Der Verbraucherwiderruf im Werk-/Bauvertragsrecht
OLG Naumburg, Urteil vom 07.10.2021 – 2 U 33/21
Leitsätze
- Ein gesetzliches Widerrufsrecht nach § 312c Abs. 1 BGB wird nur dann begründet, wenn die gesamte zu Vertragsschluss führende Kommunikation zwischen den späteren Vertragspartnern ausschließlich unter Verwendung sog. Fernkommunikationsmittel erfolgt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn im Rahmen der Vertragsanbahnung auch ein persönliches Gespräch zwischen einem der Bauherrn und dem Vertreter des Bauunternehmers stattgefunden hat.
- Der Begriff eines außerhalb der Geschäftsräume des (Bau-)Unternehmens geschlossenen Vertrags i.S.v. § 312b Abs. 1 BGB ist legaldefiniert unter Bezugnahme auf vier alternative Fallgruppen, so dass für die Begründung eines gesetzlichen Widerrufsrechts nach dieser Vorschrift die Feststellung des Vorliegens einer konkreten Fallgruppe erforderlich ist.
- In der Fallgruppe 1 wird zur Voraussetzung der Begründung des Widerrufsrechts eine besondere Vertragsabschlusssituation erhoben, nämlich die gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Vertragsparteien an diesem Ort bei der Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Erklärung.
Problemdarstellung
Seit Einführung des neuen Bauvertragsrechts im Jahr 2018 haben Verbraucher bei Abschluss eines Verbraucherbauvertrags ein Widerrufsrecht, worüber der Bauunternehmer zu belehren hat. Doch auch jenseits davon können Widerrufsrechte bestehen, etwa bei zwischen Unternehmern und Verbrauchern geschlossenen Fernabsatzverträgen oder außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers geschlossenen Verträgen, deren subjektiver Anwendungsbereich übrigens weiter ist als man meinen könnte: Unternehmer in diesem Sinne sind nämlich jede Art von Unternehmern, also z.B. Handwerker, Architekten, Ingenieure, auch Rechtsanwälte. Verbraucher wiederum sind nicht nur private „Häusle-Bauer“, sondern können auch Bauherren einer Industriehalle sein, die mit Eigenmitteln errichtet und dann vermietet wird.
Liegen die Voraussetzungen dieser besonderen Vertragstypen vor, muss der Unternehmer den Verbraucher über sein 14-tägiges Widerrufsrecht belehren. Macht er das nicht, beträgt die Widerrufsfrist 1 Jahr und 14 Tage. Dies wiederum kann schwerwiegende Folgen für den Unternehmer haben, sollte in Unkenntnis des Vertragscharakters der Verbraucher nicht belehrt worden sein, aber der Unternehmer bereits geleistet haben und der Verbraucher schließlich sein Widerrufsrecht ausüben: Der Unternehmer ginge dann komplett leer aus! Wegen des Verbraucherschutzes sieht das Gesetz in diesem Fällen keine Vergütung oder Entschädigung des Unternehmers vor.
Mit den Voraussetzungen solcher Verträge hatte sich auch das OLG Naumburg zu befassen.
Sachverhalt
Die Kläger machen gegen die Beklagte Ansprüche auf Rückabwicklung eines Bauvertrages wegen eines Widerrufes geltend. Dem zugrunde liegt ein Bauvorhaben betreffend die Errichtung eines Einfamilienhauses . Im Zuge dessen forderte der klägerische Architekt am 19.03.2019 die Beklagte unter Übersendung eines konstruktiven Leistungsverzeichnisses zur Abgabe eines Angebotes über KS-Fenster und KS-Fenstertüren für das Bauvorhaben der Kläger auf. Die Beklagte legte ihr Angebot am 30.04.2019, das die Klägerin aber nicht annahm. Im Rahmen intensiver Vertragsverhandlungen passte die Beklagte das Angebot mehrmals an die Wünsche der Kläger an, woraufhin am 26.07.2019 eine gemeinsame Besprechung zwischen Klägern, Beklagter und dem Architekten in den Geschäftsräumen des Architekten stattfand. Im Ergebnis dieses Gespräches fertigte der Architekt eine Endfassung des Bauvertrages und übersandte diesen der Beklagten, welche die Vertragsurkunde in ihren Geschäftsräumen unterzeichnete und sie dem Architekten zur Gegenzeichnung zurücksandte. Der Kläger zu 2) unterzeichnete den Vertrag dann in den Geschäftsräumen des Architekten. Der Vertrag enthielt keine Widerrufsbelehrung.
Die Beklagte nahm daraufhin ein Aufmaß, bestellte die für die Montage benötigten Profile und Fenster zeigte im August 2020 die Fertigstellung der Bauarbeiten an. Die Kläger leisteten Vorauszahlungen von 39.150,27 Euro.
Mit ihrem Schreiben vom 14.08.2020 erklärten beide Kläger dann gegenüber der Beklagten den Widerruf ihrer Vertragserklärung zum Bauvertrag und forderten die Beklagte zur Rückzahlung der Vorauszahlungen unter Fristsetzung auf. Der schriftliche Widerruf ging der Beklagten am 18.08.2020 zu. Die Beklagte wies den Widerruf zurück und lehnte eine Rückzahlung der Vorauszahlungen ab.
Das Landgericht hat mit seinem am 04.03.2021 verkündeten Urteil der Klage vollständig stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, dass den Klägern ein gesetzliches Widerrufsrecht zustehe, weil es sich um einen Vertrag handele, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden sei, es sich mithin um einen sog. Verbrauchervertrag handele. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.
Entscheidung
Das Oberlandesgericht Naumburg hat der Berufung der Beklagten stattgegeben und die Klage abgewiesen. So sei das Landgericht zu Unrecht vom Bestehen eines gesetzlichen Widerrufsrechts der Kläger bezüglich des Bauvertrages ausgegangen, weil tatsächlich ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag im gesetzlichen Sinne nicht vorliege und es damit an einem gesetzlichen Widerrufsrecht im Rahmen eines Verbrauchervertrags fehle.
Nach den entsprechenden Vorschriften der §§ 312 ff. BGB würden Verbraucherverträge aus besonderen Vertriebsformen rechtlich privilegiert behandelt, d.h. Verbraucher würden in bestimmten Situationen vor einem unüberlegten Vertragsschluss geschützt, indem ihnen die Möglichkeit des nachträglichen Lösens von einem bereits geschlossenen Vertrag durch die Ausübung eines ihnen gesetzlich verliehenen Widerrufsrechts eröffnet werde. Voraussetzung für diese Privilegierung sei aber nicht allein die Eigenschaft des Vertrags als Verbrauchervertrag, sondern es müsse auch eine privilegierte Vertragsabschlusssituation hinzutreten.
Zwar habe das Landgericht noch zutreffend das Vorliegen eines Fernabsatzvertrages verneint, weil es hierfür darauf ankomme, dass die gesamte zum Vertragsschluss führende Kommunikation zwischen den späteren Vertragspartnern ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmittel erfolge. Jedoch seien auch die Voraussetzungen eines Vertrages außerhalb von Geschäftsräumen nicht erfüllt. Denn der Begriff „außerhalb der Geschäftsräume‟ sei als ein Ort definiert, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Zusätzlich werde jedoch eine konkrete Vertragsabschlusssituation geschildert, nämlich die gleichzeitige körperliche Anwesenheit beider Vertragspartner an diesem Ort. Die gleichzeitige persönliche Anwesenheit bei der Abgabe der zum Vertragsschluss führenden Erklärung sei aufgrund dieser Regelung eine zwingende Voraussetzung für die Annahme eines solchen Vertrages, was normalerweise einen Sicht- und Hörkontakt ohne Zuhilfenahme von Fernkommunikationsmitteln erfordere. Zweck dieser Regelung sei die Privilegierung des Verbrauchers in Fallkonstellationen, in denen er situationsbedingt überfordert gewesen sein könnte. Genügte für eine besondere Schutzwürdigkeit des Verbrauchers allein der Umstand, dass der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers abgeschlossen wurde, so ergäbe sich ein umfangreiches, wenig homogenes Anwendungsgebiet. Es seien gerade nicht solche Situationen erfasst, in denen der Unternehmer zunächst in die Wohnung des Verbrauchers komme, um ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maße aufzunehmen oder eine Schätzung vorzunehmen und der Vertrag erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder mittels Fernkommunikationsmittel auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers abgeschlossen wird. In diesen Fällen sei nicht davon auszugehen, dass der Vertrag unmittelbar, nachdem der Unternehmer den Verbraucher angesprochen hat, geschlossen worden ist, wenn der Verbraucher Zeit gehabt hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken.
Nach diesen Maßstäben liege hier kein außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers geschlossener Vertrag vor, da zwischen den Prozessparteien unstreitig sei, dass die Beklagte ihre Vertragserklärung in ihren eigenen Geschäftsräumen in Abwesenheit der Kläger abgab und an die Kläger zu Händen von deren Architekten erst übersandte. Die Kläger hätten damit ausreichend Zeit und sogar fachliche Beratung gehabt, um vor der Abgabe der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung über das Angebot der Beklagten nachzudenken. Die Widerrufserklärung der Kläger vom 14.08.2020 sei folgerichtig unwirksam und die Klage abzuweisen.
Anmerkung
Zwar hat das Oberlandesgericht hier letztlich zugunsten des Unternehmers entschieden, allerdings zeigt die Entscheidung auch die Gefahren eines Widerrufs für den Unternehmer, dem im Falle eines wirksamen Widerrufs keine Vergütungsansprüche zustünden, hingegen der Besteller aber die Leistungen faktisch unentgeltlich behalten dürfte. Im Zweifel empfiehlt sich daher die Erteilung einer dem Vertrag beigefügten Widerrufsbelehrung und ggf. schlicht das Abwarten des 14-tägigen Widerrufsfrist.