich diesem nicht bei Übernahme des Mandates aufdrängen musste, dass diese unfallbedingt sechs und zehn Jahre später psychisch erkranken würden und ihnen aus diesem Grund möglicherweise eigene Schadensersatzansprüche aus dem Unfallereignis zustehen könnten. Die zum Unfallzeitpunkt im Auto befindlichen Klägerin hatte zunächst keine Schäden davongetragen. Deren Entwicklung verlief zunächst ohne offensichtliche äußere Probleme.

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