HOAI-Mindestsätze für die Vergangenheit

Der Nebel lichtet sich. Erneut hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) über die Wirksamkeit von Mindest- und Höchstsätzen nach der HOAI entschieden. Diesmal auf Vorlage des BGH, der für die Vergangenheit bei einem Vertrag zwischen Personen des Privatrechts die Mindestsätze weiter anwenden will.

 

Sachverhalt

Im Jahr 2016 schließt eine Immobiliengesellschaft mit einem Ingenieur einen Vertrag über Leistungen, für welche die HOAI einschlägig ist. Man vereinbarte schriftlich einen Pauschalpreis von 55.000,00 €, während die Leistungen nach den Mindestsätzen der HOAI ca. 150.000,00 € wert sind.
Das Ingenieurbüro verlangt eine Vergütung nach den verbindlichen Mindestsätzen der HOAI.

Entscheidung

Eine Odyssee beginnt.

1. Das Landgericht spricht 2017 das zusätzliche Honorar zu. Das war noch relativ leicht: Zu diesem Zeitpunkt „galt‟ die HOAI einfach. Zwar war die Nachforderung schon immer ein „widersprüchliches Verhalten‟ , aber die Geltung der Mindestsätze waren eben auch der Wille des Gesetzgebers, sodass man zwischen diesen Belangen abwägen musste. In der Regel fiel diese Abwägung zugunsten der Mindestsätze aus.

2. Der Europäische Gerichtshof entschied dann – abstrakt in einem Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland – am 04.07.2019, dass die Vorgabe von Mindest- und Höchstsätzen seit ungefähr 2011 gegen die Europäische Richtlinie 2006/123 verstieß.

3. Das OLG Hamm musste direkt danach unter Berücksichtigung dieses Urteils in der Berufungsinstanz entscheiden. Die Entscheidung vom 23.07.2019 fiel wiederum zugunsten des Ingenieurs aus. Die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, die Mindestsätze abzuschaffen, mache diese in einem Prozess zwischen zwei Personen des Privatrechts nicht ungültig, befand das Oberlandesgericht.

4. Die Sache kam zum Bundesgerichtshof. Dieser wollte der Entscheidung des OLG Hamm wohl zustimmen, sah aber doch mögliche Probleme mit dem Europäischen Recht und fragte deshalb erneut beim EuGH nach.

5. Der EuGH hat mit der jetzigen Entscheidung vom 18.01.2022 (Original hier) zwei Dinge entschieden:

a) Die Gerichte müssten zwar dem europäischen Recht möglichst zur Geltung verhelfen. Aber nur mit in gebotenen Mitteln wie etwa einer europarechtskonformen Auslegung von Vorschriften. Damit kommt man aber nicht weiter, weil der Wortlaut der HOAI an dieser Stelle keine Spielräume lässt.
Weiter geht die Verpflichtung der Gerichte nicht. Sie dürfen die Mindestsätze für die Vergangenheit in solchen Konstellationen zur Geltung bringen, es sei denn, sie finden deutsches Recht, welches dies verbietet. Dies muss der BGH nun noch einmal prüfen.

b) Der EuGH seit keinen Anlass, die Regelungen der HOAI am EU- Vertrag zu prüfen. Denn dort sind nur Sachverhalte gemeint, die einen grenzüberschreitenden Bezug zwischen verschiedenen Staaten der EU haben. Hier hatte der Gesetzgeber nach Bedenken aus der Vergangenheit vorgebaut. Seit 2009 gilt das Preisrecht der HOAI nur noch für im Inland ansässige Architekten und Ingenieure, die im Inland Leistungen erbringen. Dem EuGH fehlte ein sichtbarer Bezug zu einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, sodass er diese Frage des BGH bemerkenswert schon für unzulässig hält.

6. Die Odyssee endet nun wohl demnächst beim BGH. Dieser kann die Mindestsätze für die Vergangenheit gelten lassen. Es wird erwartet, dass er dies tun wird, denn sonst hätte er die Anfrage beim EuGH nicht starten müssen.

 

Praxishinweis

Die Entscheidung hat manchen Beobachter überrascht, denn der Generalanwalt hatte dem Gerichtshof die gegenteilige Entscheidung empfohlen. Allerdings ist es schon seit einigen Jahren so, dass die sogenannte unmittelbare Drittwirkung von Richtlinien zwischen Personen des Privatrechts von der Kommission (Generalanwalt) ausgedehnt werden möchte und der Gerichtshof darauf verweist, dass nur in absoluten Ausnahmefällen so etwas geht. Denn eigentlich wenden sich Richtlinien an Staaten, und die müssen ein passendes nationales Gesetz dazu machen.

Die wichtigste Zweifelsfrage dürfte nun also geklärt sein: Die Bahn ist frei für Mindestsätze aus laufenden Verträgen vor dem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 – in der Privatwirtschaft.

Den Ausführungen des EuGH ist zwischen den Zeilen zu entnehmen, dass die Aussagen dann nicht gelten, wenn der Staat beteiligt ist. Denn staatliche Stellen können sich mit Sicherheit nicht darauf berufen, dass der Staat selbst seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, die Richtlinie rechtzeitig umzusetzen.

Beispielsweise wird eine Architektenkammer eine „verbotene‟ Unterschreitung der Mindestsätze aus dem Jahr 2015 nicht mehr verfolgen können, denn der Architekt wird sich ihr gegenüber darauf berufen können, dass die Mindest- und Höchstsätze zu diesem Zeitpunkt schon hätten abgeschafft sein müssen. – Auch wird sich eine staatliche Stelle (ein eher theoretischer Fall) nicht darauf berufen dürfen, ein bestimmtes Honorar im Jahr 2013 überschreite die erlaubten Höchstsätze und sei zu reduzieren. Hier wird sich der Ingenieur ebenfalls darauf berufen können, dass der Staat diese Höchstsätze zu diesem Zeitpunkt schon hätte abschaffen müssen.

Von vornherein nicht in die Kategorie gehörten die Fälle, in denen die Honorarabrede – z. B. die niedrige Pauschale – nur mündlich oder per E-Mail abgeschlossen wurde. Denn der Gesetzgeber darf nach wie vor bestimmen, dass eine wirksame Honorarabrede, mit der von einem Mindest- oder Basissatz abgewichen wird, in einer bestimmten Form getroffen werden muss. Dies ist den Parteien zumutbar. Diese Vorgabe in der HOAI 2009 (Schriftform) war von dem EuGH-Urteil nach richtiger Erkenntnis gar nicht betroffen.

Spannend sind die Ausführungen des EuGH zum Schadensersatz. Danach könnte es bald Versuche von Auftraggeberseite geben, den Schaden beim Bund geltend zu machen, der Ihnen deshalb entsteht, weil ihr schriftlich vereinbartes niedriges Pauschalhonorar an die Klippe der eigentlich schon abzuschaffenden Mindestsätze scheitert. Der Auftraggeber in unserem Fall könnte also bei ungünstigem Ausgang die knapp 100.000 €, die er „zu viel gezahlt‟ hat, beim Staat anmelden. Für neue offene Fragen ist also gesorgt.

(Dr. Harald Scholz, Hamm)

Meine Prognosen von 2019 können Sie gerne nochmals in der Zeitschrift tab - Technik am Bau nachlesen
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